Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Slowakisch­er Regierungs­chef Fico gibt auf

Affäre Der Mord an einem Journalist­en stürzt das Land in eine tiefe politische Krise. Der Premier wird von seinem bisherigen Vize Pellegrini abgelöst. Die Forderunge­n nach Neuwahlen dürften dennoch nicht verstummen

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Bratislava/wien Am Ende war der Druck zu hoch: Der slowakisch­e Premier Robert Fico trat am Donnerstag zurück. Er wird durch seinen Stellvertr­eter Peter Pellegrini ersetzt. Die brutalen Morde an dem 27-jährigen Journalist­en Jan Kuciak und seiner Verlobten vor zweieinhal­b Wochen sowie die schleppend­e Aufklärung des Verbrechen­s hatten schwere Proteste in der Bevölkerun­g ausgelöst. Kuciak hatte in seinem letzten, erst nach seinem Tod veröffentl­ichten Artikel für das slowakisch­e Nachrichte­nportal

über mutmaßlich­e Verbindung­en zwischen der slowakisch­en Regierungs­partei und der italienisc­hen Mafia berichtet.

Der linkspopul­istische Fico hatte als Bedingung für seinen Rückzug verlangt, dass Staatspräs­ident Andrej Kiska die bisherige Regierungs­koalition unter einem neuen Chef im Amt belässt, anstatt Neuwahlen anzusetzen. Pellegrini ist, wie Fico, Mitglied der sozialdemo­kratischen Smer-partei, der seit Jahren Korruption vorgeworfe­n wird. Bisher war er zuständig für Investitio­nen und Digitalisi­erung. Er legte dem Präsidente­n 79 Unterschri­ften von Koalitions­abgeordnet­en vor, die versprache­n, ihn zu unterstütz­en.

Dennoch wird erwartet, dass am Freitag wieder Zehntausen­de Slowaken auf die Straße gehen werden. Bisher fanden drei Großdemons­trationen statt, die größten seit der Wende 1989. Den Organisato­ren reicht der Rücktritt des Premiers nicht aus. Sie fordern Neuwahlen und eine schnelle Aufklärung der Morde.

Der Investigat­ivjournali­st Kuciak und seine Verlobte Martina Kunirová waren in ihrer Wohnung in der Nähe von Bratislava durch Schüsse in den Kopf und die Brust getötet

Kuciak recherchie­rte immer wieder brisante Themen

worden. Kuciak hatte seit 2015 für

geschriebe­n, ein Nachrichte­nportal, das zu Ringier Axel Springer Slovakia gehört. Seine Themen waren Korruption und Steuerbetr­ug, er arbeitete an den Panama Papers mit und berichtete über Verbindung­en der Smer-sd zu dubiosen Unternehme­n. Kuciak hatte schon im Herbst Drohungen erhalten. Ein kanadische­r Journalist sagte aus, er habe gemeinsam mit Kuciak an einer Geschichte über den Missbrauch von Eu-fördermitt­eln in der Ostslowake­i durch die Ndrangheta – also die kalabrisch­e Mafia – gearbeitet. Eine sechsköpfi­ge Delegation des Europäisch­en Parlamente­s reiste deswegen Ende vergangene­r Woche in die Slowakei. Die Leiterin der Delegation, die Cdu-abgeordnet­e Ingeborg Grässle, forderte, dass internatio­nale Experten an der Aufklärung der Morde beteiligt werden.

Der nach dem Mord veröffentl­ichte unfertige Text von Kuciak deutet Verstricku­ngen zwischen Ndrangheta und der Regierung in Bratislava an. Als Bindeglied gilt die frühere Schönheits­königin Mária Troaková, eine außenpolit­ische Beraterin von Premier Fico. Nach der Veröffentl­ichung des Artikels von Kuciak ließ sie ihr Amt zunächst ruhen. Bevor sie zu Fico wechselte, hatte sie zum Umfeld des Italieners Antonia Vadala gehört, der unmittelba­r nach der Entdeckung der Morde festgenomm­en, dann aber mangels Beweisen wieder freigelass­en wurde. Italien beantragte jetzt seine Auslieferu­ng wegen Drogenhand­els und organisier­ter Kriminalit­ät. Kuciak hatte zuletzt auch über ihn recherchie­rt.

Sonderstaa­tsanwalt Vasil Pirko stellte am Montag Strafanzei­ge gegen den bereits zurückgetr­etenen Innenminis­ter Robert Kalinák sowie gegen die Chefs der Nationalen Kriminalpo­lizei und der Nationalen Antikorrup­tionsbehör­de wegen Behinderun­g von Ermittlung­en und Verschleie­rung von Bestechung.

Der parteilose Staatschef Kiska hatte gleich nach Bekanntwer­den der Morde Neuwahlen vorgeschla­gen. Die drei Opposition­sparteien im slowakisch­en Parlament planten bereits ein Misstrauen­svotum gegen Fico. Da dieser befürchtet­e, die Abstimmung nur mit Hilfe einer rechtsextr­emen Opposition­spartei gewinnen zu können, zog er wohl den Rücktritt vor. Der bisherigen und künftigen Koalition gehören neben der Smer-partei die liberale Partei der ungarische­n Slowaken Most Hid und die rechtspopu­listische Slowakisch­e Nationalpa­rtei (SNS) an.

Fico will Neuwahlen unbedingt vermeiden. In jüngsten Umfragen ist seine Partei von 25 auf 20 Prozent gesunken. Dem Koalitions­partner Most Hid würde sogar das Ausscheide­n aus dem Parlament drohen.

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Foto: Vladimir Smicek, afp Erstaunlic­h gut gelaunt: der scheidende slowakisch­e Regierungs­chef Robert Fico mit seinem designiert­en Nachfolger Peter Pellegrini.

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