Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wer traut sich an die Tasten?
Aktion An mehreren Orten in Augsburg stehen die Streetpianos der Aktion „Play Me, I’m Yours“. Profis und absolute Anfänger wechseln sich an den Instrumenten ab. Ein Rundgang durch die Stadt
Der Rathausplatz in Augsburg um 15.30 Uhr, die Sonne brennt vom Himmel, die Cafés sind gut besucht. Am Foxtrott-klavier neben dem Augustusbrunnen sitzt Dennis Mazur und spielt – alles Mögliche. Das Titelthema aus „Die fabelhafte Welt der Amelié“, ein paar Takte aus der Filmmusik zu „Fluch der Karibik“und die Hintergrundmelodie des Computerspiel-klassikers „Tetris“. Einige Passanten bleiben stehen, schenken dem 19-Jährigen und seinen Klavierkünsten Aufmerksamkeit. Mazur spielt sicher, obwohl er sich das Instrument erst seit etwa zwei Jahren selbst beibringt. „Ich spiele nur nach Gehör“, sagt er. Das dafür oft und gerne. In seiner Heimat Traunreut hat er inzwischen eine Band, für die er sogar selbst komponiert. Außerdem macht er zurzeit einen Bundesfreiwilligendienst und testet heute, wie es sich anfühlt, im Rollstuhl zu sitzen. Die Aktion soll ihm helfen, den Alltag seiner Patienten besser zu verstehen.
Bald zieht er mit einem Bekannten weiter, doch das Klavier ist nicht lange unbesetzt. Schon wenige Minuten später klettert ein kleines Mädchen, vielleicht zwei, drei Jahre alt, auf das Podest und beginnt vorsichtig damit, einzelne Tasten hinunterzudrücken. Sie findet Gefallen daran, sieht sich um, ob ihr jemand zuhört. Ein paar Töne später hat die Kleine genug, die junge Familie setzt ihren Spaziergang fort. Zwei Jugendliche nutzen derweil die Rückseite des Klaviers als Fotokulisse, spielen wollen sie aber nicht.
Ortswechsel zum Klang-klavier am Herkulesbrunnen in der Maximilianstraße. Eine Gruppe asiatischer Touristinnen entdeckt das Klavier mit der außergewöhnlichen Optik für sich. Eine klimpert, die anderen scharen sich in ihren quietschbunten Kleidern um sie herum, zücken die Smartphones, machen Erinnerungsfotos. Wenig später wagen sich Mutter und Sohn an das Instrument heran. Vincent, zehn Jahre alt, spielt zum allerersten Mal in seinem Leben Klavier und ist sichtlich fasziniert. Neugierig drückt er erst einzelne Tasten nacheinander, dann gleichzeitig, denkt sich kleine Melodien aus. „Normalerweise wäre ich vorbeigelaufen“, sagt seine Mutter. Mit Kind bleibt sie stehen.
Nicht viel älter als Vincent ist Justin, der am Klavier am Rathausplatz sitzt. Er bringt aber schon jede Menge Erfahrung mit. Der Zwölfjährige nimmt seit sechs Jahren Klavierunterricht, übt täglich eine Stunde. Für seinen Auftritt am Rathausplatz hat er einen ganzen Stapel Notenmaterial mitgebracht. Sieben Seiten lang ist die Version von Leonard Cohens „Hallelujah“, die er einstudiert hat und nun für die Passanten zum Besten gibt. Die sind begeistert, spenden Applaus. Einzig der Wind kommt ihm ab und zu in die Quere und verweht die sorgsam zusammengeklebten Noten – da springt seine Mutter kurzerhand ein und hält das Papier fest.
Am meisten Aufmerksamkeit zieht eine Pianistin am Martin-luther-platz auf sich. Dort sitzt Derya, sie spielt ganz in sich versunken „Numb“von Linkin Park und bekommt dafür viel Applaus. Ein älterer Herr fragt sogar nach einem Spendenkörbchen – die 16-Jährige ist ganz überrascht, dass ihr so viele Menschen zuhören. Denn sie hatte nie Klavierunterricht, hat sich ihr Können selbst beigebracht.
Kaum Beachtung hingegen findet das Street Piano am Königsplatz. Ein Junge nutzt den freien Platz am Instrument, um sich auch einmal daran zu versuchen. In der rechten Hand hält er sein Mittagessen – es gibt Dürüm – mit der linken klimpert er auf dem Klavier herum. Die Passanten schenken dem Buben keine Aufmerksamkeit, lassen sich aber auch nicht stören. Manch einer bevorzugt Musik aus seinen Kopfhörern.
Zwei junge Männer interessieren sich aber schon lange für das Instrument. Schließlich kommen sie zu dem Podest, einer von beiden beginnt zu spielen und weiß, was er tut. Ausschnitte aus dem Jazz-standard „Georgia“, ein paar Takte aus Johann Sebastian Bachs berühmter Toccata in D-moll und sogar die anspruchsvolle Rhapsodie Nr. 2 von Franz Liszt. Melodien, die es am Königsplatz nur selten zu hören gibt – interessierte Zuhörer finden sich trotzdem kaum. Doch das stört Jaroslaw Sapototzki nicht, er will einfach spielen. Seit einem Jahr lebt der 22-jährige Ukrainer in Deutschland. „Fünf Jahre lang habe ich überhaupt nicht gespielt“, erzählt er. Vorher besuchte er aber eine Musikschule in seiner Heimat, lernte Klavier 13 Jahre lang. Von der Aktion ist Sapototzki begeistert. So etwas hätte er sich in der Ukraine auch gewünscht.