Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Er komponierte die Musik zum Schuh des Manitu
Künstlerkarrieren (16) Ralf Wengenmayr gehört zu den bekanntesten Filmkomponisten in Deutschland. Auch im neuen Film von Bully Herbig ist er wieder mit dabei. Doch seine Arbeit stürzt ihn auch des Öfteren in einen Zwiespalt
Augsburg In einem Kino im Jahr 1982. Über die Leinwand flimmern die letzten Szenen von „E.T.“. Das Raumschiff ist gelandet, der Außerirdische muss Abschied nehmen, alle sind zu Tränen gerührt. Dazu schrauben sich auf der Tonspur des Films die Geigen höher und höher, elegisch blenden die Hörner auf, die Bässe brummen sonor – großes Kino, auch musikalisch, das seine Wirkung im Saal nicht verfehlt. Auch nicht auf einen damals 17-Jährigen. „Dieses Finale“, erinnert sich Ralf Wengenmayr, „diese hoch emotionale Musik von John Williams: Das war der Moment, an dem ich beschloss: Ich werde Filmkomponist.“
So ist es gekommen. Auch wenn es gedauert hat und erst noch Durststrecken zu überwinden waren – darunter
„Plötzlich hieß es, die Mauer ist offen. Und ich stand da mit meinem Preis.“
Jahre als Barpianist in Augsburg und München. Heute ist Ralf Wengenmayr einer der bekanntesten Filmkomponisten Deutschlands, insbesondere wegen seiner Arbeiten für die Filme von Michael „Bully“Herbig, allen voran „Der Schuh des Manitu“.
Auch wenn er das Klavierspiel von der Pike auf gelernt hat – als Komponist ist der 52-Jährige, daraus macht er kein Geheimnis, ein Autodidakt. „Damals in den 80ern hab ich bei den Stücken, die Eindruck auf mich machten, analysiert: Wie machen das die Komponisten?“Mit dieser Methode eignete er sich sein Handwerk an, und dass diese persönliche Schule für ihn die richtige war, zeigte der Deutsche Filmmusik-wettbewerb 1989, bei dem er einen ersten Preis erhielt. An die Verleihung in Berlin erinnert er sich noch genau. „Das war am 9. November. Plötzlich hieß es, die Mauer ist offen. Alle waren elektrisiert, und ich stand da mit meinem Preis in der Hand.“
Es dauerte aber noch fünf Jahre, bis Wengenmayr, gebürtiger Augsder burger, seinen ersten Job erhielt – ein Auftrag des für die Serie „Alle meine Töchter“. Von da an war er drin im Geschäft, auch wenn noch Jahre vergehen sollten bis zur ersten Zusammenarbeit mit Bully Herbig im Film „Erkan & Stefan“(2000). Der Kino-erfolg mit dem „Schuh des Manitu“im darauf folgenden Jahr brachte vollends den Durchbruch; seither muss sich Wengenmayr nicht mehr selbst um Aufträge bemühen, die Angebote kommen ins Haus. „Was nicht heißt, ich würde mich nicht davor fürchten, dass es irgendwann mal wieder anders werden könnte.“Akute Gefahr ist nicht in Sicht.
Wengenmayr sieht sich als Film- komponist alter Schule. Er liebt die großen, für ein klassisches Orchester geschrieben Scores, wie die Filmpartituren im Englischen heißen. Natürlich schreibt er auch fürs Fernsehen, aber da liegt der Schwerpunkt mehr auf dem Atmosphärischen und somit überwiegend elektronisch erzeugten Klängen. Wengenmayr gibt nicht nur klanglich dem satten Sound eines Sinfonieorchesters den Vorzug, sondern – mit Faible für die komplexe Schreibweise großer Filmmusik – auch stilistisch. Wegen auf Technik der Leitmotive etwa, die bestimmten Personen oder Situationen zugeordnet sind und oft einen ganzen Film überspannen.
Dabei tut sich für den Komponisten immer und immer wieder ein Konflikt auf: Einerseits verlangt es das Handwerk, das Kinopublikum emotional zu packen, was zum Rückgriff auf standardisierte Formeln zwingt: große Intervalle etwa, wo geschmachtet wird; eng beieinander liegende Tonschritte, wo Spannung erzeugt werden soll. Auf der anderen Seite ist da aber auch der Anspruch des Künstlers, der Originäres schaffen will. „Ein ständiger Zwiespalt“, ächzt Wengenmayr.
Sein Studio im Souterrain eines Hauses der Augsburger Innenstadt, ein Raum mit hoch gelegenen Fenstern, ist seine Kreativhöhle. Hier vergräbt er sich in seine Projekte, umgeben von Synthesizern und Mischpulten und mehreren Bildschirmen an der Wand. Nicht selten verfällt er ihnen mit Haut und Haar, arbeitet dann bis tief in die Nacht und tut sich, wie er bekennt, schwer mit dem Abschalten. „Das ist ein einsamer Job“, sinniert der Vater von zwei Kindern und fügt nach einer Pause hinzu: „Es kommt nicht von ungefähr, dass ich alleine lebe.“
Wengenmayr ist Perfektionist – „eine unheilbare Krankheit“, weil sie den Zweifel immer neu ausbrechen lässt. Mit einigem Abstand zu seinen abgeschlossenen Arbeiten verstummt jedoch die Selbstkritik. Dann stellt sich auch Stolz ein. Das gilt vor allem für die Partitur zu
„Hinterher konnte ich ein ganzes Jahr lang nichts mehr schreiben.“
„Hotel Lux“, eine von Leander Hausmann 2010 gedrehte Tragikomödie. Das Komponieren war zwar purer Stress: „Ich hatte gerade mal zwei Monate Zeit, hab’ mich mit Koffeintabletten wach gehalten. Hinterher hatte ich einen Burnout und konnte ein ganzes Jahr lang nichts mehr schreiben.“Aber für „Hotel Lux“erhielt Wengenmayr den Preis beim Internationalen Filmfestival in Rom 2011, ausgehändigt von Ennio Morricone, für den Geehrten ein Übervater der Filmmusik. „So gesehen hat sich der Stress gelohnt.“
Für den neuen Film von Bully Herbig – „Bullyparade“startet am 17. August – hat er die Musik gerade abgeschlossen, sein siebter Film für Herbig. Als nächste größere Arbeit steht wieder ein Kinoprojekt an, die Verfilmung eines Kinderbuchklassikers – mehr will er nicht verraten. Noch etwas aber hat sich Wengenmayr für die nächste Zeit vorgenommen: Er will dirigieren lernen. Um auch selbst einem Orchester jene Klänge zu entlocken, die die Bilder unvergesslich machen.