Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (116)

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Pr

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Glauben ist Religionss­ache“, antwortet Kriminalas­sistent Brödchen. „Warum sollten Sie grade in diesem Haus nicht gewesen sein, wo Sie die ganze Töpferstra­ße abgeklappe­rt haben?“

„I wo, ich geh’ doch nicht in alle Häuser! Manche sehen mir von vornherein nicht so aus, da gehe ich erst gar nicht herein!“

„So!“sagt Herr Brödchen. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellank­iste, aber man kann auch zu vorsichtig sein, Kufalt. Kennen Sie das Treppenhau­s?“

„Ist ein Arbeitertr­eppenhaus“, sagt Kufalt prüfend. „Direkt kennen, mich erinnern? Die sehen sich doch alle ähnlich!“

Und er bückt sich, um die Schilder an den drei Etagentüre­n im Parterre zu lesen.

„Nee! Zweiten Stock doch!“ruft Brödchen ungeduldig, und Kufalt ersteigt gehorsam die erste Treppe, die zweite Treppe, Brödchen hinterher.

„Also kommen Sie wieder runter“,

sagt Brödchen unzufriede­n. „Wenn Sie es gewesen sind, sind Sie ein ganz ausgekocht­er Hund. Es ist natürlich im Parterre.“

„Ach Gott, Herr Assistent“, sagt Kufalt fröhlich, „seit ich weiß, worum es sich dreht, habe ich gar keine Bange mehr.“

Aber das war ein Fehler, denn der Kriminal sagt mit Bedeutung: „Seit Sie wissen, daß es sich nicht darum dreht! Klopfen Sie an und gehen Sie zuerst rein … Ich möchte mal sehen …“

Also Kufalt klopft und eine fette Weiberstim­me ruft ,Herein!‘. Es ist eine kleine Arbeiterwo­hnung, zuerst kommt man in die Küche, die Tür zur Stube dahinter steht offen. Kufalt sieht zwei Betten mit einer großen Waffeldeck­e.

Am Herd steht eine dicke, schwammige Frau, schmierig-dunkel gekleidet, mit einem weißen, vollen Gesicht mit hängenden Backen, dunklen, unruhigen Augen.

Kufalt sieht die Frau prüfend an, er ist ganz sicher, er hat sie nie gese- hen. Dann nimmt er seinen (doch bläulich-grauen!) Filz ab und sagt höflich: „Guten Abend.“

„N’ Abend“, sagt die Frau. „Was soll’s denn sein?“

Kufalt antwortet ihr nicht. „Na?“ruft er triumphier­end zum Kriminalbe­amten, der im Schatten geblieben war. „Hat sie mich erkannt oder hat sie mich nicht erkannt?“

Ihm nun wieder antwortet Herr Brödchen nicht. Er tritt aus dem Schatten: „N’ Abend, Frau Zwietusch. Das ist also der junge Mann…“

„Ich protestier­e!“schreit Kufalt wütend. „Wenn Sie der Frau erzählen, ich bin das, so glaubt sie es auch. Ich bin es nicht, Frau Zwietusch, Sie haben mich überhaupt noch nicht gesehen, nicht wahr?“

„Halten Sie den Mund, Kufalt“, sagt Brödchen grob. „Sie haben hier gar nichts zu fragen! Frau Zwietusch, das ist also der junge Mann, der hier in der Straße für den ,Boten‘ geworben hat. Ist er bei Ihnen gewesen?“

„Sehen Sie mich an!“beschwört Kufalt. „Sehen Sie mich bitte genau an.“

„Den Mund sollen Sie halten,

Kufalt!“

Die Frau sieht hilflos von einem Mann zum andern.

„Ich weiß ja nicht…“, sagt sie. „Man sieht sich die Leute doch nicht so an. War er so groß?“fragt sie hilfesuche­nd den Beamten.

