Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Als die Kirchen modern wurden
Architektur Fast 90 neue Sakralbauten sind im Bistum Augsburg seit 1960 entstanden. Das Diözesanmuseum dokumentiert eine unglaublich schöpferische Phase. Sie blieb nicht ohne Kritik
Augsburg Fast 90 neue Kirchen sind in der Diözese Augsburg seit 1960 gebaut worden. Die Phase der Wiederherstellung nach den Kriegsverlusten und -beschädigungen an Sakralbauten ging nahtlos in einen architektonischen Aufbruch über, der eine große Vielfalt an katholischen Kirchen hervorbrachte – zeitlos gültige Ikonen der Moderne ebenso wie strittige Kompromisse mit dem Zeitgeist. Die ganze Bandbreite thematisiert das Augsburger Diözesanmuseum St. Afra jetzt mit einer Sonderausstellung und einem umfänglichen Katalog.
Eine „unglaublich schöpferische Architektursprache und produktive Bauphase“bescheinigt die Kuratorin Sabine Klotz unserer Epoche. Wie keine andere spiegele sie liturgisch-theologische wie bautechnologische Wandlungen wider. Geradezu waghalsige statische Konstruktionen wurden erstmals angewendet, festgeschriebene Anordnungen und Zweckbestimmungen gerieten in Bewegung.
Unmittelbarer Auslöser war die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) mit ihren Leitbegriffen der „tätigen Teilnahme“und des „Volkes Gottes“. „Infolgedessen ist es zu einem Wandel in der Auffassung von Sakralarchitektur gekommen“, erklärt Klotz und betont im selben Atem- zug auch, dass das Konzil keine allgemein verbindliche Bauform erlassen habe. Es stand mithin den Planern und Bauherrn frei, wie sie das erneuerte Religionsverständnis in ein neues Raumkonzept umsetzten.
Zunächst war dies der Zentralraum, der die Gemeinde sammelte, beispielhaft erstmals ausgeführt von Thomas Wechs senior in der 1962 eingeweihten Augsburger Pfarrkirche Don Bosco im neuen Stadtquartier Herrenbach. Er wölbte eine Halbkugel, behielt aber noch die Orientierung auf einen Altar ganz vorne. Immerhin ordnete er die Bänke fächerförmig an. Diesem Prinzip folgten weitere Kirchen, etwa St. Pius in Augsburg-haunstetten (1964 eingeweiht) und die muschelförmige Kirche Herz Mariä in Diedorf (Landkreis Augsburg) von Josef Ruf.
Eine konstruktiv gewagte Spielart verwirklichte Josef Wiedemann in der Kirche Zu den Heiligen Engeln in Landsberg auf der Lechleite. Ihr setzte er wie eine Krone ein freitragendes Faltdach aus gezackten, sehr komplizierten hölzernen Trägerflügeln auf, im Volksmund „Zitronenpresse“genannt. Der Altar rückte aus der Apsis immer mehr ins Zentrum, folgerichtig überbaut vom Zelt Gottes auf Erden wie bei Maria am Wege in Windach in der Nähe des Ammersees, ebenfalls von Josef Wiedemann geplant (1965/66).
Immer mehr kam der Werkstoff Beton beim Kirchenbau ins Spiel. Er war relativ billig, ersparte dank seiner reliefierten Oberfläche weitere Wandverkleidungen und erlaubte große Überspannungen. Fertigteile konnten zum Einsatz kommen: „In Leitershofen, Zum auferstandenen Herrn, 1969/70 mit Fertigteilen errichtet, wurden die Baukosten um zwanzig Prozent unterschritten“, berichtet Sabine Klotz. Außerdem hielt man Beton für robust, „erst in drei Generationen sollte eine Renovierung fällig werden“, erzählt die Kuratorin. Im Frost aufgesprengte, rostende Stahlbetonpartien sollten die zukunftsgläubigen Bauherrn viel früher eines Besseren belehren.
Über manch klotzige Ästhetik kann man trefflich streiten. Einige graue Betonkirchen wurden bald als „Gottesgarage“abgetan. Es sei denn, der Architekt ging spielerisch mit dem Material um. Wie es der Zürcher Justus Dahinden in der Pfarrkirche Zur Göttlichen Vorsehung in Königsbrunn tat (1971 eingeweiht). Künstlerisch eigenwillig dachte dieser von der Form her und ordnete ihr die Funktion zu. Aus der Alltagswelt führt er die Gläubigen in wunderliche Räume mit Durchgängen und Durchsichten und einer ausgeklügelten Lichtregie.
Auf das Gegenteil zielten Mehrzweckkirchen ab, nicht mehr exklusiv dem Sakralen vorbehalten. In Kempten steht für dieses Konzept Christi Himmelfahrt, entworfen 1968 von Robert Gerum und Karl Rubner. Nach außen wirkt die Kirche wie eine Halle. Als ihre Existenz infrage stand, wurde mit Glaswänden die Mehrfachnutzung neuerdings fortgeschrieben, ohne die Sakralität des Raums aufzugeben. In Günzburgs Heilig Geist, 1970 bis 1973 von Hermann Öttl gebaut, gleicht zwar auch das ausgespannte Flachdach mit Rohrkonstruktionen und Blechpaneelen eher einer Turnhalle, doch die großflächige Wandmalerei von Prof. Franz Nagel unterstreicht den Anspruch, Kultraum zu sein. Selbst die sehr traditionelle Gebetsstätte Wigratzbad entschied sich für ihr Marienheiligtum für eine poppig rot-blaugrün gefasste offene zeltartige Stahlkonstruktion.
Manches moderne Element ist inzwischen (glättenden) Sanierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen, bedauert die Architekturhistorikerin Sabine Klotz. Und es stellt sich eine neue Herausforderung infolge der stark rückläufigen Kirchlichkeit der Bevölkerung: Die Kirchen sind überdimensioniert und müssen reduziert werden. Auch dazu zeigt die Ausstellung einige Beispiele.
Diözesanmuseum Augsburg, Kornhausgasse 3, Laufzeit bis 11. März 2018. Geöffnet Di. bis Sa. 10 17 Uhr, So. 12 18 Uhr. Der Katalog „Zeichen des Aufbruchs“, hgg. v. Sabine Klotz, erscheint im Kunstverlag Josef Fink (341 Seiten, 35 Euro).