Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie arm ist Bayern wirklich?
Sozialbericht löst Streit im Landtag aus
München Wer der Landtagsdebatte über die soziale Situation im Freistaat folgt, könnte auf die Idee kommen, es gäbe zwei Bayern. Das eine, von dem Sozialministerin Emilia Müller spricht, ist „das Land der sozialen Gerechtigkeit“. Dieses Land steht in fast allen Belangen besser da als alle anderen Bundesländer. „In Bayern herrscht Vollbeschäftigung und die Jugendarbeitslosigkeit ist besiegt“, sagt die Csu-politikerin. Ihr Sozialbericht zeigt, dass die Haushalte in Bayern über das höchste durchschnittliche Nettoeinkommen verfügen. Auf Grundsicherung sind gerade einmal 5,2 Prozent der Menschen angewiesen, weniger als im Rest der Bundesrepublik. Und selbst wenn jemand von Armut gefährdet ist – im Freistaat sei das meist nur vorübergehend, erklärt die Ministerin. Dauerhaft von Armut bedroht seien nur 2,5 Prozent der Menschen – deutschlandweit sind es 6,1 Prozent.
Und dann gibt es das andere Bayern. Das Land, in dem das Armutsrisiko gestiegen sei, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich größer werde und in dem 50 000 Sozialwohnungen fehlten. Von diesem Bayern spricht Doris Rauscher (SPD), auch wenn sie betont: „Wir wollen es nicht schlechtreden.“Doch für sie höre sich Emilia Müller „eher an wie eine Wirtschaftsministerin als wie eine Sozialministerin“. Die Werte, die Müller so positiv bewertet, seien Durchschnittswerte. Wenn diese steigen, helfe das den 1,4 Millionen armutsgefährdeten Menschen in Bayern nicht. Die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Schulze, wirft der Ministerin „Selbstdarstellung mit ordentlicher Schönrederei“vor. Das habe gravierende Auswirkungen, denn auch in Bayern gelte: „Wer arm ist, stirbt früher.“Hans Jürgen Fahn (Freie Wähler) erklärt der Ministerin: „Sie haben nur für 70 Prozent der bayerischen Bevölkerung gesprochen.“Die anderen dürften nicht vergessen werden. „In Bayern gilt nicht nur der Durchschnittswert.“
Fakt ist, dass in Bayern der Anteil der Menschen, die von Armut bedroht sind, steigt. 2010 waren es 10,8 Prozent, 2015 hingegen 11,6 Prozent. Fakt ist aber auch, dass kein anderes Bundesland einen niedrigeren Wert vorweisen kann.