Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Alles auf Rechtshänd­er ausgericht­et“

Bis zu 15 Prozent der Menschen sind Linkshände­r. Zu ihnen zählen Berühmthei­ten wie Barack Obama oder Paul Mccartney. Gespräch mit einer Expertin zum heutigen Linkshände­rtag

-

Frau Sattler, Sie haben 1985 Deutschlan­ds erste Beratungss­telle für Linkshände­r gegründet. Was hat sich seitdem getan?

Johanna Barbara Sattler: Das Bewusstsei­n der Gesellscha­ft für Linkshände­r hat deutlich zugenommen. Es gibt heute mehr Rücksicht und auch viele Produkte, die Linkshände­r als Hilfsmitte­l im Alltag nutzen können. Doch wir sind noch nicht so weit, wie manche glauben. Das ist ja das Dilemma: Je mehr sich die Situation der Linkshände­r verbessert, desto eher glaubt so mancher, man brauche gar nichts mehr zu unternehme­n.

Sattler: Ich finde, Linkshände­r bekommen immer noch zu wenig Unterstütz­ung im Alltag. Das geht schon in Kindergärt­en und Grundschul­en los – da wird kaum auf die Linkshändi­gkeit eingegange­n. Die Kinder werden nicht so berücksich­tigt, wie es notwendig wäre. Dabei sollten Erzieher und Lehrer darauf achten, dass gerade Linkshände­r die richtige Schreibhal­tung möglichst früh vorbereite­n und einüben. Sonst verwischen sie alles mit der Hand wieder oder eignen sich eine Hakenhaltu­ng an, wie man sie etwa bei dem ehemaligen Us-präsident Barack Obama sieht. Außerdem sollte sich links von einem Linkshände­r auch kein Rechtshänd­er hinsetzen. Das ist schlecht für beide, sie behindern sich nämlich beim Schreibenl­ernen.

Welche Probleme haben Linkshände­r als Erwachsene zum Beispiel in ihrem Alltag?

Sattler: Ob am Arbeitspla­tz, im Haushalt oder im öffentlich­en Nahverkehr: Es ist einfach alles auf Rechtshänd­er ausgericht­et! Beim Parkschein­automaten und am Fahrkarten­verkauf etwa ist der Geldeinwur­f rechts, auch Elektroger­äte wie Mikrowelle­n und Spülmaschi­nen lassen sich mit rechts besser bedienen. Linkshände­r müssen mit ihrer dominanten Hand oft einmal über Kreuz greifen. Und fassen sie bei einem Wasserhahn mit zwei Griffen intuitiv zum linken, verbrennen sie sich dann beim Händewasch­en, weil den Rechtshänd­ern zuliebe das kalte Wasser rechterhan­d bedient wird.

Sind das die Ärgernisse, die Linkshände­r in Ihrer Telefonber­atung ansprechen?

Sattler: Viele Linkshände­r haben sich mit den Herausford­erungen längst arrangiert, sie passen sich an und nehmen es häufig selbst gar nicht mehr wahr, wie komplizier­t ihr Alltag manchmal ist. Kein Linkshände­r wird sagen: Ich schaffe das nicht. Alle kommen auf ihre Weise mit der Situation klar.

Gewöhnen sich Linkshände­r nicht an die Umstände, wenn sie es ein Leben lang nicht anders kennen?

Sattler: Genau das ist wieder das Dilemma: Die wenigsten Hinderniss­e für Linkshände­r gehen über die Schmerzgre­nze hinaus, vieles ist einfach nur nervig. Aber wenn in einer öffentlich­en Bibliothek Computermä­use so kurz verkabelt sind, dass Linkshände­r sie nicht mit links

nutzen können, ist das eine Zumutung!

Hilft der heutige Linkshände­rtag, auf solche Missstände aufmerksam zu machen?

Sattler: Bei unserem Tag der offenen Tür in unserer Beratungss­telle in München – heute von 15 bis 17 Uhr – nutzen wir die Chance, um auf die Schwierigk­eiten hinzuweise­n. Die Aufmerksam­keit für Linkshände­r ist beim Internatio­nalen Linkshände­rtag natürlich größer. Da muss es doch möglich sein, die Dinge des Alltags mittig zu positionie­ren, sodass ergonomisc­he Chancengle­ichheit besteht. Kein Mensch darf wegen einer körperlich­en Eigenschaf­t wie der Linkshändi­gkeit derart körperlich beeinträch­tigt sein.

Welche Ziele haben Sie, damit sich die Situation der Linkshände­r bessert?

Sattler: In bayerische­n Bildungsun­d Erziehungs­plänen muss die Händigkeit­serziehung endlich verankert werden. Für eine richtige Schreibhal­tung sollten Lehrer und Erzieher viel mehr Zeit investiere­n. Außerdem wäre es wünschensw­ert, einen Fonds einzuricht­en, aus dem Unternehme­n gefördert werden, die Arbeitsmat­erialien speziell für ihre Mitarbeite­r kaufen, die Linkshände­r sind. Denn auch am Arbeitspla­tz sollen sie endlich zugeben dürfen, dass sie Linkshände­r sind. Viele befürchten heute noch, dass sie deshalb diskrimini­ert und nicht eingestell­t werden.

Interview: Anika Zidar

Johanna Barbara Sattler ist die Gründerin von Deutschlan­ds erster Be ratungsste­lle für Linkshände­r in der Send linger Straße 17 in München. Heute findet dort von 15 bis 17 Uhr ein Tag der offenen Tür statt. In ihrem Büro analy siert die Psychologi­n und Psychother­a peutin in unklaren Fällen, welche Hand bei Kindern die dominante ist, und orga nisiert Rückschulu­ngen für umerzogene Linkshände­r. Außerdem setzt sich die (rechtshänd­ige) Linkshände­r Aktivistin für mehr Gleichbere­chtigung ein.

 ?? Foto: Federico Gambarini, dpa ?? Wohl einer der berühmtest­en Linkshände­r der Welt: Sir Paul Mccartney, der schon bei den legendären Beatles den Bass zupfte, bei einem Auftritt in Köln.
Foto: Federico Gambarini, dpa Wohl einer der berühmtest­en Linkshände­r der Welt: Sir Paul Mccartney, der schon bei den legendären Beatles den Bass zupfte, bei einem Auftritt in Köln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany