Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Ozeanriesen aus der deutschen Provinz
Vor Ort Auf der Meyer Werft in Papenburg kann man zuschauen, wie die neuen Megaliner zusammengebaut werden
Groß, größer, Meyer Werft. Dass ausgerechnet im beschaulichen Örtchen Papenburg die Giganten der Meere gebaut werden, hat eine lange Tradition. Seit 1795 gibt es die Meyer Werft – und als einzige von ehemals 24 Werften hat sie bis heute überlebt. Wohl auch dank vorausschauender Planung. Statt der traditionellen Holzkähne wurden ab 1872 dampfbetriebene Eisenschiffe gebaut, und nach der Eröffnung einer neuen Seeschleuse 1902 konnte die Werft auch größere Schiffe herstellen. Entscheidend aber für den späteren Erfolg war dann die Verlegung der Werft an den Stadtrand.
Bernhard Meyer, der zusammen mit zwei Söhnen das Familienunternehmen in der siebten Generation leitet, setzt hier auf das Prinzip der kurzen Wege. Auf dem 75 Hektar großen Werftgelände stehen zwei Schiffsbauhallen. Die größere ist mit 504 Metern Länge, 125 Metern und 75 Metern Höhe die größte der Welt. Seit hier 1986 das erste Kreuzfahrtschiff vom Stapel lief, ist die Werft auf Ozeanriesen spezialisiert – und die Auftragsbücher sind voll. 40 Luxusliner für Kunden aus aller Welt haben bisher die Werft verlassen, darunter Disney-dampfer und die imposante „Quantum oft the Seas“mit Aussichtsgondel, Autoscooter und Fallschirmsimulator.
Vor kurzem erst wurde die „Norwegian Bliss“ausgedockt, 334 Meter lang und speziell für Alaska-reisen konzipiert. Am Ausrüstungspier soll nun der Schornstein montiert werden. Die spektakuläre Emsüberführung Richtung Nordsee ist für das zweite Märzwochenende geplant und sie wird wieder Hunderte von Schaulustigen anziehen. Denn gegen so einen Megaliner wirkt die ohnehin puppenstubenhafte Papenburger Umgebung immer wieder wie eine Liliput-welt.
Als nächstes wird mit der „Aida das weltweit erste Kreuzfahrtschiff die Werft verlassen, das sowohl auf See als auch im Hafenbetrieb mit emissionsarmem Flüssigerdgas (LNG) betrieben werden kann, ein baugleiches Schwesterschiff folgt. Dass die Aida-aufträge nach Papenburg zurückgewonnen werden konnten, nachdem letzten zwei Schiffe bei Mitsubishi Heavy Industries gebaut wurden, ist für die Meyer Werft nicht nur ein Erfolg, der milliardenschwere Auftrag sichere die Zukunft für die nächsten Jahre. Für das Kussmund-schiff wurde sogar ein eigener Anbau erstellt. Im August soll der 337 Meter lange und 42 Meter breite Rohbau das Emsland verlassen. Ab Dezember soll die „Nova“dann zu Kanaren-kreuzfahrten ablegen.
In der Halle 2 der Meyer Werft wird derweil der Rohbau aus Blöcken zusammengesetzt. Etwa 100 Blöcke, die bis zu 1200 Tonnen schwer sein können, bilden ein Schiff. Die 250 000 Besucher, die alljährlich das Werftgelände in Papenburg besuchen, können durch große Fenster dabei zusehen, wie die Schiffe nach dem Lego-baukastenprinzip konstruiert werden. Sie können erleben , wie vorproduzierte Teile auf der Blockbaufläche von gigantischen Kränen in die Höhe gehoben werden und Menschen, klein wie Legofiguren, herumwuseln.
3300 Mitarbeiter sind derzeit in der Werft beschäftigt, dem größten Arbeitgeber der Region. Auf dem Rundgang können die Besucher mit einigen von ihnen in Kontakt kommen: „Virtual Reality“macht’s möglich. Sie können das komplizierte Innenleben der Ozeanriesen bewundern, das die Ingenieure vor imbreite mer neue Herausforderungen stellt, und sich in den Schaukabinen wie Kreuzfahrtgäste fühlen. Sie können die ersten und die letzten Schiffsmodelle bewundern – und die Zeichnung, die Disney-chefzeichner Carl Barks der Werft geschenkt hat.
Und man kann sich natürlich anhand eines Films über die Geschichte der Werft informieren, die einst mit Wilm Rolf Meyer begann und die natürlich auch mit einigen Anekdoten gewürzt ist. So lieferte die Werft im Auftrag der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts 1913 die „Graf Goetzen“, in Einzelteile zerlegt und in wasserdichten Kisten
Die neue Aida, 337 Meter lang, wird gerade gebaut
verpackt, an den Tanganjikasee, wo der Passagierdampfer von mitgereisten Werkarbeitern zusammengesetzt wurde. Nur um ihn gleich wieder zu versenken, damit er den feindlichen Briten nicht in die Hände fallen konnte. Heute befährt das aus dem Film „African Queen“bekannte Schiff als „Liemba“den Tanganjikasee – dank der Weitsicht der Papenburger, die alle Maschinenteile sorgfältig eingefettet hatten, konnte das Schiff nach dem Weltkrieg gehoben werden.
Ebenfalls versenkt und später wieder gehoben wurde die „Elbe I“im Zweiten Weltkrieg. 1948 sollte das Feuerschiff fertig gebaut und ausgeliefert werden. Dafür mussten allerdings die im Krieg zerstörten Eisenbahnbrücken als Klappbrücken wiederaufgebaut werden. Ein Glücksfall für die Werft und für Papenburg. Der internationale Durchnova“ bruch gelang dem Familienunternehmen schließlich 1955 mit dem Kombischiff „Mauritius“, das neben Passagieren auch Vieh und Stückgüter transportieren konnte.
Längst haben die Bedürfnisse der Neuzeit die Dimensionen der Werft von einst gesprengt. Da, wo die alte Werft ihren Sitz hatte, steht heute ein Hotel, das die ehemalige Schiffbauhalle integriert hat. Denn die Seeschleuse war trotz mehrfacher Vergrößerung zu klein für eine Überführung geworden.
Dass die Schiffe in Zukunft noch größer werden – die Aida Nova hat Platz für 6000 Passagiere – bezweifeln die Papenburger. Die natürliche Begrenzung durch die Ems gäbe es zwar nicht mehr, aber womöglich eine gefühlte Grenze, was die Stimmung der Passagiere angehe – an Bord und beim Landgang.
Meyer Werft, Industriegebiet Süd, 26871 Papenburg, www.meyer werft.de Die Führungen dauern rund zwei Stunden. Tickets (12,90 Euro für Er wachsene) gibt es bei Papenburg Marke ting, www.papenburg marketing.de Auch Familienführungen „mit kindgerech ten Erläuterungen“sind im Angebot.