Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Fünf Mark für einen Knochenjob
Fujitsu-managerin Vera Schneevoigt hat als Kind bei der Weinlese geholfen. Eine besondere Erfahrung / Serie (1)
Dass Vera Schneevoigt heute mit dem Fujitsu-campus in Augsburg den einzigen verbliebenen Entwicklungsund Produktionsstandort eines It-herstellers in Europa leitet, war zu ihren Jugendzeiten so nicht abzusehen. Dolmetscherin, Lehrerin oder Sozialpädagogin standen damals auf der Liste der Berufswünsche ganz oben. Ein Job mit enormer körperlicher Belastung schied dagegen aus. Das hatte unter anderem mit ihrem ersten richtigen Ferienjob zu tun, der Schneevoigt in die Weinberge von Rheinland-pfalz führte. „Ich bin dort aufgewachsen und da war es für die Jugendlichen normal, in den Ferien bei der Weinlese zu helfen. Das war auch der Job, den man am einfachsten bekam“, erzählt die 52-Jährige. An ihren ersten Einsatz kann sie sich noch gut erinnern. Mit dem Fahrrad fuhr sie gut sieben Kilometer zu jenem Weingut, bei dem sie eine Woche lang Dienst tun sollte. Froh gelaunt, so beschreibt sie, stieg sie auf den Wagen, der alle Helfer in die Weinberge brachte. Dann begann die Lese – und schon bald die Schmerzen. „Schon nach den ersten Stunden taten mir die Beine weh und der Rücken. Als ich nach dem ersten Tag wieder zu Hause ankam, bin ich vor Erschöpfung fast vom Rad gefallen“, erzählt Schneevoigt heute noch beeindruckt.
Ihre Mutter, die selbst an der Mosel aufgewachsen war und die Strapazen der Weinlese durchaus kannte, wunderte das nicht. „Sie hat nur gesagt, dass sie erstaunt war, dass ich vorher nie genau wissen wollte, was da auf mich zukommt“, so Schneevoigt lachend.
Aufgeben kam für die damals 15-Jährige aber nicht in Frage. „Das war eine Frage der Ehre.“Also zog Vera Schneevoigt den Ferienjob durch. „Das waren die härtesten fünf Mark pro Stunde, die ich je verdient habe“, beschreibt sie. „Heute würde man wohl von Ausbeutung sprechen, aber damals war die Hilfe der Kinder und Jugendlichen bei der Weinlese völlig normal“, ergänzt sie.
Doch neben dem verdienten Geld, das Schneevoigt eisern gespart hat, hat sie noch eine wichtige Erfahrung mitgenommen: „Ich war geschockt und später beeindruckt von den Wanderarbeitern. Ich konnte es anfangs kaum fassen, dass es auf der Welt derart arme Menschen gibt, dass sie in ein anderes Land gehen müssen, um dort Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das hat mir großen Respekt abgerungen. Auch ihre Fröhlichkeit und gute Laune trotz der harten Arbeit über Wochen war für mich sehr beeindruckend.“Noch heute erinnert sich die Managerin an diese Zeiten und Erfahrungen zurück, wenn sie mit Menschen zusammentrifft, die schwerekörperliche Arbeit leisten.
Ein Grund, warum sie auch andere Jugendliche dazu animiert, sich in den Ferien einen Job zu suchen. „Dabei kann man herausfinden, was einem gefällt und ob der Traumjob sich auch tatsächlich als dieser erweist.“Vera Schneevoigt hätte gerne einmal in einem Ferien-club gearbeitet. „Ich wollte immer reisen, hatte aber kein Geld dazu. Da wäre ein solcher Job ideal gewesen“, erzählt sie. Geklappt hat es am Ende nicht, stattdessen ging Schneevoigt wieder in die Weinberge zur Lese.