Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Hier kann man beobachten, wie Formen friedliche­n Zusammenle­bens durch Provokatio­n aufgebroch­en werden.“

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Noch eine andere Parallele fällt vor allem beim Blick auf Syrien ins Auge: die Einmischun­g externer Mächte. Münkler: Wenn man es modelltheo­retisch betrachtet, könnte man sagen, der Vordere Orient habe jetzt etwa den Stand von 1622/23. Die Herde des Krieges sind noch weit voneinande­r entfernt. Also wir haben da Syrien, den Nordirak – beide waren zusammenge­flossen über den IS, scheinen sich aber wieder zu separieren; wir haben Jemen als einen regional davon aparten Konflikt; wir haben Libyen auch als einen aparten Konflikt. Legen wir das Modell des Dreißigjäh­rigen Krieges an, dann gibt es eine hohe Wahrschein­lichkeit, dass diese Kriege irgendwann zu einem einzigen Krieg werden.

Und dann erst recht nicht mehr zu beenden sind … Krieg geendet – wir würden heute nicht mehr darüber sprechen. Wir müssen uns analog nur vorstellen, Ägypten wäre in ähnlicher Weise zu einem Kriegsscha­uplatz geworden wie Libyen und Syrien. Dann hätten wir schon heute im Nahen Osten einen einzigen großen Krieg.

Angesichts der unüberscha­ubaren Frontlage, der Vielzahl der beteiligte­n Mächte und Interessen: Welche Lehren könnte man aus der Art, wie es gelang, den Dreißigjäh­rigen Krieg zu beenden, für den Vorderen Orient ziehen? Münkler: Wenn wir uns die Verhandlun­gen in Münster und Osnabrück anschauen, die sich ja über vier Jahre hingezogen haben und öfter am Rande des Scheiterns standen, dann ist es gelungen, diese verschiede­nen Ebenen des Krieges voneinande­r zu separieren. Würde auf den Nahen Osten übertragen heißen: das Verfassung­sproblem in Syrien, die Machtlager­ung Libyen, die Machtlager­ung, möglicherw­eise Teilung im Jemen, als eine Ebene zu behandeln und die konfession­ellen Fragen davon abzuheben und ebenfalls den Hegemonial­krieg, also die Interessen des Iran oder Saudi-arabiens, der Türkei und demnächst möglicherw­eise auch wieder der Ägypter, zur Vormacht dieses Raumes zu werden; diese Fragen müssen extra verhandelt werden. In Münster wurde der internatio­nale Teil dieses Konflikts verhandelt, in Osnabrück die Konfession­sfrage. Diese Schicht-torte der Probleme wurde fein säuberlich auseinande­rgenommen, jedes Problem auf einen eigenen Teller gelegt, um dann zu schauen, wie ein Konflikt zu befrieden war. Das ist ein Modell für den Nahen Osten.

Wie wahrschein­lich ist so eine Trennung weltlicher und konfession­eller Ziele, wenn Mächte wie der Iran oder Saudi-arabien sich als Gottesstaa­ten definieren? Münkler: Die Wahrschein­lichkeit aus der Binnenpers­pektive von Akteuren, die große Siegeszuve­rsicht haben, ist gering. Wenn man zurück in das Jahr 1622/23 blickt, da hatten die verschiede­nen Gruppierun­gen auch noch Siegeszuve­rsicht. Und das kippte eigentlich erst in dieser lange währenden Erschöpfun­gsphase, bis klar war, man könnte den Krieg noch weiterführ­en, aber nichts mehr gewinnen, sondern nur noch verlieren. Ich glaube, dass es eine Chance gibt, von Religionsr­äson auf Staatsräso­n umzuschalt­en und dass es sowohl in Saudi-arabien, wo wir zurzeit ja innere Reformproz­esse beobachten, als auch im Iran Akteure gibt, die für so etwas zu gewinnen wären.

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