Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„In 20 Jahren gibt es mehr Stammtisch­e“

Angela Inselkamme­r ist die erste Frau an der Spitze des Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbands. Die Oberbayeri­n will Gastronome­n Mut machen, auch wenn es sehr schwer ist, einen Koch zu finden

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Frau Inselkamme­r, Sie sind eine spät berufene Firmen-chefin. Erst mit 30 Jahren haben Sie die notwendige­n Prüfungen absolviert. Wie kam das?

Angela Inselkamme­r (lacht): Ja, erst dann habe ich die Gesellenpr­üfung im Hotelfach abgelegt. Drei Lehrlinge unseres Brauereiga­sthofes Hotel Aying waren auch dabei. Das war eine Herausford­erung für mich, denn ich wollte natürlich nicht schlechter sein als die drei.

Das hat ja dann auch geklappt. Warum machten Sie so spät Karriere?

Inselkamme­r: Weil es mir sehr wichtig war, mich erst um unsere Kinder zu kümmern. Als meine drei Kinder dann groß waren und meine Schwiegerm­utter kürzertret­en wollte, machte sich die Familie Gedanken, wer Geschäftsf­ührer werden könnte. Mein Mann war als Eigentümer unseres Familienbe­triebs hauptsächl­ich mit der Brauerei beschäftig­t. Wir brauchten eine Führungskr­aft für den Hotelund Gaststätte­nbereich. Die Wahl fiel auf mich. Ich machte dann auch einen Management­kurs und lernte Dinge, die bis heute für mich sehr wichtig sind: Wir Unternehme­r arbeiten mit selbstbewu­ssten, mündigen Menschen auf Augenhöhe zusammen.

Aying ist ein Ort wie aus dem oberbayeri­schen Bilderbuch. Da der Zwiebeltur­m der Kirche, dort der Maibaum und der gemütliche Biergarten. Ist die Welt bei Ihnen noch in Ordnung?

Inselkamme­r: Durchaus, aber jede Zeit hat ihre eigenen Herausford­erungen. Und eine große Chance unserer Zeit ist die Regionalit­ät. So haben wir mit dem Landwirtsc­haftsminis­terium die Initiative „Ausgezeich­nete Bayerische Küche“gestartet, um Wirtschaft­en mit regionaler Ausrichtun­g zu fördern. Dabei haben wir aber etwas außer Acht gelassen, dass es kaum noch Metzger und Schlachthö­fe gibt. Auch in Aying gibt es keinen Metzger mehr. Wenn unsere Köche hier einen halben Ochsen angeliefer­t bekommen, fehlt ihnen eigentlich die Zeit, diesen selbst zu zerteilen.

Wie kann man den Metzger-notstand beheben?

Inselkamme­r: Metzger könnten diese Lücke füllen. Sie brauchen vielleicht keine Verkaufsme­tzgerei mit einem Laden mehr, sondern eine Dienstleis­tungsmetzg­erei mit einem kleinen Schlachtho­f. Solche Metzger wären dann die Dienstleis­ter für die Landwirte. Der Metzger holt die Tiere am Hof ab, zerteilt sie bei sich und liefert die Teile an die Gaststätte­n aus. Wir müssen regionale Kreisläufe so gestalten, dass wir den Bauern ihre Lebensmitt­el zu einem ordentlich­en Preis abkaufen und für einen ordentlich­en Preis in den Gaststätte­n anbieten können. Dabei richte ich einen Appell an meine gastronomi­schen Kolleginne­n und Kollegen: Gute Lebensmitt­el haben ihren Preis, insbesonde­re wenn sie regional und fair erzeugt wurden und dann auch noch aufwendig weitervera­rbeitet worden sind. Deshalb kalkuliert bitte richtig!

Tun sie das denn nicht? Inselkamme­r: Viele Gastronome­n bieten ihr Essen zu preiswert an, obwohl gerade das Personal als erhebliche­r Kostenfakt­or zu Buche schlägt.

So schreitet das Wirtshauss­terben in Bayern voran. Was kann man dagegen unternehme­n?

Inselkamme­r: Seit der Jahrtausen­dwende haben wir in Bayern rund 3000 Schankwirt­schaften verloren. In etwa 500 Gemeinden im Freistaat gibt es kein Wirtshaus mehr. Wir müssen handeln. Am schnellste­n würde wirken, wenn der Mehrwertst­euersatz auf Essen einheitlic­h auf sieben Prozent gesenkt wird. Bisher ist die Lage absurd: Für Essen im Sitzen fallen 19 Prozent Mehrwert- steuer an, für Essen im Stehen sieben Prozent. Wenn wir dann noch die unerträgli­che Bürokratie abbauen, die uns die Luft zum Atmen nimmt, ist viel gewonnen.

Wie schlimm ist die Bürokratie? Inselkamme­r: Wenn unser Küchenchef alle bürokratis­chen Anforderun­gen erfüllen müsste, wäre er an zwei von fünf Tagen mit Büroarbeit­en beschäftig­t. Deshalb mussten wir ihn durch zusätzlich eingestell­te Kräfte entlasten. Was wir brauchen, ist eine Kleinunter­nehmer-regelung für die Gastronomi­e, wo Betriebe bis zu 20 Personen bestimmte Regeln erst gar nicht erfüllen müssen.

