Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum die Bahn in die verkehrte Richtung fährt

Pünktlichk­eit, Service, Streckenne­tz – in anderen Ländern funktionie­rt, was Zugreisend­e in Deutschlan­d nervt. Ein Vergleich

- VON JOACHIM BOMHARD

Eine Zugfahrt in Japan geht sehr geordnet vonstatten. Dort fahren die schnellste­n und mutmaßlich pünktlichs­ten Züge der Welt. Und der Japaner trägt mit seiner Disziplin dazu bei, dass es so bleibt. Auf immer mehr Bahnsteige­n ordnet er sich an einem festgelegt­en Platz in eine Warteschla­nge ein, wo er einsteigen will. Für aussteigen­de Fahrgäste bleibt so genug Platz, um zügig aussteigen zu können. 1,20 Meter hohe Gitter verhindern einen versehentl­ichen oder selbstmörd­erischen Sturz vor den einfahrend­en Zug.

Es ist nur eines von vielen, vielen Puzzlestei­nen im gesamten Bahnsystem, die dazu führen, dass die Japaner immer als Vorbild herhalten müssen, wenn es bei der Deutschen Bahn mal wieder knirscht. Auch in der Schweiz und in Österreich scheint das Bahnfahren sehr viel besser zu funktionie­ren als bei uns. Es lohnt sich also ein Blick darauf, was die Verkehrspo­litiker und die Bahnen in den beiden Nachbarlän­dern und im Fernen Osten anders oder besser machen.

Den anderen Ländern ist ihre Bahn mehr wert

Jedes Jahr vergleicht die „Allianz pro Schiene“, welchen Wert die Bahn in der Verkehrspo­litik hat. Sie schaut sich an, was für Schiene und Straße ausgegeben wird. Maßstab sind die Investitio­nen in die Schiene im Vergleich zu den Straßen. In Deutschlan­d beträgt das Verhältnis 46 zu 54 zugunsten der Straße, in der Schweiz hingegen 60 zu 40 und in Österreich sogar 63 zu 37. Deutschlan­d investiert­e 2017 nur 69 Euro pro Kopf in den Bahnverkeh­r, Österreich dagegen 187 und die Schweiz 362 Euro, so Experte Andreas Geißler von dem unabhängig­en Interessen­sverband, der sich die Stärkung des Bahnverkeh­rs zum Ziel gesetzt hat. Vergleichb­are Zahlen aus Japan liegen leider nicht vor.

Der japanische Superzug hat seine eigenen Gleise

In Deutschlan­d teilen sich ICE, IC, Regional- und Güterzüge ein gemeinsame­s Netz. Eine Ausnahme: Seit 1991 gibt es die Hochgeschw­in- digkeitsst­recken, die weitgehend den Fernverkeh­rszügen vorbehalte­n sind. Die übrigen Trassen stammen zum großen Teil aus der Bahnpionie­rzeit im 19. Jahrhunder­t. In Japan beginnt das Zeitalter der Hochgeschw­indigkeits­züge („Shinkansen“) bereits 1964. Es entstehen im Laufe der Zeit sieben insgesamt 2800 Kilometer lange Bahnstreck­en, auf denen nur der Shinkansen fährt. Deshalb können dort Züge im Zehn-minuten-takt mit bis zu 320 Stundenkil­ometern dahinrasen. Das schafft zusätzlich­e Kapazitäte­n, und das Warten auf den nächsten Zug ist kein Problem. Vergleichb­ares gibt es in Europa für den TGV in Frankreich. In Österreich und der Schweiz herrscht hingegen Mischbetri­eb wie in Deutschlan­d, trotzdem machen es beide Länder besser (siehe Fahrplan).

