Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Wir brauchen bessere Talkshows“
Interview Er hat sich mit Anne Will und Sandra Maischberger, ARD und ZDF angelegt: Der Chef des Deutschen Kulturrates über schlechte Vorbilder für gesellschaftliche Debatten, den Sinn des Rundfunkbeitrags und die AFD
Herr Zimmermann, Sie haben kürzlich für Wirbel gesorgt, weil Sie forderten, die Macher der Talkshows bei ARD und ZDF sollten vielleicht mal eine Pause machen, um über ihre Konzepte nachzudenken. Welche Veränderungen wünschten Sie sich?
Olaf Zimmermann: Wir brauchen eine größere Themenvielfalt. Denn wir haben eine deutliche Häufung bei Migration und Flucht. Wenn man sagt, wir haben eigentlich kein anderes Thema mehr, über das wir reden können, dann darf man sich nicht wundern, wenn eine Gesellschaft dann auch besonders auf diese Themen fixiert ist. Selbstverständlich wird man etwa über die Vorfälle in Chemnitz auch in einer Talkshow sprechen müssen. Aber das so gern von Talkshow-machern genannte Argument, dass bei diesen Themen das Interesse, also die Einschaltquoten, am höchsten sei, das kann ich nicht alleine gelten lassen.
Warum nicht?
Zimmermann: Es ist wichtig, wie viele Menschen sich eine solche Show anschauen, aber es ist nicht der Hauptgrund für die Entscheidung, welches Thema ich nehme. Die Talkshows werden ja im öffentlichrechtlichen Rundfunk ausgestrahlt, deswegen gibt’s den Rundfunkbeitrag, deshalb ist es ein System, das nicht am Markt erfolgreich sein muss, sondern eine Idee vermittelt, auch von Demokratie, von zivilisierter gesellschaftlicher Debatte.
Die Öffentlich-rechtlichen als Gegenbild zu einer Medienwelt, in der das Ringen um Aufmerksamkeit, befeuert durchs Internet, immer mehr zu Zuspitzungen und Erhitzungen führt?
Zimmermann: ARD und ZDF sind nicht Twitter. Deshalb kämpft der Kulturrat für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Finanzierung über einen Beitrag aller Haushalte. Weil er gegensteuern muss. Aber die Talkshows im
Ersten und im ZDF sind ja inzwischen ökonomische Satelliten, die um ARD und ZDF kreisen und nicht fest in den Sendern eingebunden sind. Sie werden von Produktionsfirmen gemacht, die in der Regel von den Macherinnen und Machern der Talkshows privatwirtschaftlich betrieben werden. Das ist eine Fehlentwicklung, auch, weil damit ein ökonomischer Aspekt stark in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hineingetragen wird. Und wenn man auf der einen Seite die Sicherheit und Unabhängigkeit durch den Rundfunkbeitrag haben will, dann kann man sich auf der anderen Seite nicht wie ein ganz normales Unternehmen benehmen.
Welche gesellschaftliche Bedeutung sehen Sie denn in diesen Talkshows?
Zimmermann: Sie sind zentral als Orte der Diskussion. Auch mit den Geschehnissen dieser Tage stehen wir ja wieder vor der Frage, wie wir
vernünftige Streitkultur in unserem Land etablieren können. Wie wir es hinkriegen, mit Auswüchsen wie in Chemnitz umzugehen – es hilft ja nichts, sie nur zu bedauern. Wir brauchen eine vernünftige Debattenkultur. Und da haben die Talkshows Vorbildcharakter. Deswegen ist es ganz wichtig, was dort diskutiert wird und wie es dort diskutiert wird. Die Shows müssen sich ihrer Rolle bewusster werden und diese ernst nehmen: Sie liefern das Bild, nach dem viele andere Debatten, im Betrieb, in der Familie und, wie wir sehen, auch auf der Straße dann weitergeführt werden.
