Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kandel ist noch lange nicht vorbei
Justiz Messerstecher Abdul D. muss achteinhalb Jahre in Haft – ein Prozess im Sog der Flüchtlingsdebatte
Landau Die Forderungen nach einer härteren Strafe für den Mord an der 15-jährigen Mia kann der Angeklagte Abdul D. im Landauer Landgericht nicht hören. Im ersten Stock verdecken Rollos die Fenster, kein Blick soll in den Saal dringen. Unten auf der Straße sind einige Passanten richtig wütend. „So einer hat eine härtere Strafe verdient“, sagt etwa der 53-jährige Martin Müller, der mit einem Plakat vor dem Gebäude steht. „8,5 Jahre für ein Mord sind eine Schande!“steht da.
Achteinhalb Jahre Gefängnis wegen eines Mordes mit einem Brotmesser – begangen in einem Drogeriemarkt im südpfälzischen Kandel, kurz nach Weihnachten: Das mit Spannung erwartete Urteil kommt am Montag per E-mail, denn der Richterspruch fällt hinter verschlossenen Türen. Abdul D. war zum Tatzeitpunkt möglicherweise minderjährig, daher wird der Prozess gegen Mias vermutlich aus Afghanistan stammenden Ex-freund nach Jugendstrafrecht geführt. Und das heißt: ohne Publikum. Sein Mandant habe gefasst reagiert und akzeptiere das Urteil, sagt Anwalt Maximilian Endler. Der Strafverteidiger rechnet damit, dass Abdul D. nach Verbüßen einer Teilstrafe nach Afghanistan abgeschoben wird. In seinem Schlusswort habe Abdul D. noch einmal Reue bekundet. Staatsanwaltschaft und Nebenkläger hatten die Höchststrafe von zehn Jahren bei Jugendstrafrecht gefordert, die Verteidigung sieben Jahre und sechs Monate wegen Totschlags.
Draußen vor dem Gericht patrouillieren Sicherheitskräfte. Lange vor dem Urteil sind Polizisten und Journalisten in Landau eingetroffen. An der Seite des Landgerichts stehen Absperrgitter. Hinter dem Gebäude parken Mannschaftswagen der Polizei. „Die müssen ja wirklich Angst vor uns haben“, sagt ein Radler, als er kopfschüttelnd vorbeifährt. Wiederholt war Kritik laut geworden, der hinter verschlossenen Türen geführte Prozess widerspreche dem öffentlichen Interesse. Rechtsexperten wie Anwältin Jenny Lederer weisen dies zurück. „Es ist zu kurz gedacht, wenn man das Bedürfnis der Öffentlichkeit befriedigt, aber den Folgen für die Weiterentwicklung des Angeklagten – und damit auch für die Gesellschaft, in die es den Menschen wieder einzugliedern gilt – nicht ausreichend Rechnung trägt“, sagt Lederer, Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins.
Mit dem Urteil von Landau wird ein Verbrechen juristisch aufgearbeitet, das in den Sog des Streits über die Flüchtlingspolitik geriet. Am Mittag des 27. Dezember 2017 traf Abdul D. in einem Drogeriemarkt in Kandel auf seine Exfreundin Mia. Sieben Mal stach er zu – aus Eifersucht und Rache, wie die Anklagebehörde glaubt. Das Gericht verurteilt ihn wegen Mordes an Mia und zudem wegen Körperverletzung, weil Abdul D. einen Freund Mias geschlagen hatte.
Abdul D. war 2016 als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling eingereist. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Als Mia sich von ihm trennte, soll er sie bedroht haben. Die Eltern erstatteten Anzeige. Seit dem Verbrechen sind acht Monate vergangen – eine Zeit, die von zahlreichen Kundgebungen in Kandel überschattet wurde. Rechte Gruppierungen nutzten die Tat zur Agitation – gegen den Willen vieler Bürger. „Kandel hasst Nazis“steht in der Stadt rund 20 Kilometer südlich von Landau an einer Wand. „Die Außendarstellung ist verheerend. Das hat Kandel nicht verdient“, sagt ein Mann aus der etwa 9000 Einwohner zählenden Stadt. „Ein solches Verbrechen ist sehr grausam. Es geschieht leider auch anderenorts.“In Kandel ist für Oktober die nächste Demonstration angekündigt. Trotzdem werten viele das Urteil als Chance. Zum einen für Abdul D., der noch jung ist und nicht lebenslang in Haft muss. Zum anderen für die Bürger von Kandel, die das Trauma der Bluttat jetzt vielleicht verarbeiten können. Vor allem aber für die Eltern von Mia. Sie sind in der Trauer um ihr Kind nun hoffentlich ungestört. Wolfgang Jung und Julian Weber, dpa