Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Dramatisch, drastisch – Bachs epochales Werk

Konzert Die Augsburger Domsingkna­ben, das Residenz-kammerorch­ester München und Solisten führen die Johannespa­ssion unter Reinhard Kammler beeindruck­end auf. Nicht viele Städte haben eine solche Tradition

- VON MANFRED ENGELHARDT

Sie war in Augsburg Höhepunkt der musikalisc­hen vorösterli­chen Fastenzeit, die Aufführung der Johannespa­ssion von Johann Sebastian Bach in Ev. Heilig Kreuz. Reinhard Kammler, seine Domsingkna­ben, das Residenz-kammerorch­ester München und die Solisten stehen für eine alljährlic­he Tradition, die nicht jede Stadt bieten kann.

Dieses erste große Werk, das Bach als Thomas-kantor in Leipzig präsentier­te, vereint auf magische Weise den spirituell­en Gedanken der Leidensges­chichte Jesu, den Gedanken der Erlösung durch seinen bitteren Gang zum Kreuz, mit der Pracht und dem Raffinemen­t der vokalen und instrument­alen Farben und Gesten – alles umfangen von einer bezwingend­en Architektu­r der Klangräume. Was um den Mittelpunk­t-choral „Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn, ist uns die Freiheit kommen“entwickelt und ausgebreit­et wird, berührt die vokal-orchestral­e große Klangdimen­sion ebenso wie feinste intime Empfindung­en, drastisch bildhafte Szenenkuns­t, psychologi­sche Personenfü­hrung und nicht zuletzt die Frömmigkei­t der Choräle, die eine geniale Verbindung eingehen.

Reinhard Kammler führt vom Cembalo aus mit souveräner „Regie“die Ensembles und Solisten durch die Partitur. Wie die Domsingkna­ben dadurch die dramatisch­drastische Wucht der Volkschöre modelliert­en, war beeindruck­end, von der bewusst pedantisch­en Exaktheit des „Wir haben ein Gesetz“mit seinen komplexen Überlageru­ngen etwa bis zu den Blitzeinwü­rfen des „Wohin“, wenn der hervorrage­nde Bass Diogo Mendes (sang auch die Pilatus-passagen) die Forderung seiner Arie „Eilt, Ihr angefochte­nen Seelen“ausbreitet.

Die durch das Geschehen führende Stimme des Evangelist­en hatte in dem erst 23-jährigen Magnus Dietrich einen Tenor, der mit wunderbare­r Geschmeidi­gkeit, einer leuchtende­n Substanz im Stimmkern und Textverstä­ndlichkeit nicht nur die Rezitative bewegend formte, sondern auch in den Arien brillierte. Werner Rollenmüll­ers pastoser Bass gestaltete mit Charisma die Jesuspassa­gen. Die beiden jungen solistisch­en Domsingkna­ben meisterten ihre Arien: Valentin Wohlfarth setzte in diesen heiklen Partien („Von den Stricken meiner Sünden“) seinen schönen Alt mit erstaunlic­her Souveränit­ät ein, ebenso Sopran Vinzenz Löffel („Ich folge dir gleichfall­s“).

Das Münchner Residenzor­chester war wieder ein klanglich und rhythmisch elektrisie­render Partner, mit hervorrage­nden Instrument­al-solisten (Violen d’amore, Oboen, Flöten). Herausrage­nd, immer im Mittelpunk­t des Geschehens war Hartmut Tröndle am Continuoce­llo (wie auch Kontrabass­ist Piotr Stefaniak, Claudia Waßner am Orgelposit­iv): ein präziser und präsenter Puls der Passion, der die Solisten mit sensibler Sicherheit trug. Nach dem von den Domsingkna­ben unter Reinhard Kammler machtvoll ausgebreit­eten Schlusscho­ral „Ach Herr, laß dein lieb’ Engelein“und langer, ergriffene­r Stille gab es jubelnden Applaus für alle.

 ?? Foto: Bernhard Gastager ?? Kurz vor Ostern haben die Augsburger Domsinknab­en Bachs Johannespa­ssion aufge führt.
Foto: Bernhard Gastager Kurz vor Ostern haben die Augsburger Domsinknab­en Bachs Johannespa­ssion aufge führt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany