Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie die Jagd auf Susannas Mörder begann
Kriminalität Der Iraker Ali B. ist wieder in Deutschland. Und der Chef der Bundespolizei wird für diese spektakuläre Rückholaktion als Held gefeiert. Dabei ist der Strippenzieher, der die Verhaftung des 21-Jährigen im Nordirak vorangetrieben hat, ein Arzt
Singen Donnerstag, 7. Juni, 20.07 Uhr: Auf dem Smartphone von Aram Bani ploppt ein Foto auf. Sein Freund Safeen Sindi, der in Erbil eine Privatklinik betreibt, hat es ihm per Whatsapp geschickt. Es zeigt zwei Männer in einer Kneipe. Sie haben Spaß an diesem Abend, lachen in die Handykamera. „Just now“, hat Sindi dazu getippt – „gerade eben“.
Die beiden Kumpels Safeen Sindi und Vahal Ali Balatay haben sich auf ein Bier getroffen. Wie man es eben so macht am Wochenende. Denn im Nordirak ist der Freitag arbeitsfrei. Aram Bani antwortet mit dem Foto von Ali B. „Dieser junge Mann“, schreibt er dazu, „ist vor wenigen Tagen am Flughafen in Erbil gelandet“. Und dass er beschuldigt wird, das 14-jährige Mädchen Susanna vergewaltigt und umgebracht zu haben. „Bitte nehmt ihn fest.“
„Damit habe ich den beiden ordentlich den Abend verdorben“, sagt Aram Bani. Und damit beginnt im Nordirak die Jagd auf Ali B., sagt Vahal Ali Balatay unserer Redaktion. „Wir haben vorher nichts von dem Fall gewusst“, betont er, „wir haben erst durch Dr. Bani davon erfahren.“Vahal Ali Balatay ist ein einflussreicher Mann in der autonomen Region Kurdistan, er arbeitet als Regierungssprecher im Büro des Präsidenten, ist dessen rechte Hand. Und fängt sofort mit dem Strippenziehen an. Er informiert Präsident und Innenminister, zwei Stunden lang stehen Bani und Balatay per Whatsapp in Kontakt, der Chat liegt unserer Redaktion vor.
Aram Bani schickt Fotos des mutmaßlichen Täters, Zeitungsausschnitte, das Youtube-video der Pressekonferenz von Staatsanwaltschaft und Polizei nach dem Fund von Susannas Leiche. Gegen 21 Uhr,
Aram Bani ist selbst Flüchtling aus dem Nordirak
sagt Aram Bani, landet das Fahndungsbild von Ali B. in allen Polizeistationen, an den Flughäfen, bei den Straßenkontrollposten im Nordirak – und über die sozialen Netzwerke bei allen Kurden. „Zum Glück ist Ramadan, da sind die Menschen fast die ganze Nacht wach und am Handy“, sagt Bani.
Der Rest ist bekannt: Wenige Stunden später, am Freitag gegen zwei Uhr morgens, nehmen kurdische Sicherheitskräfte Ali B. im Garten seines Onkels in Zakho fest, wo er im Innenhof unter einem Rosenstrauch schläft. „Im Nordirak ist alles überwacht“, erklärt Aram Bani. Jede Straße, jede Kreuzung. Vor allem aber ist die Bevölkerung wachsam – aus Angst vor Terroranschlägen. Wer fremd ist in einer Gegend, wird gemeldet. Wie Ali B., den ein Verwandter bei der Polizei verpfeift.
Aber wie kommt ein Arzt vom Bodensee dazu, sich in den Fall Susanna einzumischen? Aram Bani gehört selbst zur kurdischen Minderheit. Er arbeitet als leitender Neurochirurg am Hegau-bodensee-klinikum in Singen, betreibt dort auch eine eigene Praxis. Als der 54-Jährige an jenem Donnerstagnachmittag nach Stunden im OP, in denen er die Wirbelsäulen und den Kopf von vier Patienten operiert hat, zurück an seinen Schreibtisch kommt, entdeckt er die Eilmeldung. Sie besagt, dass die Leiche der gesuchten Susanna gefunden und Ali B. dringend tatverdächtig sei. „Er ist ein Landsmann, ein Kurde, der unser Volk in Verruf bringt“, sagt Bani. Da sei es eine Frage der Ehre, bei der Verhaftung zu helfen. Außerdem hat er selbst drei Töchter, zehn, zwölf und 18 Jahre alt. „Es hätte auch eins meiner Mädchen treffen können.“
Aram Bani wurde als Sohn eines Maurers in Sulaimania geboren. Nach dem Abitur und dem Medizinstudium ist er einer der Besten im Land, wie er sagt, scheitert aber immer wieder an den Restriktionen gegen die kurdische Minderheit. „Als Kurde hatte ich keine Chance im Irak.“Bani arbeitet als Arzt in Flüchtlingslagern im Iran und flüchtet 1992 über die Balkanroute mit einem gefälschten griechischen Pass nach Deutschland – für sein Ziel, Neurochirurg zu werden.
