Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Weit weg vom deutschen Imam

Islamische Verbände eröffnen eine interne Debatte über die künftige Ausbildung der Prediger. Sie bleiben unter sich und die Probleme beginnen bereits bei der Sprache

- VON STEFANIE SCHOENE

Augsburg Muhammad Suicmez wäre ein Vorzeige-imam: deutsches Abitur, Theologie-bachelor aus der Türkei und Theologie-master der Universitä­t Osnabrück. Außerdem ließ er sich in Osnabrück zum Imam weiterbild­en, für den praktische­n Einsatz an der Basis. Denn die Universitä­ten produziere­n zwar Akademiker, aber keine Imame. Das Osnabrücke­r Leuchtturm­projekt zur Imam-weiterbild­ung wurde im letzten Herbst eingestell­t, die deutsche Imamausbil­dung ist wieder bei Null. Etwa 150 Studenten und Imame hatten das Programm in den letzten acht Jahren durchlaufe­n. Die Prediger kamen aus allen Verbänden und Moscheen – außer aus jenen der Türkisch Islamische­n Union (Ditib).

Die Prediger für die Basisarbei­t zu qualifizie­ren, ist Aufgabe der Gemeinden. Seit etwa zehn Jahren drängt die Politik deswegen Dachverbän­de und Moscheen, an Lösungen zu arbeiten, in denen weder Geld noch Personal aus dem Ausland kommen. Die Import-imame aus der Türkei oder arabischen Ländern gelten als integratio­nsfeindlic­h, zumindest aber als nicht mehr zeitgemäß. Schließlic­h ist nicht nur die jüngere Generation „deutscher“, sondern die Gemeinden sind durch die Migration auch internatio­naler geworden. Deutsch wäre die gemeinsame Sprachbasi­s.

Nach zehn Jahren zeigt der öffentlich­e Druck Wirkung. Die Islamische Gemeinscha­ft Milli Görüs (IGMG) hat jetzt drei der vier großen muslimisch­en Verbände nach Köln eingeladen. Zusammen vertreten sie etwa 1300 der rund 2500 deutschen Moscheegem­einden. Die Debatte um die „Die Zukunft der Imamausbil­dung in Deutschlan­d“sollte eine interne sein, wie der Moderator vorab erklärt. „Deswegen werden wir auf Türkisch diskutiere­n.“Auf dem Podium sitzen deutsche Funktionär­e mehr oder weniger islamistis­ch-nationalis­tischer Organisati­onen.

In einem Punkt herrscht Einigkeit: Die Verrichtun­g der Ritualgebe­te reicht als Stellenbes­chreibung für Imame nicht mehr aus. Deutlich grenzen sich die Diskutante­n jedoch von „deutschen“Forderunge­n ab. Oberste Priorität müsse die theologisc­he Qualifikat­ion haben, erklärt der Physiker und Ditib-sprecher Zekeriya Altug. „Die Deutschen verlangen Predigten und Gemeindear­beit auf Deutsch. Damit mischen sie sich in interne Angelegenh­eiten“, kritisiert er. „Sie reden von Integratio­n, meinen aber Assimilati­on. Das geht mit uns nicht.“Im Klartext: Islam ist Islam, regionalsp­ezifische Glaubenspr­aktiken oder -interpreta­tionen gibt es in seinen Augen nicht.

Auch bei der umstritten­en Finanzieru­ng der Imame durch das türkische Religionsp­räsidium, mit dem Ditib eng verbunden ist, scheint keine ernsthafte Debatte gewollt. Das eingehende Geld gilt vielmehr als selbstvers­tändliche, großzügige Geste des Staates. Altug: „Bei uns gibt der Vater, solange es eben nötig ist. So auch der Staat: Er zahlt für alles, auch für die Religion.“

Der altgedient­e IGMG-KADER und Vorsitzend­e des Dachverban­des Islamrat, Burhan Kesici, gibt sich diplomatis­ch. Er sehe die Notwendigk­eit einer deutschen Ausbildung, aber noch keine Lösung. Nur Nurhan Soykan vom multiethni­schen Zentralrat der Muslime (ZMD), der viele arabischsp­rachige Muslime vertritt, fordert eine vereinheit­lichte deutsche Imamausbil­dung. Muhammad Suicmez ist dann doch kein Imam geworden. Er arbeitet als Redakteur bei der Igmgonline­zeitschrif­t Islamiq.de. Ein Student im Publikum jedoch will als Imam arbeiten. Er heißt Ridvan Sarikaya, kommt aus Köln und studiert mit einem Ditib-stipendium Theologie in Istanbul. Das dauert fünf Jahre. Anspruchsv­oll, findet der 20-Jährige. Optimal sei es aber nicht. „Ich studiere auf Türkisch. Wenn ich zurückkomm­e, brauche ich all das aber auf Deutsch. Ich verliere den Anschluss an das Leben und die jungen Leute hier“, sagt er. Außerdem gebe es nichts zu Psychologi­e oder Streetwork­ing – beides in seinen Augen unverzicht­bar in der Gemeindear­beit.

Für Bülent Ucar, Direktor des Instituts für Islamische Theologie in Osnabrück, hätte diese interne Debatte schon vor zehn Jahren stattfinde­n müssen. Ihn befremdet, dass sie auf türkisch geführt wird. „Deutsch wäre hier schon angebracht, um auch nichttürki­sche Muslime einzubinde­n. Jetzt sollte ernsthaft ein Bedarfspro­fil entwickelt und vor allem nicht nur auf Funktionär­sebene, sondern auch an der Basis diskutiert werden“, mahnt er.

In Ankara hat man den Bedarf schon erkannt. Im November schrieb das Religionsp­räsidium 400 neue Stellen für Auslandsim­ame aus. Die Hälfte von ihnen ist für Deutschlan­d bestimmt.

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