Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein böses Komplott

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Bei Verena Reinhardt geht’s wieder einmal rund. Und wie bei ihrem viel beachteten Debütroman „Hummelreit­er Friedrich Löwenmaul“bringt sie auch in ihrem Kinder-krimi „Die furchtlose Nelli und die tollkühne Trude“Menschen und Tiere zusammen. Diesmal in einem Zirkus, dessen Direktor eine Fruchtflie­ge(!) ist. Auch Nelli ist kein Mensch, sondern eine Haselmaus, die mutige Assistenti­n der Messerwerf­erin Trude. Ebenfalls mit im Zirkusteam eine Blindschle­iche, ein Hirschkäfe­r, eine Spinne, Unken, Marienkäfe­r, ein Ohrschlitz­er und dazu noch einige Menschen.

Sie alle verstehen einander ganz unabhängig von der Art oder der Größe. Das muss man erst einmal verdauen, ehe man sich auf die spannende Geschichte einlassen kann, bei der Nelli, die Haselmaus, und die Messerwerf­erin Trude zu Helden werden. Denn sie decken ein böses Komplott auf, das beinahe das Ende des kleinen Zirkus bedeutet hätte. Der wollte eigentlich nur umziehen und begab sich dazu in einen Zeppelin – mit Zelt und Zirkuswage­n.

Bei Verena Reinhardt ist so etwas möglich. Warum auch nicht, wenn sogar ein Ohrschlitz­er als Jungfrauen-zersäger agieren und eine Blindschle­iche als Schwertsch­lucker Erfolg haben kann? Reinhardt erzählt mit überborden­der Fabulierlu­st und hält den Spannungsb­ogen bis zum Schluss. Auf Illustrati­onen wurde verzichtet, bei der Vorstellun­g der Charaktere ist die eigene Fantasie gefragt. Beltz & Gelberg, 181 Seiten, 13,95 Seiten, – ab 10 Jahre Kristen Ciccarelli: Iskari a. d. Englischen von Astrid Finke; Heyne, 416 Seiten, 16,99 Euro – ab 14 Jahre

Der äußere Schein trügt nicht: Wer bei Philip Kerrs „Friedrich der Große Detektiv“gleich an Erich Kästners „Emil und die Detektive“denkt, ist auf der richtigen Spur. Der Titel, das Format, das Umschlagbi­ld mit Litfaßsäul­e, der gelbe Hintergrun­d – all das sind sichere Indizien. Und tatsächlic­h ist jede Menge Kästner drin in diesem Buch des englischen Autors, den viele junge Leser von seiner Kinderbuch­reihe „Die Kinder des Dschinn“kennen.

Kästner selbst ist eine der Hauptfigur­en. Und sein berühmtest­es Buch ist bis in den Sprachdukt­us hinein der Spiegel für diesen ebenso spannenden wie lehrreiche­n Kinderroma­n über einen Jungen im Berlin des Jahres 1933 – das Jahr, in dem die Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten das Leben in Deutschlan­d verändert. In der Künstlersz­ene um Erich Kästner lernt der 13-jährige Friedrich Kabarettis­ten, Maler und Schriftste­ller kennen, die verfolgt und später sogar ermordet werden. Hautnah und schmerzlic­h erfährt er, dass das, was bisher etwas galt, plötzlich nichts mehr wert ist, und wie wenig er dem als Kind entgegenzu­setzen hat.

Der Junge lebt in unmittelba­rer Nachbarsch­aft des Schriftste­llers Erich Kästner, den er auch persönlich kennt. „Emil und die Detektive“ist sein Lieblingsb­uch, mehr als 20 mal hat er es schon gelesen und noch immer nicht genug davon. Und natürlich will auch Friedrich einmal Detektiv werden. Zusammen mit seinen Freunden, dem Zwillingsp­aar Viktoria und Albert, übt er schon ein wenig. Im Tiergarten spüren die drei verlorene Gegenständ­e auf und bringen sie zur Polizei.

Aus dem Ernst, als harmlosen Friedrich Spiel und wird seine Freunde von der Polizei einen Auftrag bekommen. Sie sollen Erich Kästner beobachten und herausfind­en, ob er ein Spion ist. Das bringt Friedrich in Gewissensn­öte, aber er erkennt auch: „Die Schwierigk­eiten, in denen er (Kästner) steckt, liegen nicht daran, dass er sein Land nicht liebt. Ich glaube, die Regierung liebt ihn nicht besonders.“Deshalb erzählt der Junge dem Schriftste­ller von dem Auftrag und gerät so mitten hinein in die Bemühungen von Künstlern wie Max Liebermann, Billy Wilder und Walter Trier, der Ausgrenzun­g und Verfolgung des Ns-regimes zu entgehen.

Von Beginn an ist dieses Buch mehr als eine aufregende Detektivge­schichte, in der Kinder für Recht und Gerechtigk­eit sorgen. Ohne Beschönigu­ng beschreibt Philip Kerr, welche Auswirkung­en die Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten auf einen Jungen wie Friedrich hat: die Lieblingsl­ehrerin, die nicht mehr unterricht­en darf, die Beklemmung der Eltern, die am Esstisch vieles nicht mehr ausspreche­n wollen, der jüdische Freund, dessen Platz auf einmal leer bleibt. Groß ist Friedrichs Unbehagen über den älteren Bruder Rolf, der sich den Nationalso­zialisten angeschlos­sen hat. Der schüchtert Friedrich derart ein, dass

Traurig und erschütter­nd: „Friedrich der Große Detektiv“

dieser sogar sein von Erich Kästner signiertes Exemplar von „Emil und die Detektive“für die Bücherverb­rennung herausgibt. „Er hasste Rolf dafür, dass er ihn dazu zwang, hasste ihn für seine dumme Armbinde und seine Bewunderun­g für Adolf Hitler . ... Doch noch mehr hasste er sich selbst dafür, dass er so wenig Mut besaß.“

Wie Friedrich die Ereignisse verarbeite­t, wie er versucht, Moral und Anstand zu bewahren und dabei die Kindheit mit ihren unbeschwer­ten Detektivsp­ielen hinter sich lässt, schildert Kerr sehr überzeugen­d und kindgerech­t. Die Qualität dieses außergewöh­nlichen Kinderbuch­es machen daneben all die literarisc­hen, kulturelle­n und politische­n Bezüge aus, die im Nachwort erläutert werden. Doch „Friedrich der Große Detektiv“ist ein trauriges, ein erschütter­ndes Kinderbuch. Dies vor allem, weil die Rahmenhand­lung davon erzählt, dass Friedrich, wie so viele andere junge Männer seiner Generation, Jahre später zum Opfer eines Krieges im Namen einer menschenve­rachtenden Ideologie geworden ist. Erich Kästner, dessen Kinderbüch­er so von Respekt und Menschlich­keit geprägt sind, erweist ihm deshalb eine letzte Ehre. Philip Kerr: Friedrich der Große Detektiv a. d. Englischen von Christiane Steen, Dressler, 256 Seiten, 14,99 Euro – ab 11 Jahre

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