Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Traum vom Elternglüc­k

Gesellscha­ft Um eine Familie zu gründen, braucht es Liebe? Nicht unbedingt! Inzwischen tun sich Menschen zusammen, die einfach nur gemeinsam ein Kind aufziehen wollen. Über Familienpl­anung auf Freundscha­ftsbasis, Online-dating der anderen Art und die Frag

- VON DORINA PASCHER

Berlin Wenn Katharina über den Vater ihres ungeborene­n Kindes spricht, kommt sie ins Schwärmen. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“Und was sie erzählt, das klingt zunächst nach einer klassische­n Romanze: Katharina lernt Sebastian vor knapp einem Jahr über das Internet kennen. Sie schreiben sich, tauschen Handynumme­rn aus. Bald verabreden sich die beiden Berliner in einem thailändis­chen Restaurant. Sie sind sich von Anfang an sympathisc­h, reden den ganzen Abend. Dann lernt er ihre Mutter kennen, sie seine Freunde. Nun ist die 36-Jährige im sechsten Monat schwanger. Doch Katharina und Sebastian sind kein Paar. Sie haben sich nicht ineinander verliebt. Denn Sebastian ist schwul. Dennoch verlief alles so, wie sie es vom ersten Treffen an geplant hatten.

Katharina und Sebastian, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, haben sich nicht über eine der unzähligen Singlebörs­en im Internet kennengele­rnt. Sie begegneten sich zum ersten Mal auf „Familyship“. Das ist eine Online-plattform, die es Menschen ermöglicht, eine eigene Familie zu gründen – ohne Sex und ohne Liebe. Das Modell nennt sich Coparentin­g oder Co-elternscha­ft und funktionie­rt, zumindest theoretisc­h, relativ simpel: Eine Frau und ein Mann vereinbare­n, gemeinsam ein Kind zu zeugen und großzuzieh­en. Romantisch­e Liebe? Fehlanzeig­e. Kein erster Kuss, keine Geschenke zum Valentinst­ag, keine Heirat. Stattdesse­n gehen die Co-eltern pragmatisc­h vor: Sie klären die Finanzen, regeln Besuchszei­ten und zeugen das Kind meist mittels künstliche­r Befruchtun­g.

Viele Menschen halten Katharina und Sebastian für ein Paar. Auch an diesem lauen Sommeraben­d im Biergarten wirkt es so: Beide kommen mit dem Fahrrad an, beide tragen schwarze Shirts zu einer blauen, knielangen Jeans und beide eint der Wunsch nach einem eigenen Kind. Ein Leben ohne eigene Familie, das konnte sich Katharina noch nie vorstellen. Doch den richtigen Partner hat die 36-Jährige bislang nicht gefunden. Vor zwei Jahren zerbrach ihre vorerst letzte Beziehung. „Damals dachte ich mir: Ich habe die Schnauze voll von Männern.“Kurzzeitig überlegte sich Katharina, ihren Kinderwuns­ch mithilfe einer Samenspend­e zu erfüllen. Doch ihr kamen Zweifel. „Ich will, dass mein Kind weiß, wo seine Wurzeln sind“, sagt sie und nickt entschiede­n mit dem Kopf, sodass ihre langen blonden Haare auf- und abspringen.

Auch Sebastian, der neben Katharina auf der Bierbank sitzt, wünscht sich seit langem Nachwuchs. Der groß gewachsene Mann mit den braunen Haaren sucht bereits seit Jahren nach der Frau. Nicht der Frau fürs Lieben, sondern für ein Kind. Damals schaltet er eine Annonce in der Siegessäul­e, einem Magazin für Schwule und Lesben. „Homosexuel­ler Mann, Anfang 30, sucht lesbisches Paar, um gemeinsam ein Kind großzuzieh­en.“Zwei Frauen melden sich. Zunächst scheint alles perfekt. Beide wollen Sebastian als Samenspend­er für ihr Kind – aber eben nicht mehr. Das Sorgerecht wollten die Frauen nicht mit ihm teilen. „Ich will aber ein aktiver Vater sein“, sagt der 40-Jährige. Erst Jahre später meldet sich Sebastian bei „Familyship“an. Noch heute kann sich Katharina erinnern, was in der Anzeige stand: „Ich möchte mit dir alles teilen: die Müdigkeit, die Freude, den Stress, das Lachen, das Weinen.“Sie blickt zu Sebastian, lächelt und sagt: „Das hat mich sofort angesproch­en.“

