Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Mehr Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif“
Interview Agrarminister Christian Schmidt will, dass Deutschland Vorreiter in Sachen Tierwohl ist. Darum plant er ein eigenes Label für Fleisch. Das soll den Tieren und Erzeugern helfen. Der Erfolg aber hängt vor allem vom Verbraucher ab
Herr Schmidt, Sie haben ein staatliches Tierwohllabel angekündigt. Fleisch, das Schweinen und Geflügel ein besseres Leben verspricht. Dabei gibt es längst andere Tierwohl-siegel, etwa vom Deutschen Tierschutzbund. Warum noch eines? Christian Schmidt: Das wird kein Label für die obersten fünf Prozent der Kunden, sondern für den breiten Markt. Ein staatliches Label sorgt für mehr Transparenz und Verlässlichkeit für die Verbraucher. Deswegen bauen wir auf den Erfahrungen des Labels des Deutschen Tierschutzbundes und der Initiative Tierwohl zwischen dem Bauernverband und dem Lebensmitteleinzelhandel auf. Dann muss der Verbraucher aber auch bereit sein, einen gewissen Preis dafür zu zahlen. Mehr Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif.
88 Prozent wären nach jüngsten Umfragen bereit, mehr für Fleisch zu zahlen, wenn höhere Standards bei der Haltung eingehalten werden. Wie viel muss der Kunde denn drauflegen? Schmidt: Wichtig ist ja, was an der Ladenkasse passiert. Dort müssen die Verbraucher wirklich zu Tierwohl-produkten greifen. Wir wollen Tierwohl in die Breite bringen und nicht, dass das Label, wie andere Siegel, in der Nische stecken bleibt. Deshalb müssen Tierwohl-produkte für die breite Masse bezahlbar sein. Derzeit gehen wir davon aus, dass der Aufschlag pro Kilo Schweinefleisch bei zehn bis zwanzig Prozent liegen wird. Es wird also ein bisschen teurer. Wir reden aber nicht von Premium-preisen. Es sollen ja möglichst viele Verbraucher zugreifen, damit sich die Haltungsbedingungen für möglichst viele Tiere verbessern. Schmidt: Jedenfalls kann es mehr Tierwohl nicht zu 2,99 für das Kilo Grillfleisch geben. Die Mehreinnahmen müssen vor allem bei den Bauern ankommen, die ihre Ställe auf die neuen Kriterien umgebaut haben. Es hilft nichts, wenn allein der Handel am Tierwohl verdient.
Die Deutschen essen immer weniger Fleisch, zugleich wird hierzulande so viel geschlachtet wie nie. Die Preise für sind am Boden, die Ställe werden immer größer. Läuft das nicht in die verkehrte Richtung? Schmidt: Das Problem, dass niedrigere Preise die Produktion ankurbeln, haben wir auch bei der Milch. Mit dem staatlichen Tierwohl-label möchte ich erreichen, dass die künftigen Ställe nicht mehr so dicht besiedelt sind, aber die Bauern trotzdem von ihrer Arbeit leben können.
Nach jüngsten Berichten bringen die Kriterien, die dem staatlichen Tierwohl-label zugrunde liegen, wenig Verbesserung für den Tierschutz. Es heißt, es gibt etwas mehr Platz pro Tier. Der Rest entspricht den gesetzlichen Mindeststandards... Schmidt: Das ist Quatsch, weil die Kriterien derzeit noch nicht feststehen. Und eines muss man klarstel- len: Das Tierwohl-label bedeutet, dass wir zum ersten Mal verbindlich den Qualitätsstandard der Tierhaltung auf breiter Front erhöhen. Aber letztlich hängt der Erfolg vom Verbraucher ab.
Wird Ihr Label in weiten Teilen über den gesetzlichen Standard hinausgehen? Schmidt: Wir werden zwei Stufen haben. Und ja, es wird darüber hinausgehen. Details kann ich noch nicht nennen. Grundsätzlich bauen wir auf den Erfahrungen und der geleisteten Arbeit des Labels des Deutschen Tierschutzbundes und der Brancheninitiative Tierwohl auf.
Die Initiative Tierwohl, an der Handel und Bauernverband beteiligt sind, ist ins Stocken geraten. Der Tierschweinefleisch schutzbund ist ausgestiegen. Andererseits fehlt es an Geld, um mehr Landwirte aufzunehmen. Was läuft schief? Schmidt: Das eigentliche Problem der Initiative ist, dass der Verbraucher nicht erkennen kann, ob er Fleisch von einem Tier kauft, das nach Tierwohl-kriterien gehalten wurde. Es ist ja kein sichtbares Siegel. Ich weiß, dass manche Tiererzeuger Sorgen haben, dass sie wieder mit neuen Auflagen belegt werden und dafür kein Geld bekommen. Deswegen möchte ich parallel in den nächsten Wochen eine nationale Nutztierhaltungsstrategie vorlegen.
Schmidt: Es geht darum, Verlässlichkeit für die Bauern herzustellen, wenn sie in höhere Tierwohl-standards investieren. Wir können den Bauern nicht zumuten, dass sie sich ständig auf Änderungen einstellen müssen. Da wird auch die öffentliche Seite ihren Beitrag leisten müssen, etwa durch europäische und nationale Gelder. Schmidt: Nein, weil bei einem Verbot vor allem kleinbäuerliche Betriebe, die unsere Agrarstruktur ausmachen, auf der Strecke bleiben würden. Unser Ziel muss es sein, Umstellungshilfen zu geben, wie es in Bayern passiert. Und die Bauern sind ja bereit, in neue Laufställe zu investieren. Aber sie sind überhaupt nicht bereit, sich dafür dumm anreden zu lassen, etwa indem man Sprüche plakatiert.
Hat Frau Hendricks mit den Bauernregel-plakaten viel kaputt gemacht? Schmidt: Ich habe das nicht für gut empfunden. Sie hat ja reagiert, ihre Kampagne eingestellt und sich bei den Bauern entschuldigt. Aber da bleiben natürlich Narben.
Hat die Gesellschaft ein falsches Verständnis von der Landwirtschaft? Schmidt: Es ist ein oberflächliches Verständnis. Das liegt auch daran, dass die Distanz zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung immer größer wird. Deswegen müssen wir bei den Kindern und Jugendlichen ansetzen und wieder ein Verständnis für Lebensmittelproduktion und Tierhaltung wecken, etwa durch ein Schulfach Ernährungsbildung. Und es ist dringend notwendig, dass sich etwas in der öffentlichen Diskussion ändert. Wir laufen ansonsten Gefahr unsere Bauern zu verlieren, die heute qualitativ hochwertige und sichere Lebensmittel produzieren.
Interview: Sonja Krell
Zur Person Christian Schmidt, 59, ist seit Februar 2014 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Er wurde als jüngstes von drei Kindern einer Bäckerfamilie in Obernzenn im Kreis Neustadt an der Aisch geboren. Der Jurist ist einer der stellvertretenden Parteichefs der CSU. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.