Dabei ist das Land das letzte auf seiner Liste. „Ich wollte in ein englischsprachiges Land“, erzählt er, „wegen der Sprache, die ich schon konnte.“Nach Deutschland will damals kaum einer, weil man immer wieder von Übergriffen auf Ausländer hört, sagt Bani. Und wegen der schweren Sprache. Doch ein Visum für Deutschland ist einfacher zu bekommen. Aram Bani wird als politischer Flüchtling anerkannt, lernt innerhalb eines halben Jahres Deutsch. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Köln beginnt er seine Facharztweiterbildung zum Neurochirurgen am Klinikum in Aachen. Den Facharzt für neurochirurgische Intensivmedizin und den Facharzt für Schmerztherapie legt er noch drauf.
Aram Bani hat sich als Neurochi- nicht nur in Deutschland, sondern auch in seiner Heimat einen Namen gemacht. Er hat Peschmerga-kämpfer der dortigen Milizenarmee operiert, reiche und einflussreiche Kurden. Die kommen mitunter auch zu ihm an den Bodensee, um sich behandeln zu lassen. Daher hat Aram Bani Kontakte in die höchsten Kreise, daher lässt der kurdische Innenminister Karim Sinjari am Donnerstag ausrichten: „Sein Wunsch ist ein Befehl“– als er um die Verhaftung Ali B.s bittet, wie Regierungssprecher Vahal Ali Balatay unserer Redaktion sagt.
„Politik läuft bei uns nur über Beziehungen“, sagt Aram Bani. Und so ist der Arzt vom Bodensee ein Mosaikstein im Fall des flüchtigen Straftäters Ali B., der den Mord an Susanna inzwischen gestanden hat, die Vergewaltigung aber bestreitet. Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, der persönlich in den Irak flog, um den angeblich 21-Jährigen abzuholen, ist ein anderer. Die feiert ihn als Helden, als „Rominator“, der mit seinem Alleingang zeige, wie entschlossen deutsche Ermittlungsbehörden handeln können – und der das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder hergestellt habe.
Romann will den schnellen Erfolg, er lässt ebenfalls persönliche Kontakte nach Erbil spielen. Zu Dilshad Barzani, dem kurdischen Botschafter in Berlin, mit dem er seit etwa zehn Jahren befreundet ist. Dilshad Barzani ist ein Bruder von Ex-präsident Masud Barzani, dem mächtigen Mann Kurdistans, bei dem immer noch die Fäden zusammenlaufen.
Die Idee, die einflussreiche Barzani-familie um Hilfe zu bitten, sei ihm am Donnerstagabend unter der Dusche gekommen, berichtet Romann am Mittwoch nach der Festnahme vor dem Innenausschuss des Bundestags. Noch am gleichen Abend habe er Botschafter Barzani angerufen. Wann er ihn schließlich erreicht, ist kein Thema im Innenausschuss. „Danach hat niemand gefragt“, berichtet Stephan Thomae, stellvertretender Fdp-fraktirurg onsvorsitzender aus Kempten, auf Anfrage unserer Redaktion.
Der Pressesprecher der Bundespolizei in Wiesbaden, Ivo Priebe, hat zuvor betont, dass sein Chef Romann bereits am Donnerstagvormittag Botschafter Barzani kontaktiert habe. Priebe hat auch gesagt, dass kein Bundespolizist das Flugzeug – und damit das deutsche Hoheitsgebiet – in Erbil verlassen hat, als sie den Tatverdächtigen abholten. Eine Aussage, die das Bundesinnenministerium inzwischen korrigieren musste: Romann habe das Flugzeug „aus protokollarischen Gründen“mit zwei Angehörigen seines Leitungsstabs verlassen und mit hochrangigen Vertretern der regionalen Sicherheitsbehörden und dem Innenminister der Regionalregierung gesprochen.
