Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn der Hahn kräht ... oder: die ungleichen Schwestern. Warum sich der Stadtmarkt nicht hinter dem Viktualienmarkt verstecken muss
Kräht er? Oder kräht er nicht? Der grüne Hahn hoch über der Freifläche auf dem Augsburger Stadtmarkt ist eine Diva. Manchmal kräht er zehn Minuten vor der vollen Stunde, manchmal fünf Minuten danach und manchmal überhaupt nicht. Dann vergisst er die Zeit. Da geht es ihm nicht anders als mir, denn auf dem Stadtmarkt im Herzen von Augsburg passiert genau das. Beim gemächlichen Bummel an den bunten Ständen vorbei und durch die geschäftigen Hallen vergesse ich die Zeit. Und bekomme Appetit! Eine Scheibe würzigen Bergkäse auf die Hand? Oder lieber ein Stück hausgemachten Strudel, der duftet ja noch … für die herzhaften Gelüste gibt’s noch einen Krautkrapfen aus der Fleischhalle. Alles durcheinander, das muss auf dem Markt so sein, wir sind ja nicht im Sternerestaurant. Auf keinen Fall fehlen darf ein Gläschen Wein aus der Pfalz ... oder doch lieber aus der Steiermark? Na klar, sehr viel bekannter ist der Münchner Viktualienmarkt. Viele Jahre schaute ich vom Wohnzimmerfenster aus direkt auf das muntere Treiben. Traumlage, aber auf Dauer auch etwas anstrengend. Denn das Tempo auf dem Viktualienmarkt ist ein anderes als auf dem Stadtmarkt. Von Gemächlichkeit keine Spur, wenn sich täglich Tausende von Touristen in Dreierreihen durch das Getümmel schieben. Exotische Früchte zu Fantasiepreisen, Saisongemüse das ganze Jahr verfügbar – alles hat seinen Preis. Da weicht der Ottonormalmünchner lieber auf den nächsten Supermarkt aus. Volle Taschen dagegen auf dem Augsburger Stadtmarkt. Auf der Freifläche hinter der Fleischhalle verkaufen Bauern aus dem Umland ihre Waren. Alles selbst geerntet. Die Kunden sind seit Jahren bekannt. Von den Zwetschgen gestern waren drei matschig, gut, dann tu ich Ihnen heute fünf oben drauf. Einen selbst gebundenen Blumenstrauß für den Küchentisch dazu? Die Astern und Dahlien sind heute früh geschnitten. So geht Markt. Persönlich, frisch und freundlich. Und erschwinglich muss alles sein, sonst wird das nichts! Zurück zu unserem launigen Stadtmarkt-maskottchen, dem grünen Hahn. Besonders gut sind seine Kapriolen von der Marktgaststätte aus zu bewundern, von der sonnigen Außenterrasse oder bei Wind und Wetter vom Restaurant in der ers- ten Etage. Einer meiner Lieblingsplätze in Augsburg übrigens, rustikales Mobiliar, große Fenster zum Markt hinaus und der wunderbare Charme der sechziger Jahre, authentischer geht es nicht. Hier treffen sich die Markt’ler und machen ihre Pausen, debattieren über Wetter und Geschäfte und die Lage der Nation. Bei einem Bier, das – na ja – eine traditionsreiche Münchner Brauerei liefert. Aber nichts ist vollkommen und kleine Schönheitsfehler sind erlaubt, gerade die machen den Augsburger Stadtmarkt so sympathisch und lassen ihn jedem Vergleich mit der größeren Schwester in der Landeshauptstadt mit Bravour standhalten! Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Radlerleben“mit Ansichten und Geschichten aus dem Alltag eines Radlers in Augsburg.