Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn der Hahn kräht ... oder: die ungleichen Schwestern. Warum sich der Stadtmarkt nicht hinter dem Viktualien­markt verstecken muss

- VON JÖRG SPOEDE

Kräht er? Oder kräht er nicht? Der grüne Hahn hoch über der Freifläche auf dem Augsburger Stadtmarkt ist eine Diva. Manchmal kräht er zehn Minuten vor der vollen Stunde, manchmal fünf Minuten danach und manchmal überhaupt nicht. Dann vergisst er die Zeit. Da geht es ihm nicht anders als mir, denn auf dem Stadtmarkt im Herzen von Augsburg passiert genau das. Beim gemächlich­en Bummel an den bunten Ständen vorbei und durch die geschäftig­en Hallen vergesse ich die Zeit. Und bekomme Appetit! Eine Scheibe würzigen Bergkäse auf die Hand? Oder lieber ein Stück hausgemach­ten Strudel, der duftet ja noch … für die herzhaften Gelüste gibt’s noch einen Krautkrapf­en aus der Fleischhal­le. Alles durcheinan­der, das muss auf dem Markt so sein, wir sind ja nicht im Sternerest­aurant. Auf keinen Fall fehlen darf ein Gläschen Wein aus der Pfalz ... oder doch lieber aus der Steiermark? Na klar, sehr viel bekannter ist der Münchner Viktualien­markt. Viele Jahre schaute ich vom Wohnzimmer­fenster aus direkt auf das muntere Treiben. Traumlage, aber auf Dauer auch etwas anstrengen­d. Denn das Tempo auf dem Viktualien­markt ist ein anderes als auf dem Stadtmarkt. Von Gemächlich­keit keine Spur, wenn sich täglich Tausende von Touristen in Dreierreih­en durch das Getümmel schieben. Exotische Früchte zu Fantasiepr­eisen, Saisongemü­se das ganze Jahr verfügbar – alles hat seinen Preis. Da weicht der Ottonormal­münchner lieber auf den nächsten Supermarkt aus. Volle Taschen dagegen auf dem Augsburger Stadtmarkt. Auf der Freifläche hinter der Fleischhal­le verkaufen Bauern aus dem Umland ihre Waren. Alles selbst geerntet. Die Kunden sind seit Jahren bekannt. Von den Zwetschgen gestern waren drei matschig, gut, dann tu ich Ihnen heute fünf oben drauf. Einen selbst gebundenen Blumenstra­uß für den Küchentisc­h dazu? Die Astern und Dahlien sind heute früh geschnitte­n. So geht Markt. Persönlich, frisch und freundlich. Und erschwingl­ich muss alles sein, sonst wird das nichts! Zurück zu unserem launigen Stadtmarkt-maskottche­n, dem grünen Hahn. Besonders gut sind seine Kapriolen von der Marktgasts­tätte aus zu bewundern, von der sonnigen Außenterra­sse oder bei Wind und Wetter vom Restaurant in der ers- ten Etage. Einer meiner Lieblingsp­lätze in Augsburg übrigens, rustikales Mobiliar, große Fenster zum Markt hinaus und der wunderbare Charme der sechziger Jahre, authentisc­her geht es nicht. Hier treffen sich die Markt’ler und machen ihre Pausen, debattiere­n über Wetter und Geschäfte und die Lage der Nation. Bei einem Bier, das – na ja – eine traditions­reiche Münchner Brauerei liefert. Aber nichts ist vollkommen und kleine Schönheits­fehler sind erlaubt, gerade die machen den Augsburger Stadtmarkt so sympathisc­h und lassen ihn jedem Vergleich mit der größeren Schwester in der Landeshaup­tstadt mit Bravour standhalte­n! Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Radlerlebe­n“mit Ansichten und Geschichte­n aus dem Alltag eines Radlers in Augsburg.

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 ??  ?? Jörg Spoede arbeitet für einen Münchner Fachverlag und ist als Reiseredak­teur weltweit unterwegs. In Augsburg hat er Wurzeln geschlagen. ***
Jörg Spoede arbeitet für einen Münchner Fachverlag und ist als Reiseredak­teur weltweit unterwegs. In Augsburg hat er Wurzeln geschlagen. ***
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