Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Fall für eine Lobrede
Literatur Ein unterhaltsamer Roman über das deutsche Justizwesen? Petra Morsbach gelingt das in ihrem Buch „Justizpalast“, in dem sie dem Lebensweg einer Münchner Richterin folgt
Beginnen wir mit einem Fallbeispiel. Es geht um die Rock-buam Gmbh. Die hat vom Freistaat Bayern ein Gelände für ein Open Air gepachtet, erfolgreiche Sache, die Brauerei St. Stephan sponsert das Ganze. Dann aber verlangt der Freistaat, dass die Rock-buam das Bier von einer anderen Brauerei beziehen, einer nämlich, an der man selber verdient. Der Sponsor zieht sich zurück, den Rock-buam fehlt das Geld, sie stornieren die Termine … Open Air abgesagt. Und der Freistaat? Will jetzt eine Ausfallentschädigung! Klage abweisen? Oder Klage zulassen?
Und schon ist man mittendrin in diesem Werk von Petra Morsbach, in dem der Schriftstellerin mit leichter Hand Schweres gelingt: ein ungemein lesenswerter und unterhaltsamer Roman über das deutsche Justizwesen, ja, fast eine Hommage. Aber nicht anhand von aufsehenerregenden Strafrechtsfällen oder dramatischen Familiengerichtentscheidungen, sondern indem die Autorin den oft wenig spektakulären Arbeitsalltag einer Münchner Juristin verfolgt – vom Referendariat übers Amtsgericht bis hin zur Kammer für Kartellrecht, deren Vorsitz jene Thirza Zorniger am Ende innehat.
Und ebenfalls bemerkenswert: dass da tatsächlich keine Fachfrau schreibt. Kein/e Dichterjurist/in wie Juli Zeh, Ferdinand von Schirach oder Bernhard Schlink, sondern eine Autorin, die sich gerne über ihre Romane fremden Berufswelten nähert: wie zum Beispiel im „Opernroman“oder in „Gottesdiener“. Mit „Justizpalast“legt sie nun ein Werk vor, das man als Einfüh- rungslektüre auch gleich mal angehenden Jura-studenten ans Herz legen könnte: dick gefüllt mit Rechtsfällen aller Art. Ehedramen, Erbstreitigkeiten, Kartellabsprachen, Gnadengesuche… Neun Jahre lang hat Morsbach, Jahrgang 1956, an ihrem Roman gearbeitet, an den Gerichten hospitiert, mit mehr als fünfzig Juristen gesprochen, sie die Fälle noch einmal gegenlesen lassen. Juristisch also ist offenbar nichts auszusetzen. Fast entscheidender ist aber für den Leser dann wohl dies: Es handelt sich um einen Fall von großartiger Literatur!
Und das, obwohl sich Morsbach nicht scheut, den trockenen, wenn auch präzisen Juristenjargon in den Roman zu importieren. Die kleine
„Genug“, sagte Thirza: „Wir sind kein Sachbuch.“
Einführung ins Werberecht auf Seite 192 liest sich dann so: „Stelle ein Unternehmen mit seiner Werbung ein Merkmal heraus, deute die von ihm selbst in diesem Merkmal eingeräumte Bedeutung darauf hin, dass dem auch ein korrespondierendes Verbraucherinteresse entspreche…“
Da braucht es gelegentlich tatsächlich Lesedisziplin, aber in der Gesamtheit liest sich das alles andere als dröge. Weil Morsbach mit dieser Sprache literarisch spielt, sie sacht moduliert. Und weil sie diesen Jargon einbettet in ihre eigene Sprache und Erzählweise: nüchtern, klar, hintersinnig, ironisch, pointensicher. Zweite Kostprobe daher: „,Genug‘, sagte Thirza. ,Wir sind kein Sachbuch. Was hat das alles in einem Roman zu suchen?‘“
Überhaupt, Thirza! Kind einer stürmischen, dann desaströsen Ehe, der Vater bekannter Schauspieler, der die „gelassene Erwartung eines bewährten Zuchthengstes“ausstrahlt, die schöne Mutter hat er während ihres Referendariates am Strafgericht abgefangen. Als die Ehe zerbricht, findet die kleine Thirza ein Zuhause beim Großvater und den betagten Tanten im Pasinger Häuschen. Der Großvater war einst Strafrichter in der Ns-justiz, später ist er als Jurist beim Rundfunk gelandet, ein gefühlskalter Patriarch, aber Thirza richtet sich dennoch nach ihm aus und weiß früh, wo es im Leben hingehen soll: Sie „wollte für Gerechtigkeit sorgen“.
Die aufrechte Thirza, die spät nach der Liebe zur Justiz auch noch die andere entdeckt, ihrem Lebensweg also folgt Morsbach, erzählt nicht linear, sondern in Rückblenden und Zeitsprüngen, und schaut ihr quasi über die Schulter bei der Suche nach Gerechtigkeit. Im Zentrum des Romans aber steht die Justiz: Morsbach skizziert Fälle, porträtiert scharfsinnig die verschiedenen Juristen-typen, auch die ja nur Menschen, und beschreibt eine Justiz, die allen Vorurteilen zum Trotz eben doch oft reibungslos funktioniert, aber an Überlastung zusammenzubrechen droht.
Merke: Nach außen hin mag der Münchner Justizpalast ehrfurchteinflößend und imposant wirken, drinnen aber wird in heruntergekommenen Büros gewerkelt, ein alter Ölschinken an der Wand zur Zierde, die Regale einsturzgefährdet. „Das ist also unsere Gerechtigkeitsfabrik: am Ende hoher höhlenartiger Zimmer sitzen Richter wie Grottenolme auf Papierbergen, jeder für sich…“, schreibt Morsbach. Und mittendrin eine „allmählich im Geschirr ermüdende Thirza“, die sich angesichts der hier anbrandenden Streitlust fragt: „Sie hatten mehr Rechte denn je in ihrer Geschichte und mehr Rechte als fast alle Bürger sonst auf der Welt, und was taten sie? Sie litten und tobten. Sie prozessierten sich um Kopf und Kragen.“
Und zugleich folgt Morsbach ihrem eigenen Gerechtigkeitsempfinden, verwebt im Roman die Merkwürdigkeiten in der Causa Strauß um ein angebliches Auslandskonto mit über 300 Millionen Deutschen Mark, knüpft daran eine Kardinalfrage: Welche Staatsanwaltschaft bestraft sich selbst?
Petra Morsbach ist für ihren Roman mit dem Wilhelm-raabe-literaturpreis 2017 ausgezeichnet worden, sie war für den Bayerischen Buchpreis 2017 nominiert (den am Dienstagabend Franzobel für seinen Roman „Das Floß der Medusa“gewonnen hat). Ihre Richterin Thirza Zorniger trifft im Roman bei der Suche nach Lektüre ebenfalls eine andere Wahl: „Morsbach, keine Ahnung, was daran komisch sein soll. Thirza stand in einer Eingebung auf, ging in den Keller, griff in eine Trivial-kiste und kehrte mit einer Handvoll Courths-mahler zurück.“Einspruch an dieser Stelle und ein Plädoyer: Nichts gegen Courthsmahler, aber doch lieber Morsbach lesen! Da steht dann auch, wie es weitergeht im Rechtsstreit mit den Rockbuam und dem Freistaat…
» Petra Morsbach: Jus tizpalast. Knaus, 480 S. 25 ¤