Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Ich bitte um Verzeihung“
Aussagen zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche brachten den Wallfahrtsort Maria Vesperbild im Kreis Günzburg bundesweit in die Schlagzeilen. Nun melden sich zwei Opfer zu Wort – und Pfarrer Meir entschuldigt sich
Augsburg Es war die blanke Wut, die in Michael Symolka aufstieg – als er las, was Erwin Reichart, Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild, und Pfarrer Wilhelm Meir kürzlich bei einer Veranstaltung in Maria Vesperbild im Landkreis Günzburg gesagt hatten
Titel der Veranstaltung: „Kann man den Priestern und der Kirche überhaupt noch trauen?“
Es ging um den Missbrauchsskandal innerhalb der katholischen Kirche, dessen Dimensionen eine Ende September vorgestellte Studie erstmals zutage gefördert hatte: Mindestens 1670 Geistliche werden beschuldigt, zwischen 1946 und 2014 3677 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht zu haben. Reichart und Meir machten die Liberalisierung von Gesellschaft und Priesterausbildung mitverantwortlich dafür. Reichart sprach zudem von einer Kampagne gegen die Kirche; Meir betonte, einzelne Priester
(wir
berichteten
mehrfach).
würden sich schwer versündigen. „Doch die Kirche ist heilig und kann sich nicht versündigen.“
Michael Symolka, der im Bistum Augsburg wohnt und nach eigenen Angaben Missbrauchsopfer ist, ärgerte sich maßlos über die Aussagen der beiden Kleriker. In den 50ern sei er von zwei Priestern missbraucht worden; sie leben nicht mehr. In den vergangenen Jahren war er wegen schwerer Depressionen in Behandlung, sein Leben sei „beschädigt“. Die Vorfälle von einst kommen immer wieder in ihm hoch, zuletzt nach den Berichten über die Veranstaltung in Maria Vesperbild. „Wie immer schiebt der Klerus die Schuld auf alles“, suche sie aber nicht bei sich, meint er. Dem Klerus insgesamt wirft er „inhumane Machenschaften“vor sowie eine „amoralische Haltung“.
Auch ein anderes Missbrauchsopfer, Norbert Denef, zeigte sich entsetzt. Der Vorsitzende von netzwerkb, einer Interessenvertretung von Betroffenen, sagte unserer Redaktion, dass durch Aussagen wie in Maria Vesperbild Opfer entmutigt werden, ihr Schweigen zu brechen. Derartige Aussagen werde es immer geben, solange es in Deutschland Verjährungsfristen für Straftaten bei sexualisierter Gewalt gebe.
Neben Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart hat sich nun auch Pfarrer Wilhelm Meir zu Wort gemeldet. Er erklärte in einer Stellungnahme an unsere Redaktion: „Die Irritationen und Ärgernisse, die eine Äußerung von mir hervorgerufen hat, tun mir sehr leid. Beim so schmerzlichen Thema des Missbrauches durch Geistliche auch die Heiligkeit der Kirche in den Blick zu nehmen – um den Glauben zu stärken –, hat offenbar viele irritiert und verärgert, was allerdings bei den gläubigen Hörern vor Ort nicht der Fall war.“Und: „Ich bitte um Verzeihung, dass ich nicht rechtzeitig die Gefahr dieses Missverständnisses erkannt habe.“
Auch Reichart bekräftigte nochmals, Missbrauchsfälle nicht verharmlost zu haben: Es dürfe keine Vertuschung mehr geben, es müsse „gegen diese Verbrechen mit aller Härte vorgegangen werden“. Vor allem müsse „die Kirche den seelisch schwer verletzten Opfern nach Kräften helfen“. Der Vortrag von Pfarrer Meir habe „einige theologische Kenntnisse“vorausgesetzt: „Die Kirche als solche kann nicht sündigen. Es sind immer die Glieder an ihr, die sie beschmutzen.“Die Kirche selbst sei heilig, „weil durch sie Christus sein Heil durch die Zeiten wirkt“, so Reichart.
Am Montag gab die Deutsche Bischofskonferenz bekannt, dass sie eine Anregung von Papst Franziskus aufgreifen werde: Dieser hatte einen jährlichen Gedenktag für Opfer sexuellen Missbrauchs vorgeschlagen. Die deutschen Bischöfe legten fest, diesen Tag „im zeitlichen Umfeld“des durch den Europarat initiierten „Europäischen Tages zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“zu begehen. Dieser finde am 18. November statt. Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, rief dazu auf, für die Opfer sexuellen Missbrauchs zu beten.