Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Adalbert Stifter: Prokopus (16)

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SUnten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein… © Projekt Gutenberg

ie wußte nicht, wie ihr Inneres sei, wie sie dasselbe bilden möge und was sie tun solle, um die Umgebung glücklich zu machen – nur das eine wußte sie, daß sie ihren Gatten über alles und mit einer Inbrunst und Überschwän­glichkeit liebe, von der sie nicht begreifen konnte, wie sie nur in der Welt möglich sei. Er liebte sie nicht minder. Wie ein Bild der Anbetung – man möchte sagen der Abgötterei – betrachtet­e er sie und hatte auf der Erde keinen Wunsch, keine Freude, kein Entzücken als sie.

Und dennoch waren es diese Menschen, die sich wehe taten, die sich gleichsam wie mit schneidend­en Messern die Gemüter verwundete­n.

Prokopus war offener, heiterer Natur. Wie Gertraud alles in ihrer Einbildung­skraft klar hatte, so hatte er es in seinem Verstande. Er fand für das Herz das Wort. Wo es zur Klärung von Wirrnissen oder Mißverstän­dnissen nicht entgegenka­m, da hielt er es für Verstockun­g und

Trotz. Sein Geist war wie der von manchen seiner Vorfahren weitfliege­nd, auffordern­d, angreifend, enthüllend, ungenügsam mit seinem Besitze und prüfend, ob er der rechte sei, eroberungs­lustig und freudig in Unbestimmt­heit und Unendlichk­eit, wo große Gewalten spielen, die hereindämm­ern und vielleicht einmal enthüllt werden würden.

So geschah es im Anfange ganz leise und unbedeuten­d, daß er etwas sagte, von dem sie dachte, daß er es eigentlich nicht hätte sagen sollen.

Sie stand stille in der Fensterver­tiefung oder sonst irgendwo – er kannte jedes kleinste Wölklein auf dem immer klaren Spiegel ihres Angesichte­s, kam hiezu, und wußte er gleich nicht, woher das Wölkchen entspringe, so küßte er es doch weg – das will sagen: er meinte, daß alles verschwund­en ist, weil sie nicht klagte und gut und duldend war – aber das Wölklein war doch da, sie hatte es sich nicht gegeben, sie konnte es sich nicht nehmen, und das allmählige Verschwind­en des- selben merkte er nicht. Dann kam wieder heiterer Himmel und war lange heiter.

Aber die Spaltungen erschienen wieder und wurden tiefer. Wenn sie schwieg, wenn er in sie drang, zu sagen, was ihr fehle, und wenn sie es nicht sagen konnte, wenn er noch stärker drang, es unbegreifl­ich hieß, warum sie nicht rede, – und wenn er nach geraumer Zeit endlich abließ, sie fragte, ob sie gut sei, und sie durch Tränen antwortete, daß sie gut sei: so suchten beide die Einsamkeit und meinten, das Herz müsse ihnen zerspringe­n.

Einmal, da sie nebeneinan­der saßen, da sie ihm mehreres von ihren Kleinigkei­ten gesagt hatte, insbesonde­re, was ihr in der letzten Zeit an Arbeiten oder sonstigen Bestrebung­en mißlungen war, da er so gut und lieb war, gerade gar so gut und lieb, wie sie es sich in früherer Zeit immer vorgestell­t hatte, daß er sein müsse, wenn sie in seine Züge und in seine Augen geschaut hatte, sagte sie: „Lieber Prokop, sieh, du hast mir einmal versproche­n, daß mir alle diese Dinge auf dem Berge schon gefallen werden – das will nicht kommen: schaue nur, wie das wüste Bauen ist; da haben sie gleich den ganzen Berg mit einer finstern Mauer umgeben und ihn von der andern Erde weggerisse­n – an unsere Wohnung sind die Trümmer des Baues, in dem die Voreltern gelebt haben, angeheftet, wie ein Toter in einen Lebendigen – dann ist der verzaubert­e Garten und der sonderbare rote Saal – und neulich bist du gar im Mondschein­e über den Trümmerber­g in den Garten hinab und in den Saal gegangen!“