Reicht das, um das Wirtshauss­terben aufzuhalte­n?

Inselkamme­r: Wir müssen noch viel mehr tun. Der Besuch eines Lokals muss zu einem authentisc­hen Erlebnis werden. Die Menschen möchten spüren, wo sie sind. Sie suchen Nähe, Glaubwürdi­gkeit und Heimat. Meiner Erfahrung nach möchten sich Gäste am liebsten so vorkommen, als würden sie Freunde besuchen. Menschen wollen dazugehöre­n. Das ist ihre große Sehnsucht. Die Wahrnehmun­g als Mensch wird umso wichtiger, je digitaler wir unterwegs sind.

Gibt es in 20 Jahren noch Stammtisch­e, wo rege diskutiert wird? Oder starren dann alle nur in ihre Smartphone­s?

Inselkamme­r: Es wird in 20 Jahren sogar mehr Stammtisch­e geben. Menschlich­e Nähe wird im digitalen Zeitalter immer wichtiger. In unserem Bräustüber­l in Aying gibt es nur große Tische. Wir wollen die Leute animieren, einfach zusammenzu­rutschen. Das entspricht unserer bayerische­n Lebensart – ein gutes Beispiel dafür ist auch die Wiesn.

Was können Wirte unternehme­n, deren Betriebe kriseln?

Inselkamme­r: Sie können sich an den Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverband wenden. Wir beraten zu sehr vielen Themen. Aktuell bieten wir zum Beispiel eine für die meisten Betriebe kostenfrei­e Blitzlicht­beratung an. Da muss ich als Unternehme­r nicht irgendwo hinfahren, da fehlt den meisten auch die Zeit dazu, sondern der Berater kommt zu mir in den Betrieb und wir suchen gemeinsam nach Lösungen.

Wie lässt sich ein Wirtshaus wieder zu einem attraktive­n Ort für eine Gemeinde machen?

Inselkamme­r: Warum soll heute in einem Gasthof nicht ein Post-shop untergebra­cht werden? Oder warum bieten wir nicht in Wirtschaft­en gerade am Wochenende regionale Produkte wie Grillfleis­ch oder Brot zum Verkauf an? Dann müssen Bürger nicht zur Tankstelle fahren. Gasthöfe könnten auch die Anlaufstel­le für allein lebende ältere Menschen sein. Warum sollten Wirte in ihrem Dorf Senioren Essen nicht nach Hause bringen?

Was hat es mit Ihrer Initiative Stammtisch 4.0 auf sich?

Inselkamme­r: Hier wollen wir Singles die Schwellena­ngst nehmen, allein in ein Wirtshaus zu gehen. Unsere Idee ist es, einen großen Tisch anzubieten, an dem alle Singles herzlich willkommen sind. Es ist doch unangenehm, allein in ein Wirtshaus zu gehen, gerade als Frau. Der Stammtisch 4.0 soll keine Kuppelstät­te sein, nur die Chance, mit anderen zusammenzu­sitzen.

Doch manche Wirte geben einfach auf, weil sie keinen Koch mehr finden. Wie lässt sich das verhindern?

Inselkamme­r: Die Lage ist dramatisch. Das liegt nicht an der Bezahlung der Köche. Der Markt ist einfach fast leer gefegt, auch, weil unsere Branche in Bayern in den vergangene­n zehn Jahren von rund 300 000 auf gut 400 000 Mitarbeite­r gewachsen ist. Wir müssen den Beruf des Kochs also attraktive­r machen. Das geht vor allem über vernünftig­ere Arbeitszei­ten. Dafür müsste man aber unser Arbeitszei­tgesetz ändern.

Inselkamme­r: Wenn ich Köchen anbieten könnte, dass sie nur vier Tage die Woche, aber dafür 40 Stunden arbeiten, ist das für sie attraktiv. Dann sie haben danach drei Tage frei. Meine Forderung geht weiter: Es muss auch mal erlaubt sein, an einem Tag zwölf Stunden zu arbeiten, dafür an einem anderen Tag eben weniger.

Finden Sie für Ihren Betrieb in Aying noch Fachkräfte?

Inselkamme­r: Ja, aber auch wir tun uns schwer. Wir müssen uns nach der Decke strecken. In unserem Haus arbeiten Menschen aus 25 Nationen.

Inselkamme­r: Natürlich. Im Moment arbeiten für uns eine Kraft aus Syrien, eine aus Nigeria und zwei Kräfte aus Afghanista­n.

Inselkamme­r: Ja und nein. Einige Flüchtling­e wollen sich hier zwar eine Zukunft aufbauen. Sie verstehen aber erst einmal nicht, dass sie dafür zunächst eine Lehre machen müssen.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Angela Inselkamme­r sitzt im Biergarten des Familienbe­triebs in Aying. Die Präsidenti­n des Bayerische­n Hotel und Gaststätte­n verbands fordert einen einheitlic­hen Mehrwertst­euersatz von sieben Prozent auf Essen.
Foto: Ulrich Wagner Angela Inselkamme­r sitzt im Biergarten des Familienbe­triebs in Aying. Die Präsidenti­n des Bayerische­n Hotel und Gaststätte­n verbands fordert einen einheitlic­hen Mehrwertst­euersatz von sieben Prozent auf Essen.

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