Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Im Alleingang
Fall drei für Querdenker de Bodt
Er beherrscht das Spiel mit falschen Fährten, unerwarteten Volten und Cliffhangern aus dem Effeff – und seine weltweit in die zig Millionen gehenden Leser lieben Jo Nesbø dafür. Bei „Durst“, dem elften Band der Thriller-reihe um den Mordermittler Harry Hole, werden die Fans des norwegischen Krimistars nicht enttäuscht. Wohl selten hat Nesbø so viele Überraschungen in seine komplexen, oft hochgradig artifiziellen Handlungsgerüste eingebaut. Und wohl selten hat er Horrorund Schock-elemente derart betont wie in diesem knallharten Roman. So viel als Lockstoff – oder als Warnung, je nachdem. Der (nicht ganz) trockene Alkoholiker Hole wird vom krankhaft ehrgeizigen Polizeipräsidenten Mikael Bellman genötigt, die Spur des bluttrinkenden Psychopathen – eines „Vampiristen“– aufzunehmen, der in Oslo über das Dating-portal Tinder seine Opfer sucht. Das Ausmaß des Schreckens, aber auch der Hochspannung schon im ersten Teil des Romans übertrifft alles, was man von Nesbø gewohnt war. Geschickt verwebt Nesbø in seinem neuen Pageturner (gut 620 rasant lesbare Seiten) klassische Krimimotive: den verrückten Wissenschaftler, die eigensinnig drauflos schnüffelnde Reporterin, den selbstgewissen Mörder. Sogar ein Quäntchen Humor beweist er, indem er ausgerechnet Hole zum Kneipenbesitzer macht. Aber Nesbø spult diesmal eben auch eine besonders lange Reihe von Splatter-szenen ab. Nach einigen nicht immer hundertprozentig plausiblen Wendungen kommt es gleich zweimal zum Showdown – atemberaubend geschrieben, aber, na klar, extrem blutig. Jo Nesbø: Durst a. d. Norwegischen von G. Frauenlob, Ullstein, 624 Seiten, 24 Euro Alleingang. Ein Wort, das Eugen de Bodts Verhalten perfekt beschreibt. Der Berliner Hauptkommissar ist ein sturer Bock – kompromisslos zieht er seine Ermittlungen durch und lässt sich nur von seinen beiden engsten Mitarbeitern etwas sagen. De Bodt unterläuft die Hierarchie, missachtet Dienstanweisungen, ist eine Zumutung für Polizei und Politik. Und ein Geschenk für Christian v. Ditfurths Leser. Denn die trockenen, teils zynischen Kommentare des Ermittlers und dessen scharfe Typisierung der Behördenbürokraten sind einmalig: „Wie er diese Pinkel satthatte. Überzeugungsfrei, karrierebewusst. Diener ihres Herren. Die Pension im Auge.“
„Giftflut“– der dritte Fall des intellektuellen Querdenkers dreht sich um eine verheerende Anschlagsserie. In Berlin, Paris und London sterben bei Brückenexplosionen hunderte Menschen. Die Politik reagiert panisch, die Bevölkerung hat Angst, es kommt zu Übergriffen auf Minderheiten und Flüchtlinge. Rechtsparteien sind im Aufwind. Aktienmärkte und Wirtschaft stürzen ab. Nur ein Mann hat das Gespür für die Botschaft hinter dem Terror: der intellektuelle Querdenker de Bodt. Mit genialen Einfällen kommt er den Tätern auf die Spur.
In Christian von Ditfurths Thrillern geht es immer um mehr als einen aktuellen Fall – der Berliner Schriftsteller deckt die Strukturen hinter Politiker- und Polizistenfassaden auf. Und er zeigt, wie getrieben viele seiner Protagonisten von Geld, Gier und Macht sind. Ein rasanter, spektakulärer Politthriller auf hohem internationalen Niveau.
Harry Hole verfolgt einen Vampiristen
Christian v. Dit furth: Giftflut Carl’s books, 480 Seiten, 15 Euro Was passiert, wenn die zivilisierte Welt verschwindet? Wie verhalten sich Menschen, wenn sie wieder von ganz vorne anfangen müssen? Ohne Elektrizität und Kanalisation, regierungs- und gesetzlos? Diesen Fragen spürt Deon Meyer nach. Südafrikas erfolgreichster Thrillerautor schreibt diesmal nicht seine Bennie-griessel-reihe weiter, sondern wählt ein apokalyptisches Szenario: 95 Prozent der Weltbevölkerung sterben an den Folgen eines Fiebers. Willem Storm und sein Sohn Nico zählen zu den Überlebenden. Sie beschließen, eine neue, friedliche Gemeinschaft aufzubauen. Das Zusammenleben funktioniert zunächst hervorragend. Die Bewohner züchten Tiere, bauen Obst und Gemüse an, gründen ein politisches Komitee und erarbeiten ein Grundgesetz. Das einfache, überschaubare Leben ohne Smartphones, Stress und Konsum tut den Menschen gut. Doch schon bald wird eine eigene Armee nötig, um die mittlerweile auf 5000 Menschen angewachsene Stadt vor Feinden zu schützen. Neid, Zwietracht und Gier treten zutage. Das Gemeinwohl verblasst, Egoismus kehrt zurück.
Den Aufbau der neuen Zivilgesellschaft und die Gefährdung ihrer Existenz beschreibt Deon Meyer schonungslos und packend aus verschiedenen Perspektiven. Haupterzähler ist Nico, der als 47-Jähriger auf die bewegten Jahre zurückblickt. Zwischen dessen Erinnerungen streut Meyer Protokolle mehrerer Bewohner und thematisiert existenzielle Fragen: Können wir überhaupt auf Dauer in Frieden leben? Sind Menschen vielleicht doch nur domestizierte Raubtiere? Antworten gibt der überraschende Schluss.
Endzeitfantasie mit überraschendem Schluss
Deon Meyer: Fever a. d.englischen von Stefanie Schäfer, Rütten & Loening, 702 Seiten, 19,99 Euro