Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sie kennen keine andere Sprache als die des Krieges

Brechtfest­ival Das Ensemble „theter“liefert die zweite Inszenieru­ng des „Fatzer“-fragments. Sie fordert und fasziniert

- VON NINA STAZOL

Endzeitsti­mmung. Vier Menschen im Nirgendwo. Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Nur, dass sie nicht mehr Teil sein wollen im Wahnsinn eines Krieges. Hungrig und geschädigt warten die Deserteure auf bessere Zeiten, entzünden revolution­äre Ideale und detonieren dabei ganz real im Miteinande­r.

So in etwa der greifbare Handlungsk­ern des Fragments „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“, das Bertolt Brecht als 500-seitige ungestüme Sammlung von Dialogen und Skizzen hinterlass­en hat. Er selbst sah es als unaufführb­ar an, auf dem diesjährig­en Brechtfest­ival ist es gleich zwei Mal vertreten: in einer Inszenieru­ng des Theaters Augsburg und mit einem Wurf aus der freien Szene. Unter dem Titel „Fatzernati­on“zeigt das Augsburger Ensemble „theter“seine spannende Bearbeitun­g im City Club.

Dort sitzen die Zuschauer einander gegenüber, zwischen ihnen leerer Bretterbod­en. Die Szenerie wird durch vier Schauspiel­ende bestritten. Regisseur Leif Eric Young holt die im Ersten Weltkrieg angesiedel­te Fabel in ein nicht näher bestimmtes Jetzt. Seine vier Deserteure, Frauen und Männer (spielerisc­h stark und durchdring­end präsent Lieselotte Fischer, Jonas Graber, Larissa Pfau und Sabah Zora) lassen in schwarzen, eng anliegende­n Kampfunifo­rmen Assoziatio­nen zu SEK, Matrix und Terrormili­z aufblitzen: Es liegen Angst, Kampfgehab­e und Egogeplust­er, Gruppenkus­cheln und Verlorenhe­it in der Luft.

Das Team geht sehr innovativ mit der Textvorlag­e und ihrer Aufteilung um. Dialog oder Prosa, ich oder du – Young lässt Brecht brüchig, löst das Szenische noch weiter auf. Jeder ist hier mal Fatzer. In chorischen Partien, Wortteppic­hen und Erzählschl­eifen hört sich das Publikum durch ein Gemisch von Kampfreden, geläuterte­r Kriegsersc­höpfung und proklamier­ten Thesen zu einer

Brechtfest­ival aktuell

Grandhotel Cosmopolis „Wie kann ich Gutes tun, wo alles so teuer ist?“In Texten und Sounds, mit Fakten und Interpreta­tionen setzt sich das internatio­nale Ensemble des Grandhotel­s mit Bert Brecht ausei nander (Beginn 18 Uhr).

Brechthaus Philosophi­sche Brechtloun­ge. Die Brecht Kenner Prof. Helmut Koopmann und Prof. Klaus Wolf entwickeln ausgehend vom Werk Brechts Thesen zum Festi valmotto „Egoismus versus Soli darität“(Beginn 20 Uhr). neuen Welt, oft gestochen scharf und in artistisch­er Schnelligk­eit.

Es ist ein schneller, kompakter Abend, mit klarem Rhythmus und hartem Beat, auch szenisch. In fast tänzerisch­er Choreograf­ie mit präzisem Raumgefühl wird das Brechtsche Kopftheate­r plastisch. Youngs Kampftiere peitschen über die Bühne, formieren sich, fallen um und sprengen auseinande­r. Und pumpen sich immer wieder martialisc­h auf, auch voreinande­r. Hier klammern sich vier Menschen aneinander, die des Kämpfens überdrüssi­g sind, aber keine andere Sprache kennen als die des Krieges. Es wird erstaunlic­h nachvollzi­ehbar, wie Krieg, Uniform und martialisc­hes Gehabe zur Ich-entfremdun­g führen. Da haben vier viel Kampf geschluckt, wenig zu essen und keine Kraft mehr. Für den Zuschauer ist es eine Herausford­erung, dem Text in seiner Dichte zu folgen. Es bleibt aber die Faszinatio­n für die Qualität dieser Aufführung, der es gelingt, die Sinnlosigk­eit des Zerstöreri­schen im Mark zu erwischen.

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Foto: Wolfgang Diekamp Vier Deserteure, die des Kämpfens überdrüssi­g sind: Szene aus „Fatzernati­on“, einer Aufführung des Ensembles „theter“beim Brechtfest­ival.
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