Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Hängt das E bike das Fahrrad ab?
Die Verkäufe von klassischen Rädern sinken. Wie sich die Branche darauf einstellt
Friedrichshafen Das klassische Fahrrad entwickelt sich immer mehr zum Auslaufmodell. Trotz der günstigen Witterung sind die Zweiradverkäufe in Deutschland im ersten Halbjahr erneut zurückgegangen. Gerade noch gut 2,6 Millionen Räder setzte die Branche zwischen Januar und Juni ab – ein Minus von gut zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Man beobachte die Entwicklung „mit einer gewissen Sorge“, sagte der Geschäftsführer des Zweirad-industrieverbands (ZIV), Siegfried Neuberger, am Rande der Branchenmesse Eurobike in Friedrichshafen.
Damit schreibt sich eine Entwicklung fort, die schon länger anhält. Trotz des Booms von elektrogetriebenen Fahrrädern, sogenannten E-BIkes, setzen sich die Deutschen immer weniger auf den Sattel. Seit dem Jahr 2000 sinken die Verkaufszahlen kontinuierlich – von rund fünf auf gut vier Millionen Stück 2016. Man müsse aufpassen, dass man Kinder und Jugendliche, die heute über eine Vielzahl von alternativen Freizeitbeschäftigungen verfügen, „jetzt für das normale Fahrrad nicht verliert“, sagt Neuberger.
Daddelt Deutschland also lieber als es in die Pedale tritt? Zumindest sieht es so aus, denn auch die traditionsreiche Fahrradindustrie bekommt die Entwicklung zu spüren. Deutschland, das Land, in dem der badische Forstbeamte Karl von Drais vor 200 Jahren die Fortbewegung auf zwei Rädern begründete, verliert als Produktionsstandort an Bedeutung. Nicht einmal mehr zwei Millionen Fahrräder wurden 2016 zwischen Kiel und Konstanz aus den Werkshallen der Hersteller geschoben. Anfang dieses Jahres rutschte der ostdeutsche Groß-fabrikant Mifa, der zu Hochzeiten alleine auf eine Jahresproduktion von rund einer halben Million Fahrrädern kam, in die Pleite. Die Auswirkungen waren auf dem deutschen Markt deutlich zu spüren. Insbesondere bei Discountern und Baumärkten blieben im Frühjahr die Angebote von niedrigpreisigen Einstiegsmodellen aus – „schlicht, weil keine Räder verfügbar waren“, wie Branchenbeobachter Neuberger sagt.
Daneben gewinnt das Ausland als Produktionsstandort immer mehr an Gewicht. Osteuropa hat sich als verlängerte Werkbank auch für die deutschen Hersteller etabliert. Allein auf Polen und Bulgarien entfällt mittlerweile rund ein Fünftel der deutschen Zweiradimporte. Ein weiteres Fünftel der in Deutschland verkauften Drahtesel stammt aus Kambodscha – ein Umstand, der auf eine Auftragsfertigung für den Fachhändler-zusammenschluss ZEG zurückgeht, dem bundesweit knapp
1000 Fahrradhändler angehören. Dass Asien nicht noch mehr Gewicht auf dem deutschen Fahrradmarkt einnimmt, geht übrigens auf Handelsbarrieren zurück, mit denen die EU ihre Industrie gegen BilligKonkurrenz abschottet. Ähnlich wie bei Solarzellen oder Stahl erhebt die Union seit den 1990er Jahren auch auf Fahrräder aus dem Reich der Mitte nämlich Anti-dumping-zölle, die aktuell bei 48,5 Prozent des Einfuhrwerts liegen. Als Folge konzentriert sich die von kleinen und mittelständischen Fahrradschmieden geprägte Branche immer mehr.
Gleichzeitig steigt der Absatz von E-bikes scheinbar unaufhörlich – und hier ist die deutsche Industrie gut aufgestellt. Seit mehreren Jahren legen die Verkäufe im Inland zweistellig zu – auf schätzungsweise
680 000 Stück für das Gesamtjahr
2017. Deutschland sei weltweit der Leitmarkt, sagt Claus Fleischer, Geschäftsführer von Bosch ebike Systems, dem in Deutschland führenden Antriebshersteller für die Elektroräder. In Übersee lockt perspektivisch ein Riesengeschäft. „Die USA hinken Deutschland beim Thema E-bike drei bis fünf Jahre hinterher“, sagt Fleischer.