Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Augsburger erlebt drei Horror Tage
Justiz Ein 56-Jähriger hofft auf käufliche Liebe – stattdessen wird er überfallen und schwer verletzt verschleppt. Nun stehen zwei Männer und eine Frau vor Gericht. Die Liste der Vorwürfe gegen sie ist noch länger
Im Internet hatte er nach käuflichem Sex gesucht und war fündig geworden. Mit 700 Euro, die eine „Julie“verlangte, war der 56-Jährige von Augsburg noch in der gleichen Nacht nach Öhringen losgefahren, einer Kreisstadt bei Heilbronn. Nicht ahnend, dass für ihn dort ein drei Tage währender Horror beginnen sollte.
Seit Dienstag, gut ein Jahr später, sitzen zwei Männer und eine Frau vor dem Landgericht auf der Anklagebank; ein Mittäter wurde bereits zu einer Jugendstrafe (vier Jahre, zwei Monate) verurteilt. Den 25, 23 und 22 Jahre alten Angeklagten aus Baden-württemberg wirft die Staatsanwaltschaft viele Straftaten vor: Autodiebstähle, Entwenden von Kfz-kennzeichen, Einbrüche, Körperverletzung, das Verbreiten von Falschgeld. Eine Stunde verlas Oberstaatsanwalt Matthias Nickolai die Anklageschrift. Der schwerwiegendste Vorwurf: erpresserischer Menschenraub. Der erste Prozesstag begann mit der Aussage des ältesten der drei Angeklagten. Mike A. gab zu, bei vielen Anklagepunkten Ideengeber und Anführer gewesen zu sein. Erinnerungslücken führte er auf den Konsum von Drogen zurück. „Wir haben kaum geschlafen“, sagte er. Gemeint ist der Februar 2017, als sie, da in Geldnot, Nacht für Nacht Einbrüche und Diebstähle verübt hatten.
Bis die drei Angeklagten, so Mike A., auf die Idee kamen, über eine Sex-plattform im Internet Freier auszunehmen. Ihr Lockvogel war demnach die Angeklagte Natalie H. Am 11. Februar meldete sich der erste Freier. Doch der Plan, ihn aus- zurauben, scheiterte. Der Mann verriegelte die Autotüren, als er einen vermummten Mann auf sein Auto zugehen sah. Er ließ sich auch nicht beeindrucken, als dieser eine Waffe auf ihn richtete und rief: „Aufmachen oder es knallt“. Als der Mann antwortete, „schieß doch“, schoss der Täter mit einer Schreckschusspistole durch das einen Spalt offen stehende Fenster, ohne die gewünschte Wirkung zu erzielen. Der Freier brauste davon. Nach seinem Eingeständnis war es Mike A., der ihn bedroht hatte.
Nur einen Tag später meldet sich auf die Internetanzeige der Augsburger bei „Julie“. Er ist bereit, ihr 700 Euro zu zahlen, wenn sie mehrere intime Stunden mit ihm verbringt. Als er morgens um sechs Uhr im Industriegebiet von Öhringen aus dem Auto steigt, steht er mehreren maskierten Tätern gegenüber. Sie wollen ihm sein Geld abnehmen. Der 56-Jährige bekommt Reizgas ins Gesicht gesprüht, doch es gelingt ihm, sich loszureißen. Sein Fluchtversuch endet, als ihn einer der Täter, der im Auto saß, losfährt und ihn frontal erfasst. „Ein Versehen“, sagte Mike A., der am Steuer gesessen hatte. Der 56-Jährige schlägt mit dem Kopf auf die Motorhaube, erleidet ein Schädelhirntrauma, bricht sich Knie und Unterschenkel. Unter dem Eindruck, dass eine Schusswaffe auf ihn gerichtet ist, lässt sich der Schwerverletzte widerstandslos zum Auto der Täter tragen, einen gestohlenen A8.
Auf der Fahrt zu einem Campingplatz, wo sie zwei andere gestohlene Autos abgestellt haben, wird eine Polizeistreife auf sie aufmerksam. Doch den Tätern gelingt es, die Beamten abzuschütteln. Sie wechseln das Fahrzeug, übergießen ihr Fluchtfahrzeug aus einem Reservekanister mit Benzin und lassen es in Flammen aufgehen. Der verletzte 56-Jährige durchleidet, wie er später aussagen wird, Todesängste. Er verspricht seinen Entführern, kurzfristig 40 000 Euro locker machen zu können. Weil er dazu seinen Laptop benötige, der in seiner Wohnung sei, wird er von den Tätern nach Augsburg gefahren. Die Frau steuert sein Auto, das die Angeklagten am nächsten Tag in Augsburg für 8000 Euro verscherbeln. Hier heben sie auch knapp 40000 Euro ab.
Der Horror sollte für den Augsburger jedoch noch weitergehen. Er wurde nach München gefahren, wo sie bei einem Autoverleih einen Audi mieteten. Der verletzte Augsburger musste im Auto sitzend den Vertrag unterschreiben. „Wir haben dies dem Händler damit erklärt, dass mein Onkel, da verletzt, nicht aussteigen kann“, so Mike A. Der 25-Jährige durfte nicht unterschreiben, da er keinen Führerschein besitzt. Wieder zurück in Augsburg kam das Opfer unter kuriosen Umständen frei. Sein Bewacher, von Mike A. und der angeklagten Nathalie H. allein gelassen, war eingeschlafen. Er konnte um Hilfe schreien, Nachbarn riefen die Polizei. Der Prozess geht am 14. Juni weiter.