Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Stille Brunnen sind tief
mühsam in die Tiefe, ein Kampf Meter um Meter. Zweifel untergraben die Moral, es wird immer gefährlicher, aber Aufgeben geht nicht, irgendwann muss Wasser kommen …
Orhan Pamuk verlangt dem Leser zunächst die Geduld und Aufmerksamkeit eines Brunnenbauers ab. Über hundert Seiten entschleunigt der Nobelpreisträger seine Geschichte von Cem, der durch Zufall Lehrling des erfahrenen Brunnenbauers Mahmut wird, den er nur „Meister“nennt und der für ihn zu einer Vaterfigur wird. Cems wirklicher Vater, ein Kommunist, in der Türkei verfolgt und gefoltert, hat die Familie und seine Apotheke verlassen. Während Cem und Meister Mahmut im Auftrag eines Unternehmers zusammen auf einer kahlen Ebene vor Istanbul nach Wasser
„Wie seltsam es doch war, überhaupt zu leben.“
graben, verliebt sich der junge Cem im Ort, Öngören, in eine rothaarige Frau, die doppelt so alt ist wie er – eine Schauspielerin, die jeden Abend in einem Theaterzelt in der Garnisonsstadt auftritt. Die kommunistische Truppe spielt dort auch die Legende von Rostam und Sohrab. Auch Meister Mahmut war einmal in diesem Zelt. Cem, 17, verbringt eine Nacht mit der rothaarigen Schauspielerin – und er flieht aus Öngören, nachdem ihm in einem Moment der Unachtsamkeit ein Eimer mit Gestein in den Brunnenschacht fällt, wo Mahmut arbeitet. Danach kein Lebenszeichen mehr