Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Gipfeltreffen zweier Altmeister
Begegnung Als Albrecht Dürer nach Flandern reiste, traf er in Antwerpen auch seinen Kollegen Lucas van Leyden, dessen Druckgrafik jetzt in München zu bestaunen ist. Was alles haben Albrecht und Lucas damals besprochen?
München Wie gerne wäre man schauendes und lauschendes Mäuschen gewesen Anfang Juni im Antwerpen des Jahres 1521!
Albrecht Dürer, der große Meister aus Deutschland, war nach Reisen in Flandern ein letztes Mal in die habsburgische Stadt gekommen. Er hatte unter anderem seine nam- und meisterhaften Kollegen Conrad Meit, Joachim Patinier und Quinten Massys gesprochen – und auch die ihm geneigte Margarete von Österreich, die sich von ihm aber nicht ein Bildnis ihres Vaters, Kaiser Maximilians I., schenken lassen wollte: „Do führet ich ihn wieder weg.“
Aber jetzt stand noch ein Gipfeltreffen an. Lucas van Leyden war aus seiner Heimatstadt Leiden nach Antwerpen gekommen, der große Meister aus Holland, der so viel vom deutlich älteren Dürer gelernt hatte, dass er zumindest zeitweise auf der wichtigen zentralen Frankfurter Messe in Sachen Kupferstich besser vertreten und verkauft war als das Genie aus Nürnberg.
Und nun also standen und saßen sich die gegenseitig Wertschätzung tragenden Kollegen gegenüber. Und genau da hätte man Mäuschen sein wollen! Hätte gern Albrecht über die Schulter geblickt, als er Lucas mit dem Metallstift sorgsam konterfeite – „ein kleins Männlein und bürtig von Leyden“. (Heute wird das kostbare Blatt, durch das eine lebensechte Vorstellung von Lucas überliefert ist, im Museum der Schönen Künste in Lille verwahrt.) Man hätte auch gerne dem Tauschhandel gelauscht, den die beiden vollzogen: Lucas überreichte Albrecht eine Kollektion seiner bis dato entstandenen Drucke, und Albrecht revanchierte sich mit eigenen Grafiken im Wert von acht Gulden.
Was wohl erzählten sich aber die beiden bei ihrem Treffen? Vielleicht schimpften sie ein bisschen auf den dritten großen europäischen Kupferstecher – auf den Italiener Marcantonio Raimondi, der zwar unzweifelhaft ebenso ein wegbereitender Kupferstecher war, aber gleichzeitig halt auch stark abkupferte und seine Quellen nicht nannte. Von Dürer stach er Motive nach und seitenverkehrt auch von Lucas van Leyden – ohne deren Monogramm! Das Schlitzohr gab’s für eigene Bildideen und Arbeiten aus.
Vielleicht hätte Lucas darüber gleichzeitig auch ein wenig Stolz geäußert bei der Zusammenkunft. Denn die Sache war ja die: Schon 1509 hatte ihn der Italiener mit dem Blatt „Pilger bei der Rast“kopiert, und da war er, Lucas, allenfalls erst 20 Jahre alt, also fast noch ein Lernender in seinem Metier – auch wenn er früh schon als Wunderkind gehandelt worden war und später zum ersten und bedeutendsten Kupferstecher der holländischen Renaissance aufstieg. Was Lucas damals freilich noch nicht wissen konnte: dass ihn als Inspirationsquelle selbst der radierende Rembrandt noch schätzen wird.
Vielleicht sind Albrecht und Lucas im Gespräch auch auf einen Augsburger gekommen, auf Daniel Hopfer und dessen Entwicklung der Radierung auf Eisenplatten. Denn sowohl Dürer als auch van Leyden hatten sich eine Zeit lang in dieser Technik versucht, aber schnell wieder Abstand genommen.
Und sicherlich hat Dürer den Jüngeren gefragt, wie er in Holland ohne große Kupferstich-tradition zu einem Meister dieser Art werden konnte. Und Lucas hat womöglich höflich und ehrerbietend geantwortet, dass er unendlich viel durch ihn, Dürer, und den deutschen Meister Martin Schongauer gelernt habe, deren Werke er in den grafischen Privatsammlungen von Leiden betrachten durfte.
Ja, und dann dürften die zwei wohl auch noch Zukunftspläne ausgetauscht haben. Er, Dürer, müsse nach seiner Rückkehr das Nürnberger Rathaus weiter ausschmücken; er, van Leyden, sei so beeindruckt von der kleinen Kupferstich-passion Dürers, dass auch er solch einen Zyklus stechen werde – mit Rückbezügen auf Dürers Folge. Und dieses Motiv des heiligen Hieronymus, das Dürer auf seiner Flandern-reise in Öl ausführte, wolle er nun auch in Kupfer stechen – ebenfalls mit dem Finger des Hieronymus, der mahnend auf den Totenschädel zeigt.
Und so kam es – und heute, knapp 500 Jahre später, sind die wunderbaren, feinst gestochenen Drucke des Lucas van Leyden in der Münchner Pinakothek der Moderne zu bewundern, einschließlich der großen frontalen Kupferstich-tableaus „Die Bekehrung des Saulus“sowie „Das große Ecce homo“. Das Auge scharf stellen und staunen!
Pinakothek der Moderne München: Lucas van Leyden, Laufzeit bis 24. September, Katalog: 39,90 ¤