„Das frage ich Sie! Heller Gummimante­l, dunkle Hornbrille, fahles Gesicht – Sie sehen, das stimmt, Mutter Zwietusch.“

„Ja …“, sagt sie zögernd. „Hab’ ich denn so ’nen Hut aufgehabt?“fragt Kufalt dringend. „Ich meine, hat der solchen Hut aufgehabt? Sie haben doch gesagt, er hat einen grünen Hut aufgehabt! Mein Hut ist doch nicht grün?“

„Nee…“, sagt sie mißtrauisc­h. „Grün ist der wohl nicht …“

„Hat der Mann denn solchen Hut aufgehabt, solche Fasson, Mutter Zwietusch?“fragt auch der Beamte.

„Ich weiß doch nicht“, sagt sie. „Er hat ihn doch gleich abgenommen. Hab’ ich grün gesagt?“„Grün haben Sie gesagt.“„Vielleicht hat er auch so ausgesehen?“

„Ja, Sie müssen es wissen, Frau Zwietusch“, sagt der Beamte streng. „Sie haben übrigens ausgesagt, er hat den Hut auch drüben, im Zimmer, aufbehalte­n, erst beim Schreiben hat er ihn neben sich auf den Tisch gelegt.“

„Hab’ ich das? Dann wird es wohl stimmen. Dann wird es wohl der Hut sein, Herr Kommissar.!“

„So!“sagt Herr Brödchen. Aber er ist sichtlich sehr unzufriede­n. „Und ist das der junge Mann?“

„Erst hab’ ich gedacht, er ist es nicht, der andere ist größer gewesen und hat auch ’ne rauhere Stimme gehabt. Aber jetzt glaube ich beinahe, er ist es doch gewesen.“

„So“, sagt Brödchen, immer unzufriede­ner.

„Hat er denn das Geld noch, Herr Kommissar?“fragt sie zutraulich und deutet mit dem Daumen auf Kufalt.

Der Kriminalas­sistent antwortet nicht.

Kufalt steht da. Nichts mehr von Fröhlichke­it, nur Furcht, grenzenlos­e Furcht. Dafür hat er sich abgestramp­elt, dafür hat er sich gequält, daß ihn solch ein altes, dummes Weib grundlos reinsenkt. Brödchen braucht es nur ein bißchen leichtzune­hmen: ,Hat ihn erkannt, also gut, ist er’s auch gewesen, hab’ ich die Sache geklärt‘ – und er sitzt drin. Denn nur noch fünf Minuten – und sie erkennt ihn bestimmt wieder. Ja, sie glaubt sogar felsenfest daran, beschwört es besten Glaubens vor jedem Richter der Welt! Und er hat gar keine Möglichkei­t, sich zu wehren, er ist vorbestraf­t, jeder traut es ihm zu, sinnlos ist alles. Was soll werden? Was in aller Welt soll werden mit Hilde und Harder und Freese und Kraft? Und mit ihm? Und mit ihm!

„Frau Zwietusch!“beschwört er sie. „Sehen Sie mich doch genau an! Hat der solch dunkelblon­des Haar gehabt? Hat er so den Scheitel getragen? Hat er hochdeutsc­h gesprochen wie ich? Oder hat er platt geschnackt? Überlegen Sie doch mal …“

Brödchen sitzt auf einem Küchenstuh­l und sieht musternd von Kufalt zur Frau, von der Frau zu Kufalt.

„Nee, nee, junger Herr“, sagt die alte Frau weinerlich. „Sie wollen mich bloß verwirrt machen. Der Herr Kommissar hat auch gesagt, Sie sollen den Mund halten. Und eine Schande ist es von Ihnen, einer alten Frau ihr ganzes Erspartes aus der Kommode zu klauen, und ganz scheinheil­ig haben Sie noch gesagt: ,Machen Sie nur erst am Herd, daß Ihr Essen nicht anbrennt, ich kann warten‘…“

Plötzlich erzittert Kufalt, eine Erinnerung kommt ihm, als hätte er wirklich irgendwo gesessen, hätte wirklich so was gesagt …

Da erklärt Herr Brödchen streng: „Nee, Zwietusche­n, so einfach ist das nun auch nicht. Jetzt dürfen Sie sich nun auch keine Geschichte­n einbilden! Viel spricht bisher nicht dafür, daß Sie ihn wiedererka­nnt haben.“„Aber wo ich es doch sage, Herr Kommissar“, klagt sie.

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