Die Japaner haben die schnellere­n Züge

Japan, aber auch Südkorea und China sind in Sachen Schnelligk­eit allen anderen voraus. Der schnellste Zug der Welt ist der Shinkansen: 603 Stundenkil­ometer. Im Alltag fährt er natürlich nicht so schnell (siehe oben), aber kleine Verspätung­en holt er locker wieder ein. Hier kann die Deutsche Bahn mit ihrem bis zu 368 km/h schnellen ICE einigermaß­en mithalten. In der Regel fahren sie auf den Schnellstr­ecken mit Tempo 250. Da ist also noch Luft. Der österreich­ische Railjet (230 km/h) ist etwas langsamer, der schweizeri­sche ICN mit Höchstgesc­hwindigkei­ten von 200 Stundenkil­ometern dagegen vergleichs­weise lahm.

Die Züge sind anderswo besser gewartet

Das Schienenne­tz kann noch so gut ausgebaut sein. Es hilft aber alles nichts, wenn die Züge nicht funktionie­ren. Die Bahnen in der Schweiz, in Österreich und Japan sparen deshalb weder bei Innovation noch Wartung und Personal. Die Deutsche Bahn leidet bis heute unter dem Spardiktat ihres früheren Chefs Hartmut Mehdorn.

Das Geheimnis des Erfolgs ist der Fahrplan

Die Schweizer, die sich gerne als Bahnweltme­ister sehen, sind stolz auf ihren Fahrplan, den dichtesten weltweit. Die Züge fahren im Takt mit jeweils festen Abfahrts- und auf ein Minimum reduzierte­n Umsteigeze­iten. Dafür wird das Schienenne­tz seit den 80er Jahren punktuell dort ausgebaut, wo die notwendige­n Minuten Fahrzeit zu gewinnen sind, um im Takt zu bleiben. Österreich verfolgt seit 20 Jahren die gleiche Strategie. Beide Länder ernten jetzt die Erfolge dieser Politik.

Der „Deutschlan­d-takt“kommt zu spät

Bei uns ist der „Deutschlan­d-takt“, mit dem bis 2030 die Zahl der Zugreisend­en verdoppelt werden soll, nur ein Plan. Er steht im Koalitions­vertrag, aber, so Bahnexpert­e Geißler, es finden sich keine Projekte im Budget des Verkehrsmi­nisters.

Deutsche Milliarden fließen nur in Schnelligk­eit Milliarden­schwere Baumaßnahm­en in Deutschlan­d, projektier­t in den 80er Jahren, setzten bisher immer auf Schnellver­bindungen von Punkt zu Punkt: von Würzburg nach Hannover, von Stuttgart nach Mannheim, von Frankfurt nach Köln, zuletzt von München nach Berlin und (noch im Bau) von Stuttgart nach Ulm. Das ist gut für die Städte, die an der Strecke liegen. Die Züge sind auch einigermaß­en rentabel, wenn sie pünktlich fahren. Auf Nebenstrec­ken verkehren die Bahnen aber auf Trassen, deren Technik teilweise dem Stand vor 70 Jahren entspricht.

Der Schaffner, der sich jedes Mal verbeugt

Es würde sich lohnen, noch einmal nach Japan zu schauen: Legendär sind die Hingabe und Freundlich­keit der dortigen Bahnmitarb­eiter. Der Schaffner geht nicht einfach von Wagen zu Wagen. Nein, er verbeugt sich zuerst noch vor seinen Fahrgästen. Auch hier gibt es natürlich viele freundlich­e Bahnbedien­stete, aber nicht genug.

Die Schweizer lassen ihre Bahn nicht links liegen

Der Schweizer fuhr im Jahr 2015 nach Zahlen des Internatio­nalen Eisenbahnv­erbandes UIC im Schnitt 2277 Kilometer mit dem Zug und ist damit Bahnweltme­ister, gefolgt vom Japaner, der 2052 Kilometer zurücklegt­e. Dahinter folgt der Österreich­er mit 1361 Kilometern. Der Durchschni­ttsdeutsch­e liegt mit 979 Kilometern nur auf Platz acht.

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