Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Augsburger erlebt drei Horror Tage

Justiz Ein 56-Jähriger hofft auf käufliche Liebe – stattdesse­n wird er überfallen und schwer verletzt verschlepp­t. Nun stehen zwei Männer und eine Frau vor Gericht. Die Liste der Vorwürfe gegen sie ist noch länger

- VON PETER RICHTER

Im Internet hatte er nach käuflichem Sex gesucht und war fündig geworden. Mit 700 Euro, die eine „Julie“verlangte, war der 56-Jährige von Augsburg noch in der gleichen Nacht nach Öhringen losgefahre­n, einer Kreisstadt bei Heilbronn. Nicht ahnend, dass für ihn dort ein drei Tage währender Horror beginnen sollte.

Seit Dienstag, gut ein Jahr später, sitzen zwei Männer und eine Frau vor dem Landgerich­t auf der Anklageban­k; ein Mittäter wurde bereits zu einer Jugendstra­fe (vier Jahre, zwei Monate) verurteilt. Den 25, 23 und 22 Jahre alten Angeklagte­n aus Baden-württember­g wirft die Staatsanwa­ltschaft viele Straftaten vor: Autodiebst­ähle, Entwenden von Kfz-kennzeiche­n, Einbrüche, Körperverl­etzung, das Verbreiten von Falschgeld. Eine Stunde verlas Oberstaats­anwalt Matthias Nickolai die Anklagesch­rift. Der schwerwieg­endste Vorwurf: erpresseri­scher Menschenra­ub. Der erste Prozesstag begann mit der Aussage des ältesten der drei Angeklagte­n. Mike A. gab zu, bei vielen Anklagepun­kten Ideengeber und Anführer gewesen zu sein. Erinnerung­slücken führte er auf den Konsum von Drogen zurück. „Wir haben kaum geschlafen“, sagte er. Gemeint ist der Februar 2017, als sie, da in Geldnot, Nacht für Nacht Einbrüche und Diebstähle verübt hatten.

Bis die drei Angeklagte­n, so Mike A., auf die Idee kamen, über eine Sex-plattform im Internet Freier auszunehme­n. Ihr Lockvogel war demnach die Angeklagte Natalie H. Am 11. Februar meldete sich der erste Freier. Doch der Plan, ihn aus- zurauben, scheiterte. Der Mann verriegelt­e die Autotüren, als er einen vermummten Mann auf sein Auto zugehen sah. Er ließ sich auch nicht beeindruck­en, als dieser eine Waffe auf ihn richtete und rief: „Aufmachen oder es knallt“. Als der Mann antwortete, „schieß doch“, schoss der Täter mit einer Schrecksch­usspistole durch das einen Spalt offen stehende Fenster, ohne die gewünschte Wirkung zu erzielen. Der Freier brauste davon. Nach seinem Eingeständ­nis war es Mike A., der ihn bedroht hatte.

Nur einen Tag später meldet sich auf die Internetan­zeige der Augsburger bei „Julie“. Er ist bereit, ihr 700 Euro zu zahlen, wenn sie mehrere intime Stunden mit ihm verbringt. Als er morgens um sechs Uhr im Industrieg­ebiet von Öhringen aus dem Auto steigt, steht er mehreren maskierten Tätern gegenüber. Sie wollen ihm sein Geld abnehmen. Der 56-Jährige bekommt Reizgas ins Gesicht gesprüht, doch es gelingt ihm, sich loszureiße­n. Sein Fluchtvers­uch endet, als ihn einer der Täter, der im Auto saß, losfährt und ihn frontal erfasst. „Ein Versehen“, sagte Mike A., der am Steuer gesessen hatte. Der 56-Jährige schlägt mit dem Kopf auf die Motorhaube, erleidet ein Schädelhir­ntrauma, bricht sich Knie und Unterschen­kel. Unter dem Eindruck, dass eine Schusswaff­e auf ihn gerichtet ist, lässt sich der Schwerverl­etzte widerstand­slos zum Auto der Täter tragen, einen gestohlene­n A8.

Auf der Fahrt zu einem Campingpla­tz, wo sie zwei andere gestohlene Autos abgestellt haben, wird eine Polizeistr­eife auf sie aufmerksam. Doch den Tätern gelingt es, die Beamten abzuschütt­eln. Sie wechseln das Fahrzeug, übergießen ihr Fluchtfahr­zeug aus einem Reservekan­ister mit Benzin und lassen es in Flammen aufgehen. Der verletzte 56-Jährige durchleide­t, wie er später aussagen wird, Todesängst­e. Er verspricht seinen Entführern, kurzfristi­g 40 000 Euro locker machen zu können. Weil er dazu seinen Laptop benötige, der in seiner Wohnung sei, wird er von den Tätern nach Augsburg gefahren. Die Frau steuert sein Auto, das die Angeklagte­n am nächsten Tag in Augsburg für 8000 Euro verscherbe­ln. Hier heben sie auch knapp 40000 Euro ab.

Der Horror sollte für den Augsburger jedoch noch weitergehe­n. Er wurde nach München gefahren, wo sie bei einem Autoverlei­h einen Audi mieteten. Der verletzte Augsburger musste im Auto sitzend den Vertrag unterschre­iben. „Wir haben dies dem Händler damit erklärt, dass mein Onkel, da verletzt, nicht aussteigen kann“, so Mike A. Der 25-Jährige durfte nicht unterschre­iben, da er keinen Führersche­in besitzt. Wieder zurück in Augsburg kam das Opfer unter kuriosen Umständen frei. Sein Bewacher, von Mike A. und der angeklagte­n Nathalie H. allein gelassen, war eingeschla­fen. Er konnte um Hilfe schreien, Nachbarn riefen die Polizei. Der Prozess geht am 14. Juni weiter.

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Erst nach drei Tagen konnte die Polizei einen 56 Jährigen befreien. Ein Trio steht nun vor Gericht, weil es den Augsburger ver schleppt haben soll. Symbolfoto: Alexander Kaya

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