Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Unter evakuiertem Haus sind große Hohlräume
Das Gebäude am Oberen Graben ist massiver geschädigt als gedacht. Weil zwei Meter tiefe Löcher unter dem Boden klaffen, werden die ausquartierten Senioren wohl für längere Zeit nicht zurückkehren können
Die Sicherung und Sanierung des am Freitagabend evakuierten Hauses am Oberen Graben wird vermutlich längere Zeit in Anspruch nehmen. Unter dem Haus gibt es im Boden teils zwei Meter tiefe Hohlräume. Am Dienstag und Mittwoch wollen Statiker weitere Bohrungen vornehmen, um ein umfassendes Schadensbild zu bekommen. Bis Anfang kommender Woche soll ein Sanierungs- und Sicherungskonzept entwickelt werden. Im besten Fall ist in einigen Wochen damit zu rechnen, dass das Haus wieder bewohnbar ist. Möglicherweise wird es aber auch Monate dauern.
Die Stadt korrigierte die Zahl der am Freitagabend ausquartierten Senioren gestern auf 21. Zunächst war von 27 die Rede gewesen, was aber daran liegt, dass nicht alle 29 Apartments belegt sind und Bewohner am Freitag teils anderweitig untergebracht waren. Die Bewohner kamen im Dorint-hotel, im Servatiusstift und bei Verwandten unter. Am Montag mussten die elf Bewohner, die das Wochenende im Dorint verbrachten, noch mal umziehen. Sie kamen in leer stehenden Wohnungen im Anna-hintermayr-stift unter. „Gut ist, dass sie dort als nachbarschaftliche Gruppe wieder zu- sammen sein können“, so Sozialbürgermeister Stefan Kiefer. Auch vier Geschäfte im Haus sind von der Sperrung betroffen. Die Stadt führt Gespräche mit den Inhabern über die Vermittlung von Ersatz-räumen. Man wolle helfen, den Schaden gering zu halten, so Wirtschaftsbürgermeisterin Eva Weber.
Noch ist die Ursache der Hohlräume unter dem Haus unklar. Die Stadtwerke kontrollierten am Wochenende ihre Wasserleitung am Oberen Graben auf Schäden, die eine Unterspülung hätten verursachen können – ohne Ergebnis. Wie Baureferent Gerd Merkle (CSU) sagt, sei auch ein Austritt von Wasser aus dem Lechkanal, dessen Kanalbett direkt ans Haus grenzt, unwahrscheinlich. Die Hauswand zum Kanal hin und auch der Boden sind dort weitestgehend intakt.
Dass es in den Wänden Risse gibt, fiel schon vor etwa sechs Wochen auf, als im Zuge einer Sanierung Mieter ihre Keller leer räumten und freie Sicht auf die Wände herrschte. Es habe schon vorher einzelne Risse an einigen Wänden gegeben, diese seien für ein Gebäude aus dem Jahr 1899 aber nicht ungewöhnlich, so Merkle. Als nach der Räumung des Kellers die vielen Risse sichtbar wurden, reagierte man. Die Augsburger Gesellschaft für Stadtent- wicklung (AGS), die das Gebäude im Auftrag der Stadt verwaltet (Eigentümerin ist eine Stiftung, die von der Stadt verwaltet wird), ließ an den Rissen Messstreifen anbringen, um zu erfahren, ob sich die Wände aktuell bewegen. Das Ergebnis: Die Risse vergrößerten sich weiter.
Am Donnerstag wurde der Fußboden im Keller für Untersuchungen an einigen Stellen aufgebrochen. Zunächst habe es so ausgesehen, als ob man es nur mit etwa fünf Zentimetern fehlendem Erdreich unter der Betonplatte zu tun habe, sagt Ags-geschäftsführer Mark Dominik Hoppe. Dann seien die Arbeiter bei einem Loch aber mit dem Bohrer in einen Hohlraum durchgebrochen. Ein zwei Meter langer Meterstab verschwindet in dem Loch. Am Freitag bekam die Stadt vom Statikbüro den Bericht: „Ein plötzliches Versagen der Gründung und damit ein plötzliches Setzen von tragenden Wänden ist nicht auszuschließen“, heißt es. Die Standsicherheit sei „erheblich gefährdet“, die „unverzügliche Räumung“nötig. Daraufhin reagierte die Stadt am Freitagabend.
Bei der Sanierung werde man sehr umsichtig vorgehen müssen, sagt Merkle. Momentan befinde sich das Haus statisch wohl noch halbwegs im Gleichgewicht. Ändere man an einer Stelle etwas, könne dies am anderen Ende des Hauses Auswirkungen haben. Aus diesem Grund lässt die Stadt auch nicht den benachbarten Lechkanal, der direkt an die Außenmauer angrenzt, als Vorsichtsmaßnahme gegen eine Überflutung im Fall eines Einsturzes, ab. Dieses Szenario scheint aber eher unwahrscheinlich. Die Außenwände des Hauses sind weitgehend intakt. Problematisch sind die tragenden Innenwände, deren Nachgeben aber auch massive Schäden in den Wohnungen oberhalb nach sich ziehen könnte. Vorsichtshalber wurde ein Teil des Gehwegs inzwischen abgesperrt. Vermutlich wird das Sanierungskonzept vorsehen, den Untergrund des Hauses mit einer Betonmischung zu verstärken und so die Hohlräume zu beseitigen.
Eine These, der die Experten nachgehen, ist, dass der trockene Sommer zu einer Senkung des Grundwasserspiegels geführt haben könnte, die eine Senkung des Bodens zur Folge hatte. Der Untergrund des Hauses ist ohnehin kein gewachsener Boden. Wo das Haus jetzt steht, verlief der früher breitere Stadtgraben, als dieser noch eine Wehrfunktion hatte. Er wurde im Zuge des Stadtumbaus im 19. Jahrhundert verschmälert. Möglicherweise setzte sich der aufgeschüttete Boden allmählich. Während die Außenwände recht stabil und tief gegründet wurden, standen die Innenwände auf Holzpfählen. Diese sind mittlerweile wohl verfault. Merkle sagt, dass es aufgrund unterschiedlicher Bodenverhältnisse in der Altstadt immer wieder zu Rissen an Gebäuden kommen könne. Diese seien aber in der Regel nicht problematisch. Die Stadt kontrolliere die Lechkanäle auch regelmäßig auf ihre Dichtigkeit.
Ist der trockene Sommer ein Auslöser der Probleme?