Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Täter, 900 Einbrüche
Kriminalität Spektakuläre Serie geklärt. Was das mit Statistik zu tun hat
Augsburg/frankfurt Wenn die Zahl der Einbrüche in Deutschland sinkt, dann treten häufig Politiker hervor und loben die Polizei und vor allem sich selbst für die „Maßnahmen“, die zu dieser erfreulichen Entwicklung geführt haben. So war es auch vor wenigen Wochen, als die Kriminalstatistik für 2016 einen Rückgang der Zahl der Einbrüche um 9,5 Prozent auswies (von 167136 auf 151265). Doch ein spektakulärer Fall aus Hessen enttarnt das Eigenlob der Politiker ein Stück weit als Mogelpackung.
In Frankfurt hat die Polizei nämlich einen 40-jährigen Kroaten festgenommen, dem die Staatsanwaltschaft eine Serie von sage und schreibe 900 Einbrüchen oder Einbruchsversuchen zur Last legt. Der Verdächtige soll in Hessen, Bayern und Nordrhein-westfalen am Werk gewesen sein. Und er ging immer gleich vor: In Wohngebieten hebelte er die Türen von Ein- und Mehrfamilienhäusern auf. Schaffte er es, die Tür binnen weniger Sekunden aufzubrechen, ging er in den Flur und nahm mit, was er fand. Schaffte er es nicht, zog er weiter zum nächsten Haus.
Nach einer Vielzahl von Einbrüchen im Rhein-main-gebiet waren die Ermittler dem Mann erstmals auf die Spur gekommen. Am vergangenen Dienstag flüchtete der 40-Jährige ohne festen Wohnsitz in Deutschland vor einer Polizeikontrolle. Am Frankfurter Hauptbahnhof wurde er tags darauf festgesetzt.
Was heißt das für die Kriminalstatistik? Zum einen wird der nun gefasste notorische Serieneinbrecher so schnell keine Einbrüche mehr begehen und damit aus der statistischen Erfassung herausfallen. Und das wiegt schwer. Zur Illustration: 2015 wurden in Hessen 11 595 Einbrüche gezählt. 2016 sank die Zahl auf 10 405. Hätte der 40-Jährige seine Taten innerhalb eines Jahres verübt beziehungsweise eben nicht verübt, wäre er fast allein verantwortlich für den starken Rückgang in der Statistik. Und so ist es oft. Denn Einbrecher sind nicht selten Serientäter.
Zum anderen steigt die Aufklärungsquote bei den Einbrüchen in Hessen mit diesem einen Verdächtigen enorm an. Denn für die Polizei gelten die 900 Taten jetzt als geklärt, und so werden sie dann im kommenden Jahr auch im Jahresrückblick auftauchen – auch wenn eine Verurteilung noch in weiter Ferne liegt.
Bei derart umfangreichen Serien kommt noch eine Besonderheit hinzu, die erfahrene Einbruchsermittler allerdings nur hinter vorgehaltener Hand bestätigen: Jeder einzelne Fall von 900 wird nicht mehr mit aller Akribie ausermittelt. Dann kann es dazu kommen, dass die Polizei dem Verdächtigen Taten zuordnet, die er nicht begangen hat. Und zwar nur deshalb, weil sie nach demselben Muster und in derselben Gegend ausgeführt wurden. Wenn dem mutmaßlichen Täter dann für ein Geständnis noch Strafrabatt in Aussicht gestellt wird, gesteht er auch mal fremde Taten. Der gefasste Kroate ist im Übrigen 2004 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Damals ging es um eine Serie von mehr als 1200 Einbrüchen.