Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Mary Poppins von heute
Im Norland College werden die besten Nannys der Welt ausgebildet. Nicht nur die Royals schwören auf sie. Jetzt haben zum ersten Mal zwei Männer den Abschluss geschafft
Bath Das zauberhafte Kindermädchen Mary Poppins mag zwar praktisch perfekt gewesen sein. Doch selbst die fiktive Figur mit den magischen Fähigkeiten hätte heute vermutlich Schwierigkeiten, mit ihren modernen Ebenbildern mitzuhalten. Das gilt umso mehr, wenn sie im Norland College im westenglischen Städtchen Bath ausgebildet wurden. In einem altehrwürdigen Gebäude nicht weit von den römischen Bädern des Touristenorts entfernt ist die Kaderschmiede für die weltbesten Nannys untergebracht. Hier tragen die Schülerinnen wadenlange beige Kleider mit steif gebügeltem Kragen, dunkelbraune Hüte, weiße Handschuhe sowie nostalgisch anmutende Lederschuhe.
Ein wenig sehen sie in ihren offiziellen Uniformen aus, als seien sie aus einer längst vergangenen Zeit gefallen. Doch das täuscht. Vielmehr versucht die Schule, mit der Zeit zu gehen. So haben etwa in diesem Herbst mit dem 21 Jahre alten Liam Willett und dem gleichaltrigen Harry Pratt erstmals in der 126-jährigen Geschichte zwei junge Männer ihre Ausbildung abgeschlossen. „Ich hoffe, damit zeigen zu können, dass das Geschlecht bei der Kinderbetreuung keinen Unterschied macht“, sagt Liam Willett, der nach dem dreijährigen theoretischen Training nun das obligatorische praktische Jahr in einer Gastfamilie in London verbringt.
Er weiß um die Ansprüche, die der Name Norland mit sich bringt. Der Ruf reicht weit über die Insel hinaus – unter anderem wegen einer der berühmtesten Absolventinnen, Maria Teresa Turrion Borrallo. Die gebürtige Spanierin kümmert sich seit Jahren um den Nachwuchs von Prinz William und Herzogin Catherine und erscheint stets ungeschminkt, zurückhaltend und häufig ganz im Sinne ihrer Schule in der traditionellen Uniform.
Warum aber noch die besondere Kleidung? „Sie symbolisiert die Tatsache, dass man eine Fachkraft mit professioneller Ausbildung ist“, sagt Janet Rose, die Leiterin des Colleges, und erinnert an die Gründerin der Einrichtung. Die Lehrerin Emily Ward begann im Jahr 1892, zunächst in London, junge Frauen in Kinderbetreuung auszubilden, was in der Viktorianischen Ära als Novum galt. Gewöhnlich kümmerte sich das normale Hauspersonal um den Nachwuchs der betuchten Oberschicht.
Inspiriert wurde Ward von den Ideen des deutschen Pädagogen und Kindergarten-erfinders Friedrich Fröbel. Das Kind sollte im Zentrum stehen, Bestrafungen lehnte die Britin ab. Ihr Motto lautete vielmehr: Love never faileth. Liebe irrt nie. Der Leitspruch gilt noch immer. Und bis heute werden Studenten außerdem im Kochen und Nähen ausgebildet. Lernen, welche Babycremes und Heilmittel, welche Gutenachtgeschichten und Kinderwagen die besten sind, wie aus löchrigen Socken hübsche Fingerpuppen gebastelt werden und welche Gabel zu welchem Gang bei feinen Dinnerpartys passt. Das alles hat sich genauso wenig geändert wie die Werte, die vermittelt werden: Respekt, Ansporn, Höflichkeit, Selbstbewusstsein.
Trotzdem geht das Traditionscollege mit der Zeit und ihren Kunden: So steht auf dem Lehrplan etwa neben Selbstverteidigung, Erster Hilfe und digitalen Technologien auch der Umgang mit der Gefahr von Terroranschlägen, Fahrsicherheitstraining mit dem Auto oder wie man sich vor Cyberkriminalität schützt, wofür extra ehemalige Militärgeheimdienst-offiziere angeheuert werden.
Die Nachfrage ist groß. Derzeit kommen auf einen Absolventen vier Jobangebote. Das Gehalt liegt dabei deutlich höher als etwa bei Erzieherinnen. Innerhalb der ersten fünf Jahre verdienen die Super-nannys oft im Durchschnitt zwischen umgerechnet 45000 und 56000 Euro im Jahr. Einmal gab es sogar drei Positionen, die mit rund 110 000 Euro entlohnt wurden. Das ist natürlich nicht die Regel, zeigt aber die Wertschätzung für die Nannys.