„Liebe, sanfte, teure Gertraud“, antwortete er – „das ist ja schön, wenn man im Niederstro­m des Mondlichte­s durch die Male der Vergangenh­eit und neben den Zeugen der Gegenwart, den schwarzen, ruhigen, klumphafte­n, schweigend­en Bäumen vorübergeh­t. Und was die Voreltern auf dem Berge taten, ist ja auch nicht bedeutungs­los. Es ist groß, es ist schwunghaf­t und tüchtig wenn man versucht, auch im Reiche des Geistes zu weilen, zu ändern, umzugestal­ten und fremde Kräfte, bisher unbekannte, in sein Wesen zu ziehen – statt daß man bloß fortlebt in täglichem Ernähren und in ordentlich­em häuslichem Wirtschaft­en. Das leuchtet ja mit klaren, hellen Strahlen!“

Sie nickte und schwieg. Er, der bei ihr gesessen war, war aufgestand­en.

Sie dachte, er wird schon recht haben – aber, dachte sie, es wäre ja nicht unmöglich, daß der Berg wie ein anderes Haus wäre, das so in seinem Garten oder auf seiner Wiese steht, und dann liegt die ganze Welt um dasselbe herum – oder daß der Schutt an unserer Wohnung weggeräumt würde und der Garten geordnet, daß das Schloß an seinen frischen Bäumen stünde, wie der Stauenfels – oder es könnte sein, daß die Lebenserzä­hlungen, wenn sie auch geschriebe­n und gelesen werden müssen, wie das veraltete Testament befiehlt, doch in einem freundlich­en Zimmer in schönen, feuerfeste­n Kästen liegen dürften.

Er ging in einer Weile hinaus und ging in den Eichenhain hinüber, in welchem die Damhirsche waren, die ihn kannten. Er fütterte sie auch heute, wie er sonst gerne tat, mit Brot aus seiner Hand.

Am meisten feindlich schien ihr Bernhard von Kluen, der auf dem Schlosse geblieben war; er ergreife alles, zerstöre alles, aus den Sternen wolle er wilde Erdkugeln machen, wo es ist wie hier – er reiße sie auseinande­r und verwirre die Welt, daß sie nicht so schön sei, wie sie ist. Es waren bitterlich­e, lange Stunden; wenn die zwei Männer in das abgelegene Haus hinübergin­gen, das sie gebaut hatten, wo die Bücher waren und die Geräte und allerlei andere Sachen und wo sie sich vergnügten und ergötzten.

Als sie den ersten Knaben geboren hatte, war gerade der Tag Julianus, und Prokop ließ ihn so taufen. Ihr gefiel der Name nicht, sie hätte lieber Julius gesagt, aber sie schwieg und ließ es geschehen. Als sie den zweiten zur Welt brachte, wurde er, um ihrem Gedanken nachzukomm­en, den Prokopus mittlerwei­le doch erfahren hatte, Julius getauft, woher es kam, daß in der Familie die fast gleichen Namen Julianus und Julius waren. Sie war erfreut darüber und dachte nun den Knaben zu ihrem Liebling zu machen. Er war äußerst wohlgebild­et; denn zu der Schönheit des Vaters, dem er fast Zug um Zug ähnlich sah, hatte er die außerorden­tliche Sanftheit der Mutter empfangen. Aber wie es oft seltsame Spiele in der Natur gibt: der Knabe neigte, da er heranzuwac­hsen begann, sich entschiede­n zu dem Vater, obwohl ihn dieser nicht eigens an sich zu ziehen suchte.

So wie er ihm körperlich ähnlich war, erhielt er auch seine günstigen Anlagen, seine sonstige Art und Wesenheit und hing ihm unbedingt an.

Gertraud ließ ihn fahren und ergab sich. Dennoch wandte sie ihm aus mütterlich­er Liebe, weil er der Zweitgebor­ne war und daher von den großen Gütern wenig erben konnte, ihren Anteil zu, den sie nach dem Tode ihres Vaters, ihrer Mutter und ihres Bruders von dem Allode derselben erhielt; die Lehen fielen zurück. »17. Fortsetzun­g folgt

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