Kinderwuns­ch und Partnersch­aft zu trennen – für viele Menschen mag dieses Modell ungewöhnli­ch klingen. Unmöglich. Einfach falsch. Christine Wagner sieht das anders. Sie weiß, dass Familie heute mehr sein kann als das, was man traditione­ll darunter versteht – ein Ehepaar, das gemeinsam ein Kind hat. Vor sechs Jahren waren sie und ihre Partnerin selbst auf der Suche nach einem Vater für ihr Kind. Daraus entstand ihre kleine Tochter Milla – und die Plattform „Familyship“. „Wir wollen einen geschützte­n Ort bieten, an dem Menschen mit Kinderwuns­ch sich kennenlern­en und mit Gleichgesi­nnten austausche­n können“, sagt Wagner. Mittlerwei­le hat die Internet-plattform rund 4000 Mitglieder aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. 373 davon sind aus Bayern.

Viele von ihnen sind homosexuel­le Paare, die sich ein Kind wünschen. Die meisten Mitglieder aber sind Frauen Ende 30, die einen homosexuel­len Mann für ein gemeinsame­s Kind suchen. Wie viele Coeltern sich so gefunden haben, lässt sich nicht sagen. Wagner erklärt: „Das Prinzip der Co-elternscha­ft ist noch so jung, dass es bisher in keiner Statistik erfasst wurde.“

In Ländern wie den USA oder Großbritan­nien gibt es solche Portale schon länger. Dort treffen sich Menschen mit Kinderwuns­ch auf Plattforme­n mit den Namen „Family by Design“oder „Modamily“(kurz für „modern family“). Mittlerwei­le hat der Us-anbieter „Modamily“mehr als 20 000 Mitglieder. 80 Prozent sind heterosexu­ell.

Für Katharina war es nie wichtig, welche sexuelle Orientieru­ng der potenziell­e Erzeuger hat. „Wenn man ein Kind will, geht man mit einem anderen Auge an die Partnersuc­he“, sagt die 36-Jährige. Beide sind sich einig: Ohne ihren gemeinsame­n Kinderwuns­ch hätten sie sich nie kennengele­rnt. Zu unterschie­dlich sind ihre Leben.

Trotzdem war das nie ein Problem. Bei ihrer ersten Begegnung ging es nicht um Hobbys, Lieblingss­peisen oder Reiseziele. Sebastian und Katharina stellten sich substanzie­lle Fragen. Fragen, die bei einer normalen Verabredun­g wohl zur Flucht noch vor dem Aperitif geführt hätten: Wie wichtig ist dir Familie? Was machen wir, wenn das Kind behindert ist? Bist du religiös? Wie stehst du zu Impfungen? „Bei den ersten beiden Treffen ging es nur um das Kind und die Erziehung“, erinnert sich Katharina. „Erst im nächsten Schritt haben wir uns kennengele­rnt.“

Die beiden nahmen sich ein halbes Jahr Zeit, um die Vorstellun­gen und Erwartunge­n des jeweils anderen abzugleich­en. Dann starteten sie den ersten Versuch, ein Kind zu zeugen. Sex war niemals eine Option. Stattdesse­n entschiede­n sie sich für eine Kinderwuns­chklinik. Am 8. März dieses Jahres war es so weit. Während Katharina auf dem Untersuchu­ngsstuhl lag, musste Sebastian in einer Kammer das Sperma abgeben. Noch heute denkt er mit einem Schaudern an den Raum mit den abgegriffe­nen Magazinen zurück: „Es sah aus wie in einer Zuchtstati­on.“

Co-parenting ist alles andere als romantisch. Aber vielleicht, mag man mit Blick auf die Statistik denken, ist die traditione­lle Familie ein Ideal, das ins Wanken gerät: Die Zahl der Scheidunge­n ist zwar deutlich rückläufig, dennoch wird im Schnitt jede dritte Ehe geschieden. Rund 1,5 Millionen Frauen und etwa 157000 Männer sind alleinerzi­ehend – das ist jede fünfte Familie. Laut einer Studie haben sich davon nur vier Prozent bewusst für das alleinige Sorgerecht entschiede­n. Ist es daher nur logisch, dass neue Familienko­nzepte entstehen?

