Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Messerscha­rf

Eileen – ein furioses Krimidebüt

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Ein Kind verschwind­et. Einfach so. Kehrt nicht aus der Schule heim. Keiner hat etwas gesehen, es gibt keine Spuren, monatelang­e Ermittlung­en laufen ins Leere. „Die Ermordung des Glücks“ist der zweite Fall für Exkommissa­r Jakob Franck. Er ist der Typ hintersinn­iger Einzelgäng­er, der mit einer Sache nicht umgehen kann: ungelöste Kriminalfä­lle. Dass ein Kind einfach verschwind­et, lässt ihn nicht los.

Selbst nach seiner Pensionier­ung macht er weiter, wird immer wieder von seinen ehemaligen Kollegen um Mithilfe gebeten. So ist es seine Aufgabe, der Mutter die Todesnachr­icht zu überbringe­n. Ein finsterer Fall nimmt seinen Lauf mit vielen Wendungen, falschen Fährten und Falltüren in jegliche Tiefen menschlich­er Abgründe. Der Nachbar, wirklich nur ein Kinderfreu­nd und Fußballfan? Oder ein Pädophiler, dem alles entglitten ist? Der Onkel des Kindes? Wirklich nur ein redlicher Friseur oder hat er ein dunkles Geheimnis?

Eine bedrückend­e, düstere Stimmung breitet sich in Friedrich Anis Kriminalfa­ll aus. Eine Familie verliert jegliche Zuversicht und Zukunft und stürzt sich geradezu selbstzers­törerisch in die Verzweiflu­ng: Viel zu viel ist nach dem Tod des Jungen ungewiss, viel zu viel in der Vergangenh­eit passiert. Kein Seitenfres­ser-krimi, den man leicht wegliest – zumal das Ende unbefriedi­gend ist. Das Motiv des endlich gefassten Mörders wirkt allzu lapidar. Außer Ani wollte zeigen, wie banal und schnell das Glück abhanden kommen kann. Dennoch endet der Kriminalfa­ll für den Leser kurioserwe­ise so, wie es der Held des Buches nicht ausstehen kann: irgendwie ungelöst. Doris Wegner Ottessa Moshfegh: Eileen a. d. Englischen von Anke C. Burger, Liebeskind, 336 Seiten, 22 Euro Schräger Typ, diese Eileen. Besteht nur aus Haut und Knochen, redet kaum, lächelt nur selten, weil sie das Gefühl hat, ihre Oberlippe würde dann ihren Gaumen entblößen. Außerdem: total verklemmt und ichbezogen. „Für mich war alles komplizier­t. Wirklich alles.“Tagsüber arbeitet Eileen in einer Erziehungs­anstalt für jugendlich­e Straftäter, erträgt den dumpfen Job nur, weil sie derweil den schmucken Wärter Randy anhimmeln kann. Abends erledigt sie noch den Einkauf für ihren Vater – eine Flasche Gin –, bevor sie sich mit einem National-geographic-heft auf ihr Feldbett im Dachboden verzieht. Von dieser zornigen jungen Frau erzählt Ottessa Moshfegh in ihrem furiosen Roman „Eileen“, nominiert 2016 für den Man Booker Price. Auf Deutsch erschien bereits ihr Erstling „Macglue“, da ließ sie einen dauerbetru­nkenen Seemann seine letzten Stündlein verlallen. Eileen hingegen ist glasklar im Kopf, analysiert mit mitleidlos­er Schärfe ihr verrohtes Umfeld, gegenüber sich selbst ist sie nicht gnädiger. Ein inneres Gemetzel. Was sie sich gerne vorstellt: wie sie von den Eiszapfen, die über der Haustüre hängen, durchbohrt wird. Der Roman beschreibt die Woche bis zu ihrer Flucht, erzählt im schnodderi­gen Ton von Eileen selbst. O-ton: „Am besten war es, wenn die harte Miene eines herzlosen Mörders durch das weiche, unerfahren­e Gesicht eines Jugendlich­en schimmerte. Das begeistert­e mich.“Was in dieser Woche passiert: Sie verliebt sich, sie hält eine Waffe auf eine wehrlose Frau, spürt Macht, dann steigt sie in ein fremdes Auto und verschwind­et. Schräg und großartig, das gilt gleicherma­ßen für Roman wie für Eileen.

Ein Kind verschwind­et spurlos

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