Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wer bekommt die VW Milliarde?
Justiz Der Autobauer kassiert die nächste Rechnung für seine Diesel-manipulationen. Warum der Skandal trotzdem nicht ausgestanden ist und was mit dem Geld passiert
Wolfsburg Zieht sich Volkswagen mit seiner Milliardenzahlung endgültig aus der Diesel-affäre? Fakt ist: Nie zuvor musste ein deutsches Unternehmen ein derart hohes Bußgeld hinlegen. Für den renommierten Rechtswissenschaftler Prof. Ulrich Battis ist trotzdem klar: Der Skandal um manipulierte Fahrzeuge ist noch lange nicht ausgestanden. Battis hält die Strafe für ein gutes Signal. „Es muss richtig schmerzen, wenn man sich freikauft“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung und erteilt Verschwörungstheorien eine Absage: „Dass das Verfahren gegen eine Geldbuße eingestellt wurde, hat übrigens nichts mit Wildwest oder Willkür zu tun, sondern bewegt sich im Rahmen der Strafprozessordnung.“Nur was passiert denn nun mit der Vw-milliarde?
„Da es sich nicht um eine Geldauflage, sondern um ein Bußgeld handelt, fließt es direkt in die Staatskasse“, sagt der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe auf Nachfrage. Bedeutet: Das Land Niedersachsen kann nun selbst ent- scheiden, was es mit dem Geldregen aus Wolfsburg anfängt. Begehrlichkeiten gibt es genug. Der Steuerzahlerbund fordert, Schulden abzubauen. Die Richter wollen mehr Jobs in der Justiz. Und es gibt sogar Leute, die sagen, das Geld müsste in den Länderfinanzausgleich eingespeist werden. Das dementiert die Landesregierung allerdings sicherheitshalber
„Es muss richtig schmerzen, wenn man sich freikauft.“
gleich mal. Davon abgesehen hat sich Ministerpräsident Stephan Weil bislang nicht näher zur Verwendung der Vw-milliarde geäußert. Die rot-schwarze Koalition will in den ohnehin anstehenden Haushaltsberatungen darüber reden. Bislang hatte das niedersächsische Finanzministerium mit Einnahmen von etwa 350 Millionen Euro durch Geldstrafen und ähnliche Zahlungen gerechnet. Jetzt kommt eine unverhoffte Finanzspritze oben drauf. Pikantes Detail am Rande: Das Land ist selbst an VW beteiligt und damit indirekt auch Geschädigter der Konzernkrise. Nun „profitiert“Niedersachsen allerdings mal vom Diesel-skandal.
Volkswagen hat sechs Wochen Zeit, um die Milliarde zu überweisen. Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ist überzeugt davon, dass die Strafe selbst einen solchen Riesenkonzern hart trifft: „Tausend Millionen Euro für eine Ordnungswidrigkeit ist schon eine Ansage, und ich gehe davon aus, dass das natürlich schmerzhaft ist“, sagt Ziehe. „Wenn wir das Gefühl gehabt hätten, das führt zum allgemeinen Lacher und einer Überweisung aus der Portokasse, hätten wir einen anderen Betrag ermittelt“, fügt er hinzu. An der Börse sieht man das offenbar ein bisschen anders. Die Anleger scheinen eher erleichtert zu sein. Zum einen, dass die Sache endlich vom Tisch ist. Zum anderen, dass die Summe den Autobauer nicht wirklich in Not bringt. Im vergangenen Jahr hat VW schließlich unter dem Strich mehr als 11 Milliarden Euro verdient. Die Aktie legt am Tag danach jedenfalls sogar zu.
In Amerika hat es den Autobauer jedenfalls deutlich härter getroffen als in Deutschland. Dort musste der Konzern bislang 25 Milliarden Euro für Entschädigungen, Strafen und Anwaltskosten hinblättern. Vor allem die Sammelklagen von geprellten Us-kunden wurden teuer. Diese Möglichkeit gibt es in Deutschland bislang nicht. Doch auch hier sollen Verbraucher künftig gemeinsam vor Gericht ziehen können.
Die Diesel-affäre wird VW auch juristisch noch lange verfolgen. Mindestens 19000 Kunden haben den Autobauer verklagt, weil sie sich betrogen fühlen. Sie fordern Schadenersatz oder wollen ihren Problem-diesel zurückgeben. Sie hoffen auf Rückenwind durch das Braunschweiger Bußgeld. Dass Volkswagen die Strafe akzeptiert hat, heißt aber nicht, dass andere Kläger automatisch recht bekommen. VW selbst argumentiert sogar genau anders herum. Vorstandschef Herbert Diess verspricht sich von der Zahlung jedenfalls „erhebliche positive Auswirkungen“auf andere Verfahren, die sein Unternehmen noch am Hals hat.
Der Rechtswissenschaftler Ulrich Battis