Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Von der Widerständigkeit der Kultur
In Zeiten, in denen gerne mal von „Leitkultur“schwadroniert wird, kommt ein Buch, das überhaupt erst einmal zu erklären versucht, was Kultur ist, gerade recht, sollte man meinen. Und in der Tat greift Terry Eagleton darin weit aus, man könnte aber auch sagen: Er mäandert durch die Geistesgeschichte. Von Platon bis zu seinen Hausheiligen Burke, Herder, Marx und Wilde lässt der Literaturwissenschaftler kaum jemanden aus, der zum Thema nicht irgendetwas beizutragen hätte, und das alles liest sich – wie stets bei dem ebenso vielseitigen wie typisch britisch-ironischen Autor – mit Gewinn und Genuss. Alleine, eine Theorie der Kultur liefert Eagleton nicht, auch wenn er sich müht, etwa den Unterschied zwischen „Kultur“und „Zivilisation“herauszuarbeiten. Interessanter da schon der Unterschied zwischen einer frühen Arbeit zum Thema („Was ist Kultur?“, 2001) und dem aktuellen Buch, in das ein bisschen mehr Skepsis ein- und dem wiederaufkommenden Nationalismus Rechnung gezogen scheint. Dass er diesem mit seiner kulturellen Identitätspolitik ablehnend gegenübersteht, verwundert nicht, einem blinden Multikulturalismus redet er aber auch nicht das Wort. Und so changiert Eagletons „kulturelle Rückbesinnung“als Immunisierung gegen die Anfechtungen der Zeit eher so als dritter Weg irgendwo dazwischen. Alleine die Schwierigkeit, das zu fassen, was Kultur ausmacht, zeigt aber auch, wie widerständig sie sein kann. Terry Eagleton: Kultur A. d. Englischen v. Hainer Kober, Ullstein, 208 Seiten, 20 Euro
Man stelle sich nur vor: Martin Schulz, wie er in Rom oder dann halt zumindest vor dem Rathaus in Würselen inmitten von viel geistlicher und weltlicher Prominenz und Popanz zum Kanzler gekürt wird… Kann sich das jemand überhaupt vorstellen? Nein, natürlich nicht. Und das hat nur zum Teil mit einem völlig vergeigten Wahlkampf zu tun, zu einem weitaus größeren aber mit der recht jungen, traditionsarmen Demokratie in Deutschland, die jedweden Ritualen der Macht auch aufgrund dunkler historischer Erfahrungen nachvollziehbarerweise skeptisch gegenübersteht.
Anderswo sieht das anders aus, und so beginnt Rainer Hank sein „Lob der Macht“mit einer nur auf den ersten Blick verblüffenden Parallelmontage: Zum einen der Kaiserkrönung Karls IV. in Rom, zum anderen der Inauguration Donald Trumps am 20. Januar diesen Jahres. Was der Autor damit sagen will: Seht her, so viel hat sich in all den Jahrhunderten nicht verändert. Doch das Beispiel Trump ist wohlfeil, denn auch die Feierlichkeiten zur Amtseinführung eines Barack Obama waren von nicht weniger gravitätischem Zeremoniell. Der Unterschied zwischen aktuellem Amtsinhaber und dessen Vorgänger liegt eher in einem öffentlich zur Schau gestellten Willen zur Macht, und hier würde es spannend.
Doch Hank geht es zunächst um etwas anderes: Zu zeigen, dass Macht überhaupt stattfindet, allgegenwärtig ist, und das schon immer, und darauf verwendet der Autor viele Beispiele (vornehmlich aus der Wirtschaft) und Seiten, denn Macht ist in seinen Augen so etwas wie die verdrängte Seite unserer Existenz: „Wir verachten die Macht und müssen doch zugeben, dass wir in Wahrheit die Machtmenschen bewundern, ihrem Charme und ihrem Charisma erliegen und ganz im Geheimen vielleicht selbst gerne einer wären.“Macht ist also anrüchig, zumindest eine ambivalente Sache, und geht uns alle an, ja, Hank geht sogar so weit, mit dem Verhaltensforscher Frans de Waal von einer anthropologischen Konstante zu sprechen, also etwas, das uns allen von Höhlenmenschen-zeiten an eingeschrieben und deswegen überall anzutreffen ist. Im Kindergarten, in Beziehungen, in Wirtschaft und Politik – überall geht es um Macht (oder finden sich zumindest Machtverhältnisse), und Macht ist für den Wirtschaftsjournalisten deswegen auch „die alles bewegende Triebfeder einer Fortschrittsgeschichte“, der „Wille zur Macht verantwortlich für die Wachstumsdynamik einer
„Die alles bewegende Triebfeder einer Fortschrittsgeschichte“
Gesellschaft“. Ist in Wahrheit also Macht der Anfang von allem?
