Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
W Kein Brenner ohne Stau
Italien Immer Rushhour in den Ferien, klar. Aber warum heißt der Pass eigentlich Brenner?
irtschaftswunder! Der Käfer fährt und fährt und fährt, und die Deutschen entdecken das Verreisen. Scharenweise tuckern sie in Caprihose und Collegejacken über den Brenner. Und sie entdecken den Gardasee, die Amalfi-küste und die Sonne, wenn sie bei Capri im Meer versinkt. Viele machten ihre erste Grenzerfahrung nach dem Krieg. Italien war das exotische Reiseziel schlechthin damals. In Deutschland gab es noch kaum italienische Restaurants, Spaghetti, Pizza und Brokkoli noch vollkommen unbekannt. Und Zucchini erst…
Auch das zählt zu den vielen Brenner-phänomenen, die heute kaum jemand mehr weiß. Als die Deutschen im großen Stil das Reisen für sich entdeckten, hatte Gossensaß, zehn Kilometer unterhalb des Brennerpasses, seine besten Zeiten schon gesehen. Gossensaß war der Nobelkurort im 19. Jahrhundert. Wer heute auf die alte Brennerstraße in Richtung Pflerschtal abbiegt, sieht dem tristen Straßenort kaum an, dass er einmal mondänes Reiseziel war. Henrik Ibsen, Oskar von Redwitz und Prinz Wilhelm von Preußen kurten etwa in der Kaltwasser-heilanstalt Gudrunhausen oder im Palasthotel. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges verblasste der Glanz. Doch das einstige Palasthotel steht noch immer wie ein cremigweißes Schlösschen etwas oberhalb der Durchgangsstraße und erzählt von alten, vielleicht besseren Zeiten.
Wie nie zuvor fließt der große Verkehr auf der Autobahn hoch über Gossensaß vorbei. Der Brenner ist neben der Schweizer Gotthardroute (Richtung: Lombardei) und der österreichischen Tauernautobahn (Richtung: Istrien/dalmatien) die wichtigste Verkehrsverbindung in den Süden. Und wahrlich nicht nur für Urlauber: 8000 Lastwagen passieren täglich den Brenner. 2,2 Millionen Brummis sind es jährlich. Dazu kommen fünf Millionen Pkw, die im Jahr über den Pass, rollen, so der ADAC. Die größte Blechlawine wird erwartungsgemäß kommendes Wochenende über den Brenner rollen. Dann nämlich starten die Bayern und Baden-württemberger gleichzeitig in die Ferien und die Urlauber aus allen anderen Bundesländern sind auch noch unterwegs. Rushhour also.
Aber irgendwie war immer Rushhour auf dieser Handels- und Transitroute. Nicht nur in der Neuzeit. In der Antike marschierten schon die Kimber über den Pass und fielen in das Römische Reich ein. Dann zogen die Römer unter Drusus über den Alpenhauptkamm in Richtung Norden und vereinten sich bei Augsburg mit den Truppen von Tiberius. Im Mittelalter war der Brenner der meist passierte Alpenpass. Um 1430 sollen 90 Prozent des Fernhandelsverkehrs über die Brennerroute abgewickelt worden sein. Schon damals seien jährlich 6500 Frachtwagen unterwegs gewesen. Und auch die Fugger sorgten für ordentlich Handelsverkehr auf dieser Route. Kein Vergleich natürlich zum heutigen Massenansturm, den der Brennerbasistunnel ab 2026 lindern soll, zumindest was den Transport von Gütern angeht. Bis es soweit ist und auch unabhängig davon, wird der Brenner noch für viele Schlagzeilen sorgen. Nicht nur wegen des Verkehrs sondern auch wegen der aktuellen Flüchtlingskrise.
Nicht eindeutig geklärt ist übrigens, woher der Brenner seinen Namen hat. Erstaunlicherweise hieß das heutige Passdorf Brenner nämlich im 13. Jahrhundert noch Mittenwald, wie urkundliche Erwähnungen belegen. Etwa 1288 den Hof eines Prennerius de Mittenwalde. Wobei sich Prenner aller Wahrscheinlichkeit nach als Bezeichnung für einen Mann, der Brandrodung betreibt, deuten lässt. 1328 wird die Passhöhe als ob dem Prenner genannt. Eine andere Mutmaßung aber ist, dass der Name auf das Volk der Breonen zurückgeht, das vornehmlich in den Seitentälern lebte. Die Breuni finden noch im 9. Jahrhundert eine geschichtliche Erwähnung. Schließlich sollen sie gänzlich in der bayerischen Bevölkerung aufgegangen sein.
Könnte das gar als Indiz gewertet werden, warum die Neigung der Bayern, über den Brenner zu ziehen gar so tief sitzt? Oder ist der Grund viel profanerer Natur. Kilometer 93,2 hinter der Grenze, der erste Espresso auf italienischen Boden? Wahrscheinlich wird es so sein.