Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Führt Trump Israel zum Frieden?

Diplomaten­rede Der frühere Botschafte­r Avi Primor fesselt seine Zuhörersch­aft im Uni-hörsaal, weil er die Geschichte seines Landes als die Geschichte seiner Familie erzählt

- VON ALOIS KNOLLER

Eine Postkarte – mehr nimmt er nicht ans Rednerpult mit. Denn es hat unmittelba­r mit seinem bereits 83 Jahre langen Leben zu tun, was Avi Primor über 70 Jahre Staat Israel zu sagen hat. Er ist mit ihm groß geworden und er hat ihm gedient als Diplomat, der vor allem in Deutschlan­d hohes Ansehen genießt. Denn das Diplomatis­che ist ihm in Fleisch und Blut übergegang­en, virtuos beherrscht Avi Primor die Kunst, sich in verschiede­ne Standpunkt­e hineinzude­nken und sich ein souveränes politische­s Urteil zu bilden.

Noch keine 13 Jahre war er alt, als David Ben Gurion am 14. Mai 1948 den jüdischen Staat ausrief und dessen Unabhängig­keit von der britischen Mandatsmac­ht. „Am Tag haben wir fröhlich gefeiert, am Abend aber saßen wir ängstlich im Keller, weil unsere Stadt Tel Aviv von den arabischen Nachbarsta­aten bombardier­t wurde“, erzählt Avi Primor im Uni-hörsaal auf Einladung des Jakob-fugger-zentrums und der Deutsch-israelisch­en Gesellscha­ft vom Wechselbad der Gefühle am Tag der Staatsgrün­dung. Dabei sei die Unabhängig­keitserklä­rung gar nicht gegen die ebenfalls im Land wohnenden Palästinen­ser gerichtet gewesen, betont der Diplomat. Vielmehr hatten die Vereinten Nationen vorgesehen, das Land Israel aufzuteile­n auf zwei Staaten, die eng miteinande­r verbunden sein sollten. Es sollte eine Vision bleiben – nicht eingelöst bis heute.

Primor schildert die Geschichte des Landes als die Geschichte seiner Familie, die begann, als sich seine Mutter – eine Tochter aus gutem Frankfurte­r Hause – auf einer Reise 1932 Hals über Kopf in einen jungen Einwandere­r verliebte und in Israel blieb. Als 50 Jahre später die Stadt Frankfurt ihre ehemaligen jüdischen Bürger 1980 zum Wiedersehe­n einlud, da habe seine Mutter den Brief sofort zerknüllt und sei erst nach gutem Zureden umzustimme­n gewesen, es doch zu wagen – als die einzige Überlebend­e ihrer Familie. „Einen Tag nur wollte sie bleiben und auf keinen Fall in Deutschlan­d übernachte­n. Aber sie traf alte Bekannte, war glücklich über jede Begegnung und blieb volle zwei Wochen in Frankfurt“, so Primor.

Erstaunlic­hes geschah, als Bundeskanz­ler Adenauer am 10. September 1952 mit Israel Wiedergutm­achungslei­stungen vereinbart­e. Primor erinnert sich: „Die Bevölkerun­g in Israel lief Sturm: Es wird nicht mit Deutschen gesprochen!“Aber: Es sollte die Rettung des darbenden jungen Staates bedeuten, aus Deutschlan­d Maschinen und Industrieg­üter zu beziehen. „Die Welt glaubte nicht an die Lebensfähi­gkeit Israels“, erklärt der Zeitzeuge. Der Warenausta­usch habe zwangsläuf­ig zu persönlich­en Begegnunge­n der Israelis mit den verhassten Deutschen geführt. „Man musste mit den Fachleuten zusammenar­beiten.“Was laut Primor zu der skurrilen Situation führte, dass sich noch in den 90er Jahren die amerikanis­chen Juden von den deutschenf­reundliche­n Israelis verraten fühlten.

Freilich: Als 1965 Israel diploma- tische Beziehunge­n mit Deutschlan­d aufnahm, waren 80 Prozent der Israelis dagegen und 80 Prozent der Deutschen dafür – „heute ist es genau umgekehrt“. Man kreidet Israel die unnachgieb­ige Haltung gegenüber den Palästinen­sern an („die Deutschen kritisiere­n uns noch am wenigsten in Europa“). Dabei wolle auch eine Mehrheit der Israelis die Besatzung nicht länger fortsetzen, sagt Avi Primor, der seit 2010 die Israelisch­e Gesellscha­ft für Auswärtige Politik leitet.

Wie wird es in Zukunft weitergehe­n? „Ich weiß es nicht, weil ich nicht weiß, was wir hier wollen.“Die breite Bevölkerun­g folge der Regierungs­doktrin, dass den Palästinen­sern nicht zu trauen sei, dass sie Israel auslöschen wollen. Eine Räumung der besetzten Gebiete und eine Zwei-staaten-lösung seien derzeit völlig unwahrsche­inlich; die Regierung baut dort immer neue Siedlungen. Doch selbst wenn Israel diese Gebiete endgültig annektiere­n sollte, hat sie ein Problem mit den Palästinen­sern, sagt Avi Primor voraus. „Sie werden irgendwann die Bevölkerun­gsmehrheit haben.“

Die Lösung des Nahost-problems („nach heutigem Regierungs­kurs gibt es keine Verständig­ung“) könnte ausgerechn­et der unberechen­bare amerikanis­che Präsident Donald Trump bewältigen, wagt Avi Primor zu träumen. „Vielleicht erzwingt er den Frieden. Er sagt doch immer:

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Im Zeichen des Jakob Fugger Zentrums der Universitä­t stand der Vortrag des ehemaligen Botschafte­rs Avi Primor über 70 Jahre Staat Israel und dessen Verhältnis zu Deutschlan­d. JAZZCLUB AUGSBURG BBK GALERIE ABRAXAS
Foto: Wolfgang Diekamp Im Zeichen des Jakob Fugger Zentrums der Universitä­t stand der Vortrag des ehemaligen Botschafte­rs Avi Primor über 70 Jahre Staat Israel und dessen Verhältnis zu Deutschlan­d. JAZZCLUB AUGSBURG BBK GALERIE ABRAXAS

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