Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Plädoyer für den Gedenkort „Halle 116“
Interview In dem Gebäude in Pfersee waren nicht nur Ns-zwangsarbeiter untergebracht. Historikerin Marita Krauss erklärt, wie sie die Zukunft der Halle mit ihrer ungewöhnlichen Geschichte sieht
Professor Krauss, wie viel Erinnerung braucht Augsburg? Krauss: Wir leben in einer Stadt mit großer geschichtlicher Tradition und vielen archäologischen Schichten. Ich finde es ganz wichtig, die Vergangenheit sichtbar zu halten. Denn Geschichte ist auch heute ein Teil unseres Lebens, etwa, wenn wir an den Prachtbrunnen im Stadtzentrum oder an historischen Gebäuden vorbeilaufen.
Aber viele Menschen interessieren sich mehr für ihr heutiges Leben ... Krauss: Die Gegenwart, in der wir leben, ist nur ein Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das sollten wir uns bewusst machen. Gerade für junge Menschen ist es wichtig zu erkennen, dass sie in einer geschichtlichen Reihe stehen. Andererseits haben wir auch das große Privileg, uns in einer Kulturlandschaft mit großartigen Gebäuden und Kunstwerken zu bewegen, die Geschichte begreifbar machen. Andere Menschen beneiden uns darum, etwa Amerikaner.
In Augsburg sind in den vergangenen Jahren viele Museen und Gedenkstätten entstanden oder modernisiert worden. Reicht das Angebot aus? Krauss: Augsburgs goldenes Zeitalter, die Renaissance, ist schon gut sichtbar. Das gilt auch für die Technikgeschichte im staatlichen Textilund Industriemuseum. Aber für die römische Vergangenheit wird noch zu wenig getan, dabei könnte Augsburg gerade auf diesen Teil der Historie besonders stolz sein. Augsburg hat aber auch die Zeit des Nationalsozialismus erlebt, auch die Augsburger haben ihn geduldet, sind mitgelaufen oder haben aktiv mitgemacht. Diese Zeit ist ein Teil unserer Verantwortung. Deshalb ist es wichtig zu zeigen: Hier war es, hier standen die Häuser von Juden, die deportiert und vernichtet wurden. Die Verbrechen sind auch in Augsburg geschehen, und es waren nicht die kleinen grünen Männchen vom Mars.
Es gibt ja inzwischen den Augsburger Weg mit Stolpersteinen, Erinnerungsbändern und einem Online-gedenkbuch für Ns-opfer. Braucht man da noch weitere Erinnerungsorte wie die Halle 116 in Pfersee? Krauss: Den Augsburger Weg finde ich gut. Es gibt auch schon etliche Gedenkorte für Ns-opfer in der Stadt. Doch erst in den letzten Jah- ren ist ein breiteres Bewusstsein dafür entstanden, wie viele Opfergruppen es im Nationalsozialismus gegeben hat. Auch an Sinti und Roma sollte am Westfriedhof erinnert werden, an Deserteure der Nsarmee oder an Zwangsarbeiter, wie sie in der Halle 116 untergebracht waren. Diese Halle ist ein authentischer
Erinnerung an Verbrechen – und den Wiederaufbau
Ort des Geschehens und zeigt sich durch ihre Architektur als Zweckbau, der in verschiedenen Systemen genutzt wurde.
Nicht weit weg von Augsburg, etwa in Dachau oder München, gibt es schon große Einrichtungen, die umfangreich über die Verbrechen der Nazis inforfrau mieren, was kann da noch zusätzlich leisten? Krauss: Sie hat eine besonders große Bandbreite als Erinnerungsort. Denn sie war nicht nur ein Kz-außenlager von Dachau mit Zwangsarbeitern. In diesem Gebäude wird auch der Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg sichtbar. Die Halle 116 war Teil der amerikanischen Sheridan-kaserne und steht für die Zeit, als die Amerikaner die deutsche Bevölkerung an eine stabile Demokratie heranführten und den wirtschaftlichen Wiederaufbau unterstützten. Der damalige Us-präsident Theodore Roosevelt hat für diese Aufgabe seit 1942 Verwaltungsspezialisten in den Staaten ausgebildet und nach dem Krieg nach Deutschland geschickt. Das muss man den Amerikanern hoch anrechnen, denn davon profitiert unsere die Halle 116 Gesellschaft bis heute. Ich halte die Halle 116 als Erinnerungsort für wichtig. Aber es darf nicht nur um den Erhalt des Gebäudes gehen, es müssen auch die Geschichten dazu erzählt werden.
Welche Erfahrungen machen Sie, wenn Sie ihren Studenten Geschichte vermitteln? Krauss: Gerade für junge Leute wird Geschichte erfahrbar, wenn sie dem Schicksal der eigenen Familie oder der Menschen in ihrem Heimatort nachspüren können. Das ist ein völlig anderer Zugang, als in Geschichtsbüchern zu lesen, was sich auf der hohen poltischen Ebene abgespielt hat. So lernen sie auch, dass Geschichte nicht nur Schicksal ist. Es gibt immer Handlungsspielräume für die Akteure. Gerade die Nszeit ist ein Beispiel dafür. Darüber
Erinnerung in Augsburg
Online Portal Mit einem neuen Sonderteil informiert die Stadt Augsburg auf ihrem Online Portal zu den verschiedenen Facetten der Erinnerungskultur an die Opfer des NS Regimes.
Übersicht Der Link www.augs burg.de/erinnerungskultur führt zu einem Überblick auf den sogenann ten „Augsburger Weg“, auf das ehemalige KZ Außenlager „Halle 116“und auf den Gedenkraum, der im Unteren Fletz des Rathauses an die im Holocaust ermordeten Augsburger Juden erinnert.
Gedenkzeichen Auf der Seite www.augsburg.de/augsburger Weg geht es um Gedenkzeichen wie „Stolpersteine“und „Erinnerungs bänder“. Dort findet man auch aus führliche Hinweise, wie man ein Erinnerungszeichen beantragen kann.
Halle 116 Unter www.augs burg.de/halle116 werden Details zur „Halle 116“auf dem Gelände des heutigen Sheridan Parks erläutert. Thema sind auch die unmenschlichen Lebens und Arbeitsbedingungen der bis zu 2000 KZ Häftlinge.
Gedenkraum Auf der Seite www.augsburg.de/gedenkraum geht es um den Gedenkraum im Un teren Fletz des Augsburger Rat hauses. Er erinnert seit 2004 an die vom NS Regime ermordeten Augsburger Jüdinnen und Juden. Auf gläsernen Gedenktafeln sind dort die Namen aller Opfer aufgezählt.
sollte sich die junge Generation bewusst werden.
Zur Person Prof. Marita Krauss ist In haberin des Lehrstuhls für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte an der Universität Augsburg. Sie be fasst sich unter anderem mit dem Vergleich der Ge schichte der deut schen Länder, ins besondere im 19. und 20. Jahrhun dert. In diesem Rah men forscht sie zu Migration und Integration, zur Herr schaftspraxis, zur Geschichte Mün chens, zur Geschlechtergeschichte und zur Geschichte von Wissenstransfer und Wissenschaftswandel.