Bislang erlebt man in Talkshows eher das Misslingen von Kommunikation. Zimmermann: Das macht die Konzeption. Es hat ja etwas Ritualisiertes, was wir da erleben, darum sind es ja auch sehr oft dieselben Menschen, die dort auftreten. Und deren Aufgabe ist es, die politische Position, die sie schon haben und die klar festliegt, rüberzubringen. Das ist natürlich kein Gespräch, sondern das ist eine andere Form von öffentlicher Verlautbarung. Das ist das Problem. Und das hat sich zu einer Kultur erhoben. So scheint es in den Talkshows normal zu sein, wenn ich miteinander rede, dass ich am Schluss genau derselben Meinung bin wie zu Beginn. Aber das ist natürlich keine Diskussion. Eine solche müsste auch die Möglichkeit einer Änderung der eigenen Einsteleine
lung mitbringen, eines Kompromisses zumindest. Haben Sie jemals erlebt, dass ein Politiker in einem Talk sagt: „Das ist jetzt mal ein neuer Gedanke, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, da haben Sie recht?“
Sie?
Zimmermann: Nein. Das gibt es eben nicht. Und das ist genau der Punkt, wo dieser Vorbildcharakter verloren geht. Wenn ich so diskutiere, wie in den Talkshows diskutiert wird, dann darf ich mich nicht wundern, dass die Gesellschaft immer mehr auseinanderdriftet, und dass es natürlich keine gemeinsame Sprache mehr gibt. So wie die Talkshows heute konzipiert sind, kommt jedenfalls maximal heraus, dass klar wird, dass die Positionen von Parteipolitikern so sind, wie sie sind. Aber es kommt nichts Neues zustande.
Gibt es Formate, bei denen Sie das Geforderte erfüllt sehen?
Es gibt das durchaus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, etwa die „phoenix runde“oder den „Presseclub“– da sehe ich andere Diskussionen, die anders geführt werden, wechselnde Teilnehmer, andere Sichtweisen. Aber ich glaube nicht, dass wir damit schon die Spitze der Möglichkeiten erreicht haben. Das wäre doch den Schweiß der Edlen wert, eine Antwort zu finden auf die Frage: Wie können wir in dieser Gesellschaft jetzt die Debattenkultur positiv gestalten? Natürlich wird sich darüber schon Gedanken gemacht. Aber herausgekommen sind im Ersten und im ZDF im Wesentlichen eben vier, fünf Talkshows, die alle im Grunde nach dem gleichen Prinzip funktionieren. Und das ist nicht unbedingt debattenförderlich in der Gesellschaft.
Bessere Talkshows für Deutschland?
Zimmermann: Ja, wir brauchen bessere Talkshows. Und darum müssen wir mit den Machern ja auch streiten. Denn diese Sendungen gehören nicht ihnen, das sind unsere Sendungen, sie gehören letztlich den Beitragszahlern. Das muss man klar sagen: Das ist keine Frage des freien Marktes, sondern das sind Sendungen, die werden durch den Rundfunkbeitrag ermöglicht.
Es gibt immer wieder Kritik, Debatten würden in den Öffentlich-rechtlichen von einer linksliberalen Perspektive geprägt. Wie sehen Sie das?
Zimmermann: Ja, es gibt diesen Vorwurf, vor allem vonseiten der AFD, dass sie mit ihren Standpunkten nicht genügend zu Wort käme … Ich sehe das ganz anders. Die AFD ist vor allem auch deshalb so groß geworden, weil sie weit über das Maß der Angemessenheit vom öffentlichrechtlichen Rundfunk wahrgenommen worden ist – und zwar besonders in Talkshows. Ganz viele der Talkshow-macher sind liberal gesinnt; es mag auch manche geben, die eher linksliberal gesinnt sind. Ich habe das Gefühl, dass sie, um sich selbst keinem Vorwurf der Einseitigkeit auszusetzen, besonders offen gegenüber Auftritten der „Neuen Rechten“sind. Auch hat die linksliberale Perspektive nicht zu einer größeren Themenvielfalt in den Shows geführt. Und es ist ja nicht so, dass es einen Mangel an anderen wichtigen Themen gäbe. Die Digitalisierung, die Bildung… Das mag kompliziert sein: Schwierige Themen, die wichtig für die Gesellschaft sind, verstehbar zu machen für Menschen, die keine Fachleute sind. Es ist aber eine zentrale Aufgabe für gute Journalisten.