Fest steht: Zu der spektakulären Suche nach Ali B., der prompten Festnahme und der ebenso hemdsärmeligen wie juristisch zweifelhaften Rückholung bleiben Fragen offen. Fest steht auch: Ein offizielles Auslieferungsverfahren hätte Wochen, vielleicht Monate gedauert. Oder wäre nie zustande gekommen, weil es mit dem Irak kein Auslieferungsabkommen gibt. Die irakische Zentralregierung in Bagdad kritisiert die Übergabe von Ali B. an Deutschland daher auch als Rechtsverstoß – sowohl von der kurdischen Regionalregierung als auch von Deutschland. Was der Polizeipressesprecher nicht versteht: „Wir haben schon hunderte Abschiebungen in den Nordirak durchgeführt“, sagt Ivo Priebe. „Da verhandeln wir auch mit der Autonomie-behörde.“Und Bagdad mische sich nicht ein.
„Für mich ist die Vorstellung unerträglich, dass sich Ali B. nach dieser schrecklichen Tat in den Nordirak absetzt – und dort ein schönes Leben führt“, sagt Aram Bani. Dorthin, von wo er angeblich vor Verfolgung geflohen ist. Dabei sei der Nordirak sicher – und wunderschön. „Darum wollte ich mit meinen Kontakten bei der Verhaftung helfen. Und ich wusste, dass es schnell gehen muss.“Sonst hätte sich Ali B. – was er nach Polizeiangaben auch vorhatte – abgesetzt. Entweder ins chaotische Nachbarland Syrien oder nach Bagdad, wo man ihn nie mehr finden würde. „Das wäre eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen geworden“, sagt Regierungssprecher Balatay.
Bereits am Donnerstagnachmittag versuchen Aram Bani und seine Frau Juliane, mit den Ermittlungsbehörden und Bundesinnenminister Horst Seehofer Kontakt aufzunehmen. Die Polizei in Wiesbaden verweist Bani an die Staatsanwaltschaft Wiesbaden. Dort bekommt er die Durchwahlnummern von fünf verschiedenen Staatsanwälten, um 15.30 Uhr dann aber die Auskunft, dass jetzt Dienstschluss sei.
Man nehme solche Vermittlungsangebote zwar zur Kenntnis, sagt Oberstaatsanwältin Christina Gräf,
Alis Familie möchte nach Deutschland zurückkehren
die die Mordermittlungen gegen Ali B. führt. „Wir können aber nicht weiter tätig werden, da wir uns an den formalen Weg eines Auslieferungsverfahrens halten müssen“, sagt sie.
Die gebürtige Augsburgerin Juliane Bani, 40, die bis vor zwei Jahren bei der Justiz in Kempten arbeitete und im Bezirksvorstand der CSU aktiv war, versucht zeitgleich, durch ihre alten Partei-kontakte an Innenminister Seehofer heranzukommen. Bei Entwicklungsminister Gerd Müller, bei dem sie einst im Wahlkreisbüro jobbte, kommt sie über die Büroleiterin nicht hinaus. Die winkt ebenso ab wie Csu-fraktionsvorsitzender Thomas Kreuzer.
„Es kann doch nicht sein, dass das ganze Land in Aufruhr ist – und sich niemand kümmert“, sagt Bani. In einer Zeit, in der sich die Regierung darüber entzweit, in welchem Ausmaß Deutschland künftig noch Flüchtlinge aufnehmen soll. In der der Kriminalfall Susanna die Debatte anheizt. Weil die Familie von Ali B. mit den großen Flüchtlingsstrom im Oktober 2015 nach Deutschland kam und trotz eines abgelehnten Asylantrags bleiben durfte. Weil die Familie nicht auf der Flucht vor Krieg und politischer Verfolgung ist, sondern auf der Suche nach einem besseren Leben, was 2015 kaum einer nachprüfte. Und weil die komplette Familie sich eine Woche nach der Tat unbehelligt in den Irak absetzen konnte. Mit Ersatzpapieren des irakischen Generalkonsulats. Und Flugtickets für insgesamt etwa 8000 Euro, die sie mit der monatlichen Unterstützung des deutschen Staats bezahlte, wie Ali B.s Mutter in einem Interview mit der
Deutschen Welle erzählte. Am Wochenende wurde bekannt, dass die Familie B. zurück nach Deutschland will, wie ein Bruder dem kurdischen Fernsehsender Rudaw sagte. „Wir hoffen, dass sie die Familie nicht dafür in Haftung nehmen, was eines ihrer Mitglieder getan hat.“