Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Oscars und der Ruf nach der Quote
Hollywood Frances Mcdormand, die beste Hauptdarstellerin 2018, fordert bei der Preisverleihung im Dolby Theatre, dass Frauen und Minderheiten bei Filmprojekten mehr Gewicht erhalten sollen
Washington/los Angeles Frances Mcdormand stellt ihren Oscar vor sich auf den Boden und gibt ihm einen Klaps auf den Kopf. Als Siegerin in der Kategorie der besten Hauptdarstellerin hat die Schauspielerin aus „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“bei der Oscar-verleihung gerade ihre Dankesrede abgeliefert. Nun ist Zeit für ein paar ernste Worte. Mcdormand lässt alle Oscar-kandidatinnen im Saal des Dolby Theatres in Hollywood aufstehen, um auf den Reichtum weiblichen Talents in der Filmindustrie aufmerksam zu machen. Dann prägt die Preisträgerin den Begriff des Abends, den viele Gäste und Zuschauer an den Fernsehgeräten erst einmal erfragen müssen: Mcdormand fordert „Inclusion Rider“, also feste Frauen- und Minderheitenquoten bei Filmprojekten.
Das Hauptthema dieser 90. Verleihung sind insgesamt nicht Stars und Filme, seit im Herbst der Skandal um den Produzenten Harvey Weinstein bekannt wurde, der Schauspielerinnen reihenweise zum Sex gezwungen oder vergewaltigt haben soll. Moderator Jimmy Kimmel spricht das Thema gleich bei seiner Begrüßung an. Die Oscarstatue sei die Verkörperung des idealen Mannes, sagt der Fernsehkomiker: Oscar behalte seine Hände bei sich, sage kein Wort, und vor allem habe er keinen Penis. Doch mit Witzchen ist es nicht getan.
In der Show treten Schauspielerinnen auf, die nach eigenen Angaben Opfer von Weinstein sind. Eine von ihnen, Annabella Sciorra, wurde von Weinstein auf eine schwarze Liste gesetzt und bekam keine Rollen mehr. Schön, euch alle zu sehen, sagt sie bedeutungsschwanger zur Begrüßung. „Ist ja schon lange her.“
Die von Frances Mcdormand geforderten Quoten sollen dafür sorgen, dass sich Grundsätzliches ändert. Große Stars sollen in ihren Verträgen auf Quoten bestehen, um die Studios auf diese Weise zu mehr Offenheit gegenüber Frauen und ethnischen Minderheiten zu zwingen. Die Idee stammt von der kalifornischen Medienwissenschaftlerin Stacy Smith: In einem durchschnittlichen Film gebe es rund 30 Rollen, bei denen unabhängig von den Notwendigkeiten der erzählten Geschichte die demografische Wirklichkeit abgebildet werden könne.
Dass überhaupt über Quoten geredet werden muss, zeigt, wie viel in Hollywood noch zu tun ist. Der Drehbuch-oscar für Jordan Peele beispielsweise, der Mann hinter „Get Out“, ist die erste Auszeichnung dieser Art für einen Afroamerikaner. Dass solch eine Wahl bis zur 90. Verleihung gedauert hat, ist kein Ruhmesblatt für die Filmindustrie. Und mehrmals wird während der Show auf den Action-film „Black Panther“angespielt, der mit seinen vorwiegend schwarzen Darstellern derzeit alle Rekorde bricht – aber erst für die Oscars im nächsten Jahr infrage kommt.
Davon mal abgesehen wird in diesen Tagen wieder viel über die Frage gesprochen, welche Bedeutung die Oscars überhaupt noch haben. Die Einschaltquoten für die Glitzershow sinken seit Jahren; laut
sind nur vier der 20 erfolgreichsten Filme der vergangenen 30 Jahre mit einem Oscar als bester Film ausgezeichnet worden. Für viele Kinofans seien die Oscars einfach nicht mehr interessant, schreibt der Kritiker Jeffrey Fleishman in der Die Unterhaltungsbranche sei längst atomisiert, Netflix, Amazon und Youtube neue Zuschauermagnete.
Großes Interesse an einem Oscar gab es zu später Stunde immerhin noch auf dem Governors Ball: Ein 47-Jähriger schnappte sich die Trophäe von Mcdormand, als diese gerade im Gespräch war. Ein Facebookvideo von seinem Clou gelang dem Dieb noch, dann wurde er festgenommen und der Oscar zurückgegeben. Zu ergänzen bleibt: der Auslands-oscar für den besten nicht englischsprachigen Film für die chilenische Produktion „Eine fantastische Frau“(Originaltitel: „Una mujer fantástica“) von Sebastián Lelio. Dabei gibt es eine deutsche Beteiligung: Die Berliner Produktionsfirma fungiert als Coproduzent. Bei der Berlinale 2017 gewann der Film einen Silbernen Bären für das beste Drehbuch.