Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nähmaschinen sind sein Leben
Porträt Andere sind mit 67 Jahren längst im Ruhestand. Raphael Wilhelm hat in diesem Alter mit seinem Fachgeschäft einen Neuanfang gewagt. Wie er sich den Erfolg erklärt
Zur Begrüßung erlaubt sich Raphael Wilhelm einen kleinen Scherz. „Heute ist unsere wichtigste Maschine ausgefallen, die Kaffeemaschine“, sagt er. Der Automat mag für ihn und seine Kolleginnen ein nicht wegzudenkender Begleiter des Arbeitstages sein, seine Kundschaft hat nur Augen für andere Geräte: In dem Laden stehen Nähmaschinen aller Art zum Ausprobieren und Kaufen bereit.
Viele Jahre fanden die Kundinnen (und auch gar nicht so wenige Kunden) das Fachgeschäft am Schmiedberg und dann in der Jakobervorstadt gegenüber der Fuggerei. Jetzt hat es Wilhelm und seine Nähmaschinen in die Donauwörther Straße nach Oberhausen verschlagen. Zwischen einer Änderungsschneiderei und einer Pilskneipe bietet er sein Sortiment nun auf 300 Quadratmetern an. Doch nicht nur die dreimal größere Fläche („wir sind uns in der Jakoberstraße förmlich auf den Füßen gestanden“) stellt für Wilhelm ein großes Plus dar. Auch das Vorhandensein eigener Parkplätze machte den neuen Standort an der Ausfallstraße für ihn interessant. Denn wer will schon sperrige, schwere Geräte quer durch die Stadt schleppen ...
Der gelernte Mechaniker hat sich zu einem Zeitpunkt für den Umzug entschieden, zu dem andere in den Ruhestand gehen. Doch wer glaubt, dass der 67-Jährige mit dem grauen Pferdeschwanz eine Sekunde ans Aufhören gedacht hätte, kennt ihn schlecht: „Das wäre die schlimmste
In seinem Museum stehen 250 Nähmaschinen
Strafe für mich. Nähmaschinen sind mein Leben“, sagt er. Einen Abschied hat er dennoch vollzogen. Raphael Wilhelm gab sein zweites Geschäft in Aichach auf. Dort gab es vor allem Stoffe und Kurzwaren, beides ist jetzt in Augsburg zu haben.
Und was die Nähmaschinen anbelangt: Als er sich vor 35 Jahren in Augsburg selbstständig machte, gab es noch ein halbes Dutzend weiterer Fachgeschäfte. Heute steht Wilhelm allein auf weiter Flur: „Mein Einzugsgebiet reicht vom Donau-ries im Norden bis nach Weilheim im Süden“. Selbst ist der Hausherr meist im hinteren Teil des Geschäfts anzutreffen. Dort wartet und repariert er von früh bis spät Maschinen. Die Arbeit gehe nie aus, ein paar Wochen müssten sich die Kunden zu seinem Bedauern bis zur Abholung schon gedulden. Wer allerdings glaubt, er kann sich von Wilhelm seine im Internet erworbene Maschine wieder zum Laufen bringen lassen, wird schon an der Tür mittels eines eindeutigen Hinweises abgewimmelt.
Der 67-Jährige kann es sich leisten, wählerisch zu sein. Er will seinen Kunden guten Service bieten und nicht den Internethandel unterstützen. Im Verkauf kann er sich auf seine Damen, alle gelernte Schneiderinnen, verlassen. „Wir fragen, was die Kunden mit der Maschine machen wollen und was sie können. Dann bekommen sie das Entsprechende.“Und weil sich auch bei Nähmaschinen die Technik weiterentwickelt, legen sich etliche Kunden eine neue zu und geben die alte in Zahlung. „Manche haben aber auch vier oder fünf zuhause“, weiß Wilhelm. Schließlich geht es auch nicht nur um das Verarbeiten von Stoffen. „Sie glauben ja gar nicht, wer alles eine Nähmaschine braucht.“Beispielsweise der Festwirt, der eine Plane für sein Bierzelt zusammenfügen will ...
Dass die Geschäfte gut laufen, hat Wilhelm aber auch dem Selbermachtrend zu verdanken. Galt früher Handarbeiten als altmodisch und verstaubt, hat nach Beobachtung des Fachmanns auch die Jugend das Nähen für sich entdeckt. Junge Frauen und auch Männer kämen bei ihm vorbei. Und sogar Acht- bis Zehnjährige haben Spaß an der Nähmaschine. „Die checken das mit der Technik“, sagt Wilhelm.
Apropos Technik: Noch rein mechanisch war das gute Stück, das Elias Howe Mitte des 19. Jahrhunderts schuf. An den Erfinder der Nähmaschine erinnert Wilhelm in seinem kleinen Museum im hinteren Teil des Ladens. Anhand von 250 Ausstellungsstücken können sich die Betrachter auf eine Reise in die Vergangenheit der Nähmaschine machen und über sehr filigrane Exemplare staunen. „Zuhause habe ich noch einmal 250 Maschinen“, sagt Wilhelm, der seiner Sammelleidenschaft in einem europäischen Verein frönt – dem Schlingenfänger-club. Und plötzlich ist der 67-Jährige wieder mittendrin in der Zeit, als die Maschinen noch keine Näh-computer waren. Vielfalt und um das Angebot der Teilhabe. Wie das funktioniert, schauen sich immer mehr Besucher vor Ort an.
Das Grandhotel ist zu einer Art Vorzeigeobjekt geworden, das international auf Interesse stößt, wie Teammitglieder erzählen. Besucher aus der ganzen Bundesrepublik, aber auch aus verschiedensten Ländern wie Skandinavien kommen nach Augsburg, um sich das Grandhotel anzusehen. Sie wollen hier Antworten auf Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens finden, erzählen die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins Grandhotel Cosmopolis.
„Zu uns kommen Gäste, die in der Gesellschaftsentwicklung arbeiten“, erzählt Micha Kfir. Viele seien von Organisationen, wie etwa Goethe-institut oder Bund deutscher Architekten. „Die Anfragen werden spezifischer. Wir sollen zu bestimmten Themen Antworten geben“, sagt Peter Fliege. Auch Wissenschaftler würden im Rahmen ihrer Forschung auf sie zukommen. Das Grandhotel, da sind sich alle einig, ist als Lernort inzwischen ziemlich gefragt.