Was gewiss zutrifft und nicht ganz unpraktisch ist: Macht kann soziale, also die Beziehungen von mindestens zwei Individuen, strukturieren, ist genau aus diesem Grund aber auch immer verliehen, in halbwegs idealen menschlichen Gefügen, Gesellschaften und Geschäftsfeldern Verhandlungssache oder eine des Wettbewerbs. Macht hat potenziell also jeder, und Hank, studierter Literaturwissenschaftler, Philosoph und Theologe, führt denn auch Hegel an und dessen berühmte Herr-knecht-dialektik, die gegenseitige Abhängigkeit und Bedingtheit von Über- und Untergeordnetem (was, nebenbei bemerkt, für einen Hartz-iv-empfänger nur ein schwacher Trost sein mag). Macht aber hat vor allem immer auch das Potenzial, missbraucht zu werden, und daher auch ihr schlechter Ruf.
Deswegen kann es unter bestimmten Umständen hilfreich sein, nicht allzu offensichtlich nach ihr zu streben. Es geht dann immer um die Sache, manchmal – und da ist besondere Vorsicht geboten – um einen höheren Zweck. Das „Don’t be evil“(Nicht böse sein, gell!) des Internetgiganten ist ein schönes Beispiel, und der Autor treibt sein „Lob der Macht“nicht so weit, als dass er die immense Machtkonzentration der Tech-konzerne aus dem Silicon Valley gutheißen würde, im Gegenteil: Stets betont er, dass Macht der Kontrolle und der Konkurrenz bedarf. Man kann jedoch unterstellen, dass es diese naturgemäß erst einmal schwer hat, wenn es doch vermeintlich gar nicht um Macht geht, das Nicht-zeigen der Macht so zum Wettbewerbsvorteil wird. Das gilt auch für die Politik, in der eigentlich doch Macht beziehungsweise das Streben nach ihr als Allererstes vermutet werden kann. Für den Soziologen Niklas Luhmann,
Versuch der Enttabuisierung eines viel verdrängten Prinzips der Gesellschaft
den Hank ebenfalls erwähnt, war jedenfalls klar, dass Macht das System Politik überhaupt erst konstituiert. Und dennoch: In zivilen, auf rechtsstaatlichen Prinzipien basierenden Gesellschaften ist diese Macht nicht nur institutionell eingehegt, sondern darf auch nicht zu sehr zur Schau gestellt werden, in Zeiten eines allumfassenden Gleichheitsdogmas wird Machtbewusstsein ungern gesehen. Kein Wunder jedenfalls, dass eine Angela Merkel, die sich alle Mühe gab und gibt, diese Machtansprüche hinter ihrer Mutti-maske zu verbergen, so erfolgreich ist, paradoxerweise eben genau deswegen so viel Macht hat.
Doch dass diese Methode an ihre Grenzen stößt, zeigen nicht nur die jüngsten Wahlen hierzulande, sondern auch Aufstieg und Bewunderung für machtbewusst auftretende Typen wie Trump, Erdogan, Putin. Das liegt gewiss an den von vielen als unübersichtlich empfundenen Zeiten, aber auch der dem Zeitgeist geschuldeten, verklemmten Tabuisierung von Macht, die eben das Gegenteil von aufgeklärt und zivilisiert ist. Und im schlimmsten Fall dann Monster gebiert. Gut also, dass Rainer Hank trotz aller Unschärfen daran mal wieder ein bisschen rüttelt. Rainer Hank: Lob der Macht Klett Cotta, 192 Seiten, 20 Euro