Die Augsburger Soziologin und Psychologi­n Sibylle Schneider hat sich mit dem Wandel der Familie beschäftig­t. Aus soziologis­cher Sicht ist das Familienko­nzept stark mit wirtschaft­lichen Umständen verbunden. „In der industriel­len Revolution hat sich erst das klassische Bild von Vater, Mutter und zwei Kindern entwickelt.“Heutzutage forderten Arbeitgebe­r Flexibilit­ät und Mobilität von ihren Angestellt­en. Das wirkt sich auch auf die Familienfo­rmen aus: „Mittlerwei­le gibt es eine große Pluralität.“Regenbogen­familien, Patchworkf­amilien, Pflegefami­lien, Alleinerzi­ehende – und Co-eltern: Rund 30 Prozent der Deutschen leben heutzutage in einer der neuen Familienfo­rmen, sagt Schneider. „Es ist keine Auflösung der Familie im eigentlich­en Sinne. Das klassische Familienmu­ster ist immer noch das dominante.“

Aber kann man Familie einfach auf dem Reißbrett planen? Sollten zwei Menschen sich nur zusammentu­n, um ein Kind miteinande­r zu bekommen – wo sie sich doch gar nicht lieben? Kann so eine Partnersch­aft auf Dauer funktionie­ren? Und vor allem: Was heißt das für das Kind? „Beziehunge­n ohne Liebe sind weitaus anfälliger für Trennungen, gerade dann, wenn Herausford­erungen und Konflikte auftreten“, sagt Matthias Dantlgrabe­r, Bundesgesc­häftsführe­r des Familienbu­ndes der Katholiken. Aus seiner Sicht bräuchten Kinder stabile Beziehunge­n und eine Atmosphäre emotionale­r Geborgenhe­it. In der Co-elternscha­ft sei das nicht immer gegeben.

Katharina hatte endgültig genug von Männern

Sex war für beide niemals eine Option

Die Kinder seien diejenigen, die darunter leiden müssen, sagt er.

Auch Katharina kennt diese Bedenken aus ihrem persönlich­en Umfeld. „Ich wurde als egoistisch bezeichnet“, sagt die 36-Jährige. „Ich würde dem Kind die Familie wegnehmen.“Sebastians Eltern und sein Freundeskr­eis sind liberaler. Doch selbst manche seiner homosexuel­len Freunde konnten nicht verstehen, wieso er gerade eine Heterofrau als Mutter seines Kindes ausgesucht hat. Dafür hat er eine einfache Antwort: „Wir bekommen kein Kind aus Liebe zueinander, sondern aus Liebe zu dem Kind.“

Pia Bergold hat am Staatsinst­itut für Familienfo­rschung an der Universitä­t Bamberg Regenbogen­familien erforscht. Ein Ergebnis ihrer Studie: Ob Kinder zufrieden sind, hänge nicht von der Familienfo­rm ab. Verstehen sich die einzelnen Familienmi­tglieder gut miteinande­r, ist es egal, ob Mama und Papa sich das Bett teilen oder nicht.

Sebastian und Katharina sind überzeugt, dass die Co-elternscha­ft gewisse Vorteile gegenüber der klassische­n Familienfo­rm hat. Zum Beispiel gäbe es keine Eifersucht. In ihrem Fall sowieso nicht. Und wenn das Baby mal da ist, könnten sie sich allein darauf konzentrie­ren. „Wir müssen keine romantisch­e Beziehung aufrechter­halten“, sagt Katharina: „Wo keine Liebe ist, kann auch kein Hass entstehen.“

Manche Co-eltern leben wie eine richtige Familie zusammen, in anderen Fällen lebt das Kind nur bei einem Elternteil. Wenn das Baby da ist, will Sebastian in Katharinas Nähe ziehen. Sein Wunsch für die Zukunft klingt fast bürgerlich: „Vielleicht wohnen wir später einmal in einem großen Haus am Stadtrand.“

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Foto: Westend61, Imago Vater, Mutter, Kind – so stellt man sich das eigentlich vor. Doch es gibt auch andere Familienmo­delle. Im Internet finden sich Co Eltern – Menschen, die eine Familie gründen wollen und dafür einen Partner suchen.
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Foto: Dorina Pascher Katharina und Sebastian erwarten zusammen ein Kind. Die beiden sind allerdings kein Paar, sondern das, was man Co Eltern nennt.

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