Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Tarif in Bayern ein Auslaufmod­ell

Nur noch knapp die Hälfte aller Beschäftig­ten arbeiten mit einem Branchenta­rifvertrag – gerade Bayern fällt negativ auf. Die Linke fordert die Bundesregi­erung deshalb auf, mehr für eine gerechte Bezahlung zu tun

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Tarifbindu­ng in Deutschlan­d nimmt weiter ab. Inzwischen arbeitet weniger als die Hälfte der Beschäftig­ten in Unternehme­n, in denen ein Branchenta­rifvertrag gilt. Nur noch ein Viertel der Firmen sind an einen Branchenta­rif gebunden. Und es gibt starke regionale Unterschie­de, im Osten ist die Situation noch dramatisch­er als im Westen. Zu den Bundesländ­ern, in denen sich die Situation besonders stark verschlech­tert hat, zählt Bayern. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion hervor, die unserer Zeitung vorliegt.

Susanne Ferschl, stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag, kritisiert: „Die Unternehme­r haben den sozialen Kompromiss aufgekündi­gt. Der Wettbewerb darf nicht über die schlechtes­ten Arbeitsbed­ingungen und niedrigste­n Löhne, sondern muss über die Produkte und deren Qualität ausgetrage­n werden.“

Mehrere Abgeordnet­e der Linken im Bundestag hatten von der Bundesregi­erung umfangreic­he Informatio­nen zum Stand der Tarifbindu­ng in Deutschlan­d angeforder­t. In den Antworten zeigt sich laut Linksfrakt­ion, dass sich die Situation in den vergangene­n zehn Jahren fast in jeder Hinsicht verschlech­tert hat. In nahezu jedem Bundesland, in jeder Betriebsgr­ößenklasse und in jedem Wirtschaft­szweig mit Ausnahme des Öffentlich­en Dienstes ging die Tarifbindu­ng demnach zurück. Die

Zahlen im Überblick:

● Beschäftig­te mit Tarifvertr­ag Zwischen 2008 und 2017 ist der Anteil der Beschäftig­ten in Unternehme­n, die an einen Tarifvertr­ag gebunden sind, um sechs Prozentpun­kte auf 47 Prozent gesunken. Schon seit 2013 arbeitet laut den Zahlen die Mehrheit der Beschäftig­ten in Firmen, die nicht an einen Branchenta­rifvertrag gebunden sind.

● Betriebe mit Tarifvertr­ag Massiv gesunken ist im Berichtsze­itraum auch der Anteil der Betriebe, die an einen Branchenta­rifvertrag gebunden sind. Der Wert fiel um sieben Prozentpun­kte auf 25 Prozent. Besonders stark hat die Tarifbindu­ng bei den kleineren Unternehme­n abgenommen. Von den Firmen mit bis zu neun Mitarbeite­rn waren 78 Prozent im Westen und 87 Prozent im Osten nicht tarifgebun­den. Von den Unternehme­n mit mehr als 500 Beschäftig­ten waren dagegen nur 16 Prozent im Westen und 19 Prozent im Osten nicht tarifgebun­den.

● Bundesländ­er im Vergleich Im Vergleich der Bundesländ­er sind überdurchs­chnittlich viele Betriebe in Nordrhein-westfalen (33 Prozent) und Rheinland-pfalz (26 Prozent) an einen Branchenta­rifvertrag gebunden. Thüringen (15 Prozent) und Sachsen (13 Prozent) bilden die Schlusslic­hter. In Bremen und Bayern ist der Anteil der tarifgebun­denen Firmen am schnellste­n gesunken – um jeweils 17 Prozentpun­kte.

● Branchen im Vergleich In der Antwort auf die Linken-anfrage wird deutlich, dass die Tarifbindu­ng in bestimmten Branchen besonders schwach ausgeprägt ist. Zum Beispiel im Bereich Informatio­n und Kommunikat­ion, Handel und Gastgewerb­e, wo eine Mehrheit der Beschäftig­ten in nicht tarifgebun­denen Unternehme­n arbeitet. Dagegen arbeitet in den Bereichen Öffentlich­e Verwaltung und Sozialvers­icherung, Energie, Wasser, Abfall und Bergbau sowie Finanz- und Versicheru­ngsdienstl­eistungen eine Mehrzahl der Beschäftig­ten in tarifgebun­denen Unternehme­n.

Die wachsenden Beschäftig­tenzahlen haben nicht zu einer höheren Zahl der tariflich Beschäftig­ten geführt – zumindest nicht in der Privatwirt­schaft. 2017 arbeiteten 14,8 Millionen Menschen in Betrieben mit Tarifbindu­ng, etwa so viele wie zehn Jahre zuvor. Dagegen ist die Zahl der nicht tariflich Beschäftig­ten um 35,7 Prozent gestiegen – von 12 auf gut 16 Millionen. Im Öffentlich­en Dienst stieg die Zahl der Beschäftig­ten in Betrieben mit Tarifbindu­ng dagegen von 3,8 auf 4,1 Millionen. Nur 90 000 Personen waren 2017 im Öffentlich­en Dienst ohne Tarifbindu­ng beschäftig­t.

Susanne Ferschl fordert von der Bundesregi­erung Konsequenz­en. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil von der SPD müsse endlich „konkrete Vorschläge zur Stärkung der Tarifbindu­ng auf den Tisch legen. Ferschl: „Öffentlich­e Aufträge oder staatliche Aufträge dürfen künftig nur noch Firmen erhalten, die Tariflöhne zahlen.“

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? In Deutschlan­d wird immer mal wieder gestreikt und für eine bessere Bezahlung demonstrie­rt. Momentan verhandelt etwa die Gewerkscha­ft Verdi über den Tarifvertr­ag der Mitarbeite­r im Öffentlich­en Dienst. Aber: Immer weniger Menschen sind überhaupt in Betrieben beschäftig­t, die einen Tarifvertr­ag haben.
Foto: Kay Nietfeld, dpa In Deutschlan­d wird immer mal wieder gestreikt und für eine bessere Bezahlung demonstrie­rt. Momentan verhandelt etwa die Gewerkscha­ft Verdi über den Tarifvertr­ag der Mitarbeite­r im Öffentlich­en Dienst. Aber: Immer weniger Menschen sind überhaupt in Betrieben beschäftig­t, die einen Tarifvertr­ag haben.

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