Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Jazz ist längst global geworden“

Wer und was hat diesen deutschen Jazzer beeinfluss­t? Welche Forderunge­n stellt er an Fernsehen und Rundfunk? Wie soll der künftige Echo-preis aussehen? Ein Interview

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Herr Wollny, als Journalist mache ich während dieses Interviews jetzt mein Handy aus. Aber wie reagieren Sie, wenn in Ihren Konzerten eines klingelt?

Michael Wollny: Es ist natürlich nicht schön, wenn man durch so etwas unterbroch­en wird. Anderersei­ts versuche ich, solche Dinge nicht auf mich zu beziehen, sondern bei mir zu bleiben. Wobei es auch schwache Tage gibt, an denen ich jedes Geräusch im Saal so sensibel wahrnehme wie die Musik. Wenn dann ein Telefon klingelt, ist das schon eine Unterbrech­ung.

Keith Jarrett reagiert oft verärgert, wenn jemand hustet oder fotografie­rt.

Wollny: Ich kann das nachvollzi­ehen. Vor allem, weil er als Künstler ständig unter Beobachtun­g ist, alles wird mit der Lupe betrachtet, aufgenomme­n und dann auf Youtube hochgelade­n. Pat Metheny hat einmal gesagt, dass das Youtube-zeitalter seine musikalisc­he Risikobere­itschaft minimiert hat. Weil die Handy-beobachtun­g so eine Ewigkeitsa­chse aufmacht, diese Aufnahmen sind dann einfach da.

Sie veröffentl­ichen in letzter Zeit Ensemble-alben – zuletzt die beiden Trio-alben „Wartburg“und „Oslo“. Ihre letzte Solo-cd dagegen ist schon vor zehn Jahren erschienen. Warum?

Wollny: Im Strom der vielen Veröffentl­ichungen hat man ja eigentlich nur einmal im Jahr einen „Slot“, den man mit einem neuen Album füllt. Sprich, man kann nicht unzählbar viele Projekte gleichzeit­ig veröffentl­ichen. Und für mich war in den letzten Jahren das Trio der Hauptkanal, der konstant geblieben ist, der sich weiterentw­ickelt hat.

Für Humor ist Jazz heutzutage nicht gerade bekannt. Ist Jazz-musik zu ernst geworden?

Wollny: Nein, das kann man dem Jazz nicht vorwerfen. Der Begriff steht heute für so eine große Bandbreite, von traditione­ll bis progressiv, von elektrisch bis akustisch, Pop und Avantgarde. Es gehören auch Experiment­e dazu, wo die Musik ein wenig an Forschung erinnert. Da ist eine gewisse Strenge auch wichtig. Dass der Jazz als ernst empfunden wird, kommt vielleicht daher, dass manche Hörer denken, man müsste eingeweiht sein, um ein Jazz-konzert zu genießen.

Gibt es eine bestimmte Jazz-tradition, an die Sie anknüpfen? An das Schaffen bestimmter Pianisten?

Wollny: Ja. Zum Jazz gekommen bin ich über Keith Jarrett. Im Studium habe ich mich dann mit Pianisten wie Oscar Peterson und Bud Powell beschäftig­t. Klassische Musik war aber genauso eine wichtige Quelle für mich. Als Teenager habe ich zum Beispiel Aram Chatschatu­rjan, Paul Hindemith und Skrjabin gespielt. Auch Schubert und Schumann, romantisch­e Literatur, die ich vor allem durch mein Elternhaus mitbekam. Empfehlen Sie heute als Lehrer Ihren Jazz-studenten, auch klassische Musik zu spielen?

Wollny: Ja. Ich denke, wenn man Klavier studiert, sollte man auch in etwa wissen, was es in der westlichen Musiktradi­tion alles gibt, von Couperin über die Goldberg-variatione­n, Schubert bis hin zu Ligeti. Von diesen Werken kann man sich inspiriere­n lassen.

Wenn man sich anschaut, wer heute in Deutschlan­d Jazz unterricht­et, könnte man zugespitzt formuliere­n: Jazz an deutschen Hochschule­n ist eine weiße Musik.

Wollny: Klar, es ist etwas anderes, ob man Jazz in den USA auf der Straße lernt oder in Leipzig oder Köln studiert. Aber das begründet ja am Ende eine Vielseitig­keit, die wichtig ist. Jazz ist längst global geworden. Wollny: Ich persönlich kann mich überhaupt nicht beklagen. Aber was das Genre generell betrifft: Ja, das könnte mehr sein.

Wollny: An alle Medien, die einen Auftrag haben. Ich sehe es als deren Aufgabe, zu zeigen und zu beleuch- ten, welche Nischen es gegenüber dem Mainstream gibt.

Einer der wenigen Anlässe, wo Jazz im TV gezeigt wurde, war die Verleihung des Echo Jazz. Sie haben den Preis acht Mal gewonnen. Allerdings saß Ihr Produzent Siggi Loch in der Jury. Wie hängt das zusammen?

Wollny: Dass man einen Preis bekommt, liegt daran, dass man vorgeschla­gen wird. Im Fall des Jazzechos lief der Vorschlag über die Labels und die Auswahl über die Jury. Die Jury bestand aus den Heads der verschiede­nen Labels, die einreichen, plus Journalist­en und Veranstalt­er.

Aber macht das in Ihren Augen Sinn, dass der Produzent Ihrer CD in der Jury sitzt, die über die CD urteilt? Wollny: Soweit ich weiß, hat kein Juror jemals seine Stimme für die von ihm selbst vorgeschla­genen Projekte gegeben. Grundsätzl­ich waren alle einreichen­den Firmen und die Vertreter der Presse, des Radios und der Veranstalt­er am Tisch und es ging um Mehrheitse­ntscheidun­gen bei der Wahl der Gewinner. Inwieweit dieses Prozedere nun sinnvoll oder sinnlos war, um einen Preis der Musikindus­trie zu ermitteln, möchte ich im Rückblick nicht bewerten.

Der Echo Jazz wurde auch von vielen Musikern aus der Jazz-szene kritisch gesehen.

Wollny: Dass der Jazz-echo von Anfang an verbesseru­ngswürdig war, das steht außer Frage. Nur: Eine richtig gute Idee, mit der man all den verschiede­nen Interessen gerecht wird – von den Labels, dem Bundesverb­and Musikindus­trie, den Künstlern –, diese Idee steht bis heute noch aus. Dazu gehört auch die Frage, wie man diese Musik im Medium Fernsehen transporti­ert.

Was wünschen Sie sich vom Nachfolger des Echo Jazz?

Wollny: Wenn es den dann mal gibt – vielleicht sollte man sich nicht so sehr den Kopf darüber zerbrechen, wie man den Jazz als Fernsehgal­a inszeniert, sondern einfach die Musik zeigen, wie und wo sie tatsächlic­h stattfinde­t. Interview: Jakob Buhre

Michael Wollny, 1978 in Schwein furt geboren, zählt zur ersten Gar de der deutschen Jazz Pianisten. Er studierte bei dem Jazzmusike­r Chris Beier an der Würzburger Musik hochschule und lehrt heute selbst als Professor in Leipzig. Wollny hat zahlreiche Stipendien und Aus zeichnunge­n erhalten, wichtige CDS aus seiner Hand sind: „Hexen tanz“, „Wunderkamm­er“, „Welten traum“und „Nachtfahrt­en“. (AZ)

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Foto: dpa Der deutsche Jazz Pianist und Klavier Professor Michael Wollny im Februar 2018.

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