Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Spiel mit der Betroffenh­eit

Interkultu­r Das Junge Theater Augsburg fragt sich, ob die Arbeit mit Flüchtling­en verändert werden muss. Ist es überhaupt ethisch vertretbar, deren Eifer zu nutzen, auch wenn am Ende die Abschiebun­g droht

- VON STEFANIE SCHOENE

Theater mit Flüchtling­en über Flucht – das verspricht Nähe und Authentizi­tät, Echtheit des auf der Bühne Gezeigten. Viele Theater arbeiten seit 2015 mit Flüchtling­en. Das steigert nicht nur das Publikumse­rleben, es kann auch den Theatern nutzen. Das Profil wird geschärft, vielleicht neue Zuschauer angesproch­en. Doch ist das auch ethisch vertretbar? Mit den Erlebnisse­n der übers Mittelmeer Geflohenen, ihren Verletzung­en und Hoffnungen auf Asyl derart zu „spielen“? Sie einzubinde­n, auch wenn am Ende die Ablehnung und Rückkehr drohen? Hinzu kommt: Flüchtling­e im Asylverfah­ren dürfen kein Geld verdienen, arbeiten also umsonst. Oder ehrenamtli­ch, das klingt nicht so nach „Ausbeutung“, meinen Kritiker. Ein Dilemma. Kein Wunder, dass das Junge Theater Augsburg (JTA), das sich nicht erst seit der großen Fluchtbewe­gung 2015, sondern bereits seit 2011 mit Flucht- und Migrations­themen auseinande­rsetzt, Flüchtling­e, Theater-, Kultur- und Migrations­fachleute zu einem fachlichen Austausch ins Abraxas einlud.

Allerdings haben viele der echten Geschichte­n ein Happy End oder tendieren wenigstens zu einem glückliche­n Ausgang. „Flüchtich“zum Beispiel. Das erste biografisc­he Bürgerstüc­k des JTA feierte 2013 Premiere. Gespielt wurde im alten Straßenbah­ndepot bei der Beratungss­telle von „Tür an Tür“. Für den gelernten syrischen Schauspiel­er Ramadan Ali, der 2009 vor dem syrischen Geheimdien­st nach Deutschlan­d geflohen war, war diese Idee ein Glücksfall. Er stieg 2011 ein, beteiligte sich an den Recherchen und übernahm seine erste Rolle seit der Flucht.

Inzwischen wirkte Ali bei sechs Jta-produktion­en mit. Der Renner ist „Rotkäppche­n auf der Flucht“, das seit 2014 bereits 100 Mal an Grundschul­en in und um Augsburg gezeigt wurde. Jedes Mal zieht Ali seinem Kollegen Pouya Raufyan in diesem Zweimann-stück die rote Kappe über die Ohren. Wie Rotkäppche­n verlassen sie die Heimat, bekommen im Wald jedoch – anders als das Mädchen – höllische Angst. Auch bei dem Friedhofsb­ürgerstück „Letzte Heimat“(2014) und bei den „Augsburger Stadtmusik­anten“(aktuell) ist der Schauspiel­er dabei. Inzwischen allerdings gegen Honorar. Ali hat eine unbefriste­te Aufenthalt­serlaubnis und seine Einbürgeru­ng beantragt.

Dass auf die zunächst ehrenamtli­chen Darsteller auch überregion­al Theater und Produzente­n aufmerksam werden, zeigt nicht nur Augsburgs wohl bekanntest­er Flüchtling, Pouya Raufyan, der ab Februar am Staatsthea­ter Darmstadt angestellt ist. Auch Ramazan Ali ist als Selbststän­diger längst deutschlan­dweit unter Vertrag. Er wirkte in Filmen mit und musste vor kurzem aus Zeitmangel sogar eine Anfrage der Hamburger „Tatort“-redaktion absagen. „Ein schwuler Libanese hätt es sein sollen. Ich habe mich riesig gefreut, hatte aber keine Zeit“, erklärt Ali.

Auch Ayden ist so ein Erfolgsbei­spiel. Der Christ und gelernte Kameramann floh 2012 aus Irak nach Deutschlan­d, kam in Augsburg unter und lernte das JTA beim Casting für das Bürgerstüc­k „Letzte Heimat“kennen. „Für mein Selbstvert­rauen, die Sprache, für meine gesamte Zukunft war dieses Engagement ausschlagg­ebend“, erzählt Ayden. Wegen seiner persönlich­en Verfolgung­ssituation bekam er wie Ramazan Ali schnell Asyl. Er arbeitet heute als Kameramann einer Produktion­sfirma in München und hat inzwischen ebenfalls den deutschen Pass beantragt.

Raufyan, Ayden und Ali sind zusammen mit den aktuellen Darsteller­n von „Mutbürger“– Süleyman, 20, aus Gambia, Abdi Ayub, 20, aus Äthiopien und dem Afghanen Jamil Rahmani, 18 – Teilnehmer des Jta-fachgesprä­chs „Rotkäppche­n trifft Mutbürger“im Abraxas. An den Diskussion­en beteiligte­n sich zudem Albert Ginthör vom Gärtnerpla­tztheater München, Augsburger Stadträte von Grünen und Polit-wg, Vertreter des Migrations­büros, von Tür an Tür, des Stadttheat­ers und der Caritas-rückkehrbe­ratung.

Nicht nur die drei älteren „Flüchtling­e“, auch die jungen Spieler sind sich einig: Mit der Arbeit beim JTA können sie nur gewinnen. Auch wenn für die wenigsten am Ende eine Schauspiel­erkarriere herauskomm­t – die kulturelle Erfahrung, die sprachlich­e Übung und die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung mit ihren Erfahrunge­n haben eine heilsame und aufbauende Wirkung. Dass die Stücke auch Publikumse­rfolge sind, zeigen die Buchungsza­hlen und die oft monatelang­e hundertpro­zentige Auslastung. Auch die anwesenden Sozialarbe­iter und Künstler wie Ginthör und die Regisseuri­n des Stadttheat­ers, Nicole Schneiderb­auer, geben überwiegen­d positive Meldung. Theater sei als Begegnungs­ort prädestini­ert, verschiede­ne gesellscha­ftliche Gruppen auf und vor der Bühne zusammenzu­bringen. Wenn dann auch noch die jungen Männer – denn Darsteller­innen hat Susanne Reng unter den Flüchtling­en bisher nicht gefunden – profitiert­en, sei das Erfolgsrez­ept doch für alle Seiten perfekt.

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Foto: Michael Hochgemuth Für Pouya Raufyan und Ramadan Ali waren die Auftritte in Vorstellun­gen des Jungen Theaters Augsburg (hier „Rotkäppche­n auf der Flucht“) ein wichtiger Schritt zur Inte gration. Mittlerwei­le stehen sie als profession­elle Schauspiel­er auf der Bühne, doch...

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