Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ehe wird für junge Afghanin zur Hölle
Ein 23 Jahre alter Mann soll seine Frau immer wieder misshandelt haben und sitzt deswegen auf der Anklagebank. Am zweiten Verhandlungstag sagt seine Frau aus. Was sie schildern muss, fällt ihr sichtlich schwer
Die Frau spricht leise, sie flüstert fast. Ihren Kopf hält sie gesenkt. Immer wieder muss sich die Dolmetscherin, die gleich neben ihr sitzt, nah an sie heranbeugen, um etwas zu verstehen. Es ist für die Zeugin eine schwierige Situation. Sie soll hier, im Gerichtssaal im Augsburger Strafjustizzentrum, erzählen, was ihr widerfahren ist, was sie erlitten hat. Darum geht es in diesem Prozess vor der Dritten Strafkammer des Landgerichtes.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Augsburg richten sich gegen den Ehemann der Frau, einen 23 Jahre alten Mann aus Afghanistan. Er soll laut Anklage in einem Zeitraum von November 2015 bis zum 17. Dezember 2016 mindestens zweimal pro Woche auf seine Frau eingeschlagen haben, in der Anklage heißt es, es habe mehr als 100 Fälle gegeben. Eifersucht war demnach meist der Anlass. Zudem soll er sie dreimal vergewaltigt haben.
War es so? Um das herauszufinden, muss das Gericht detailliert nachfragen und prüfen. Die Frau, eine heute 24 Jahre alte Afghanin, tritt im Prozess als Nebenklägerin auf. Sie müsste nicht aussagen, schließlich ist der Angeklagte ihr Ehemann. Die Zeugin sagt aus. Und sie belastet den Angeklagten schwer. Vor acht oder neun Jahren, berichtet sie, habe sie nach islamischem Recht geheiratet, ein Mullah habe sie getraut. Von Anfang an, sagt sie, habe ihr Mann sie beleidigt und geschlagen. Sie berichtet von Fußtritten und Faustschlägen, etwa in die Nierengegend, manchmal so hart, dass sie danach kaum habe aufstehen können. Ende 2015 kam das Ehepaar mit zwei Kindern nach Deutschland. Nach einem Umzug innerhalb Augsburgs sei es schlimmer geworden mit den Misshandlungen, berichtet sie. Einmal habe sie einen Teppich kaufen wollen. Sie habe einen Bekannten in Österreich angerufen, damit er übersetze. Als ihr Mann davon erfahren habe, sei er ausgerastet. Drei Mal habe er sie an dem Tag geschlagen.
Nach Ansicht der Ermittler fasste die Frau nach der Tat an dem Tag den Entschluss, sich und ihre Kinder aus Verzweiflung zu ertränken. Sie ging an dem Abend mit ihren beiden Kindern an die Wertach in Oberhausen und drückte sie unter das Wasser. Offenbar hatte sie vor, sich danach selbst zu töten. Die Frau ließ schließlich von ihrem Vorhaben ab, sie und die Kinder überlebten.
Zu den mutmaßlichen Vergewaltigungen auszusagen, fällt der jungen Frau deutlich schwerer als zu den mutmaßlichen Misshandlungen. „Ich muss Sie das fragen“, sagt Roland Christiani, der Vorsitzende Richter der Strafkammer. Wo genau haben sich die Taten abgespielt? Und wie? Es sind zentrale Fragen in dem Strafverfahren. Doch die Hürden, sie zu beantworten, sind für die Zeugin hoch. Es sind Hürden der Sprache und auch der Scham. In dem Kulturkreis, erklärt die Dolmetscherin, sei es etwa nicht üblich, über Dinge wie den Samenerguss eines Mannes zu reden.
Drei Mal sei sie in Deutschland vergewaltigt worden, sagt die Zeugin. Teilweise entstehen Widersprüche zu ihren Aussagen, die sie bei der Polizei und vor dem Ermittlungsrichter machte, etwa bei der Frage, ob ihr Mann sie zwang, sich auszuziehen, oder ihr eigenständig die Kleider vom Leib riss. Ihre Aussage dauert mehrere Stunden. Manchmal antwortet sie ausweichend, manchmal erst nach einer Weile und stockend, den Blick nach unten gerichtet. Ihre Mandantin sei Analphabetin, habe nie eine Schule besucht und an einer schweren Depression gelitten, sagt ihre Anwältin Cornelia Mccready. Es stelle sich die Frage, wie sehr sie in der Lage sei, alles, was ihr passiert sei, wiederzugeben. Das Verfahren gegen die Zeugin wurde nach Informationen unserer Redaktion wegen Schuldunfähigkeit eingestellt.
Der Angeklagte, der von Rechtsanwalt Moritz Bode verteidigt wird, hatte die Vorwürfe am ersten Verhandlungstag weitgehend abgestritten. Der Prozess wird fortgesetzt.