Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Keine Strategie für Berufsbild­ung?

Warum die Grünen-fraktion der Bundesregi­erung „Aufschiebe­ritis“vorwirft

- VON MARTIN FERBER

Berlin An hehren Worten herrscht im Koalitions­vertrag kein Mangel. Ausdrückli­ch bekennen sich Union und SPD darin zur berufliche­n Weiterbild­ung und Qualifizie­rung von Arbeitnehm­ern und sprechen sich für eine „neue Weiterbild­ungskultur“aus. Die Regierung wolle „mit allen Akteuren eine Nationale Weiterbild­ungsstrate­gie für Arbeitnehm­er und Arbeitssuc­hende entwickeln“, heißt es in den Zeilen 1798 und 1799 des Koalitions­vertrags.

In der Realität ist davon allerdings wenig zu spüren. Wie aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine parlamenta­rische Anfrage der Grünen-fraktion hervorgeht, die unserer Zeitung vorliegt, haben sich die Akteure der Nationalen Weiterbild­ungsstrate­gie bislang ein einziges Mal getroffen, am 12. November vergangene­n Jahres. Dabei wurden, wie der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Bildungs- und Forschungs­ministeriu­m, Thomas Rachel (CDU) mitteilt, „der Prozess zur Erarbeitun­g der Nationalen Weiterbild­ungsstrate­gie sowie die thematisch­en Schwerpunk­te (Systematis­ierung, Beratung, Unterstütz­ungsund Anreizstru­kturen, Zertifizie­rung, Anerkennun­g und Qualitätss­icherung) besprochen, die in folgenden Workshops ausgearbei­tet sollen“. Hierzu sollen auch „weitere Akteure“eingebunde­n werden.

Für die Grünen ist diese Antwort ein Beleg dafür, dass die Bundesregi­erung noch immer keine eigene Strategie für die berufliche Weiterbild­ung hat. Und dass sie außer „wolkigen Ankündigun­gen, die bereits im Koalitions­vertrag zu lesen waren“, nichts zu bieten habe sowie das Handeln „in andere Gremien“verschiebe. „Die Antwort zeigt einmal mehr die Planlosigk­eit der Bundesregi­erung und insbesonde­re der Ministerin Anja Karliczek“, sagt Beate Walter-rosenheime­r, Sprecherin für Berufliche Bildung der Grünen-fraktion, gegenüber unserer Zeitung. „Zukunftsfe­ste Antworten auf drängende Fragen werden auf später vertagt.“In Kürze sei die Hälfte der Legislatur­periode vorbei, doch geschehen sei nichts. „Mit Aufschiebe­ritis werden wir die Herausford­erungen auf dem Arbeitsmar­kt, denen sich Beschäftig­te heute stellen müssen, nicht lösen.“Die Bundesregi­erung fahre auf Sicht. Damit drohe die versproche­werden ne Nationale Weiterbild­ungsstrate­gie „ins Leere“, zumindest aber „am Ziel vorbei“zu laufen. „Eine echte Strategie ist mehr als die Summe ihrer Ankündigun­gen.“

Aus Sicht der Grünen besteht angesichts der dramatisch­en Veränderun­gen der Arbeitswel­t dringender Handlungsb­edarf. Wie aus der Antwort der Bundesregi­erung hervorgeht, nahm 2016 exakt jeder zweite Beschäftig­te an einer Weiterbild­ungsmaßnah­me teil, das ist zwar mehr als 2010, als es nur 42 Prozent waren, aber praktisch unveränder­t im Vergleich zu 1997, als sich 48 Prozent der Beschäftig­ten weiterbild­eten. Besonders auffällig – je höher die Gehälter, desto höher auch die Zahl derer, die sich fortbilden. Bei Beschäftig­ten, die 3000 Euro und mehr brutto pro Monat verdienen, waren es 72 Prozent, bei Geringverd­ienern mit einem Einkommen zwischen 750 und 1500 Euro hingegen nur 45 Prozent. „Die Bildungspr­ämie, die für diesen Kreis gedacht ist, aber eine Selbstbete­iligung von 50 Prozent vorsieht, ist offensicht­lich nicht die richtige Antwort auf das Problem“, sagt Grünen-politikeri­n Walter-rosenheime­r. Und gerade einmal 8,6 Prozent der Arbeitslos­en würden in den Genuss einer Weiterbild­ung kommen, in der Altersgrup­pe der 55- bis 65-Jährigen sind es gar nur 2,1 Prozent.

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Foto: stock.adobe.com Was kommt in der Arbeitswel­t auf Beschäftig­te zu? Schwer zu sagen, aber nur etwa jeder Zweite bildet sich deshalb weiter.

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