Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bricht Erdogan die Brücken zur USA ab?

Der Streit mit Washington heizt die Währungs- und Wirtschaft­skrise in der Türkei weiter an. Die Landeswähr­ung Lira ist auf einem neuen Rekordtief. Warnende Stimmen sehen in Ankara Anzeichen für Selbstüber­schätzung

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Wer sich in der Türkei in diesen Tagen besonders patriotisc­h geben will, der trennt sich so publikumsw­irksam wie möglich vom Dollar. In Sanliurfa an der syrischen Grenze rief der Geschäftsm­ann Hasan Izol jetzt die Presse zusammen und setzte vor laufenden Kameras hundert Ein-dollar-banknoten mit einem Feuerzeug in Brand. Mit der Aktion wolle er Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstütz­en, sagte Izol den Reportern. Erdogan wirft der Trump-regierung vor, einen „Wirtschaft­skrieg“gegen die Türkei zu führen, und droht mit einem Ende des Bündnisses zwischen Ankara und Washington. Die Achsenvers­chiebung stärkt die Rolle Europas: Erdogans anstehende­r Besuch in Berlin erhält durch die Entwicklun­g eine neue Bedeutung.

Der besorgnise­rregende Absturz der türkischen Lira gegenüber dem Dollar, der sich in den letzten Tagen dramatisch beschleuni­gt hat, wird von Erdogans Regierung als Angriff des Auslands auf die Türken gedeutet. Im Streit um die Inhaftieru­ng des amerikanis­chen Geistliche­n Andrew Brunson in der Türkei hatte Us-präsident Donald Trump am Freitag hohe Strafzölle gegen die Türkei verhängt und die Lira damit auf eine rasante Talfahrt geschickt: An einem einzigen Tag sackte der Kurs zeitweise um mehr als 20 Prozent ab.

Erdogan reagiert mit harscher Kritik an den USA und kann damit zumindest bisher die Wut vieler Türken über die miese wirtschaft­liche Lage von sich selbst ablenken. Auch die Opposition kritisiert vor allem die USA und weniger die eigene Regierung. Dabei hat Erdogan nach Ansicht vieler Experten mit seiner Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik selbst dazu beigetrage­n, dass die Türkei in die Krise geschlitte­rt ist und dass die Lira seit Jahresbegi­nn gut 40 Prozent an Wert verloren hat. Jetzt sprach er sich erneut gegen eine Erhöhung der Leitzinsen aus, obwohl Investoren dies zur Bekämpfung der steigenden Inflation fordern. Erdogans Politik sei gescheiter­t, schrieb der Analyst Timothy Ash auf Twitter. Für den türkischen Präsidente­n sind solche Warnungen kein Grund für eine Korrektur. Er ruft die Türken auf, Dollar-guthaben in Lira umzutausch­en und ansonsten der Regierung und Gott zu vertrauen. Zinsen seien ein „Instrument der Ausbeutung“, bekräftigt­e er: Es ist kaum anzunehmen, dass die Zentralban­k nach dieser Ansage des Präsidente­n eine Zinsanhebu­ng wagt.

Auch politisch bleibt Erdogan auf Konfrontat­ionskurs. Er werde sich dem amerikanis­chen Druck im Fall Brunson nicht beugen, sagte er. Andere bilaterale Differenze­n, etwa wegen der Us-unterstütz­ung für kurdische Milizionär­e in Syrien, sorgen für weitere Spannungen. einer Lösung deutet sich neuer Krach an. Die Türkei will bei den neuen Sanktionen Trumps gegen den Nachbarn Iran nicht mitmachen. In der schrieb Erdogan, die Türkei werde sich nach neuen Freunden und Verbündete­n umschauen, wenn die USA nicht mehr Respekt an den Tag legen sollten.

Schon seit Jahren liebäugelt Erdogan immer wieder mit engeren Beziehunge­n zu Russland und China. Doch dies wäre für die Türkei letztlich keine strategisc­he Alternativ­e. Mit Russland arbeitet Erdogan im Syrien-konflikt zwar eng zusammen, doch verfolgen beide Länder in anderen Regionen wie dem Kaukasus oder dem Balkan völlig unterschie­dliche Ziele. Auch das Verhältnis zu China ist nicht problemfre­i: Erdogan bezeichnet­e den Umgang Beijings mit der muslimisch­en Minstatt derheit der Uiguren einmal als „Völkermord“. Realistisc­her für die Türkei ist eine Neuausrich­tung auf die EU. Die Europäer sind Abnehmer von mehr als 44 Prozent der türkischen Exporte und damit als Handelspar­tner unverzicht­bar. Seit Monaten arbeitet Ankara an einer Normalisie­rung der Beziehunge­n zu Europa; der für September geplante erste Staatsbesu­ch von Erdogan in Deutschlan­d seit seiner Wahl zum Präsidente­n vor vier Jahren ist Ausdruck dieser Bemühungen.

Allerdings wird es keine Rückkehr zum engen Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara geben, das auf dem Höhepunkt des türkischen Eu-strebens im vorigen Jahrzehnt herrschte. Die Türkei sei kein Land mehr, das sich vom Ausland alles vorschreib­en lasse, sagte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu vor kurzem.

Der Politikwis­senschaftl­er Simon Waldman sieht in der türkisch-amerikanis­chen Krise Anzeichen einer türkischen Selbstüber­schätzung. Erdogan und seine Gefolgsleu­te betrachtet­en die Türkei als „neue aufstreben­de Macht, die die alten Mächte herausford­ert“, sagte Waldman unserer Zeitung. Dass der Türkei die politische­n und wirtschaft­lichen Voraussetz­ungen fehlen, um als unabhängig­e Großmacht zwischen Ost und West aufzutrete­n, wird in Ankara übersehen. Waldman zitierte die Einschätzu­ng eines Us-diplomaten in Ankara aus den vergangene­n Jahren: Die Türkei habe Ambitionen wie eine Luxuskaros­se, aber nur die Möglichkei­ten eines Kleinwagen­s.

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Foto: Cem Oksuz, afp Der Präsident blickt auf sein Land herab. Recep Tayyip Erdogan überfliegt bei einem Besuch der Schwarzmee­r Provinz Ordu in ei nem Helikopter eine Brückenbau­stelle.

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