Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Schulz will mehr für Frauen tun
„Sogar Peru hat ein besseres Handynetz als wir.“Kanzlerkandidat Der SPD-CHEF wirft Angela Merkel vor, vieles verhindert zu haben. Das würde er im Fall eines Siegs gerne anpacken: Lohnungleichheit abbauen, Rückkehrrecht in Vollzeitjobs
SPD Kanzlerkandidat Martin Schulz im Gespräch mit unserer Zeitung zu Versäumnissen bei der Digitalisierung Berlin/marburg „Als Erstes würde ich die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen angehen. Und dann eine nationale Bildungsallianz auf den Weg bringen.“Sollte Martin Schulz aus der Bundestagswahl in knapp zwei Wochen als Sieger hervorgehen, er wüsste jedenfalls genau, womit er seine Arbeit als Kanzler beginnen würde. Zwar sehen ihn auch die jüngsten Umfragen zur Wählergunst weit hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU. Doch der Spd-kanzlerkandidat verweist im Gespräch mit unserer Zeitung in Marburg auf andere Umfragen, nach denen sich fast jeder Zweite in Deutschland noch nicht entschieden habe, wen er wählt. Diese Unentschlossenen wolle er in den verbleibenden Tagen überzeugen, sagt Martin Schulz.
Im Endspurt seines Wahlkampfs setzt er voll auf das Thema, mit dem er zu Beginn des Jahres so fulminant gestartet war: die soziale Gerechtigkeit. Es waren auch Schulz’ flammende Bekenntnisse für eine fairere Gesellschaft, für mehr Respekt für die „kleinen Leute“, die die SPD in den Umfragen zeitweise auf Augenhöhe mit der Union brachten. Doch dann folgte der Absturz – drei Landtagswahlen verlor die SPD, Schulz vermochte nicht mehr an die Begeisterung anzuknüpfen. Jetzt besinnt er sich auf seine alte Kernbotschaft: „Nach zwölf Jahren Angela Merkel“sei es in Deutschland um Gleichheit und Gerechtigkeit nicht gut bestellt.
Schulz sieht eine Reihe „erschreckender Befunde“. Deutschland gehe es zwar als Land gut, aber dass es jedem im Land gut gehe, sei ein Trugschluss. „Zum Beispiel haben wir eine Zwei-klassen-medizin. Viele Bürger machen die Erfahrung, dass sie im Wartezimmer sitzen, und jemand, der nach ihnen gekommen ist, kommt vor ihnen dran. Weil er privat versichert ist.“
Wenn die Regierung beim Rentensystem nicht eingreife, werde die Altersarmut gewaltig zunehmen, warnt Schulz. Vor allem Frauen würden darunter leiden. Im Bereich der Pflege beklagt der Spd-vorsit- „Verhältnisse, dramatisch sind“.
Die Sozialdemokraten, die in den vergangenen 19 Jahren 15 Jahre entweder den Kanzler gestellt haben oder an der Regierung beteiligt waren, hätten durchaus „eine Menge durchgesetzt“. Den Mindestlohn nennt Schulz, die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, die Ehe für alle.
„Doch wir hätten viel mehr schaffen können“, sagt Schulz. Angela Merkel und die Union aber hätten dies nicht zugelassen. „Zum Beispiel wurde das Rückkehrrecht für Frauen von Teilzeit in eine Vollzeitstelle von Angela Merkel, von einer Frau, blockiert. Sie hat eine ganze Reihe von Entscheidungen verhindert, mit denen wir sozialen Fortschritt hätten erzielen können.“Dafür müsse Merkel geradestehen. Schulz: „Mit einer Spd-geführten die teilweise Regierung erreichen.“
Martin Schulz fordert eine Gemeinschaftsfinanzierung von Bund und Ländern bei den Schulen. „Es gibt 30 Milliarden Steuerüberschüsse. Die würde ich nicht in die Rüstung stecken, wie das Frau Merkel plant. Sondern in Bildung, in die Infrastruktur und in den geförderten Wohnungsbau.“In vielen Städten könnten selbst Doppelverdiener die Miete kaum noch bezahlen, Studenten müssten mehr Zeit mit der Wohnungssuche als mit dem Studium verbringen. Dies sei ein „Riesenproblem“.
Die Arbeitswelt stehe durch den digitalen Wandel vor großen Veränderungen. Schulz findet: „Wir müssen das in Deutschland viel stärker als Chance begreifen! Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass durch die Digitalisierung auch neue Arbeitszende könnten wir viel mehr plätze entstehen werden.“Doch das Land sei dabei, seine digitale Zukunft zu verspielen, liege bei der digitalen Infrastruktur hinter Chile und Mexiko. Sogar Peru habe ein besseres Handynetz. Der Kanzlerkandidat kritisiert, dass der Breitbandausbau „überhaupt nicht funktioniert“. Es bedürfe einer neuen Risikokapitalkultur.
Nicht nur in der Gründerfreundlichkeit hinke Deutschland den USA hinterher, auch in vielen Technologiefeldern. „Da ist eindeutig nicht genug gemacht worden“, sagt Schulz. Die Politik müsse die richtigen Rahmenbedingungen setzen – auch der Autoindustrie, die sich durch den Diesel-skandal selbst in Schwierigkeiten gebracht hat. „Und zwar ohne diese Form der Kumpanei mit den Konzernen, für die Verkehrsminister Dobrindt steht“, sagt Schulz.