Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wieder ein Krimi
Die Chancenverwertung war das deutsche Problem gegen Kroatien, doch am Ende ist mit dem 22:21-Erfolg der Halbfinaleinzug fix. Für einen Pechvogel ist das Turnier vorbei
Köln Die deutschen Handballer tanzten nach einem dramatischen Schlussakt Arm in Arm. Danach durfte sich Bundestrainer Christian Prokop bei jedem seiner Spieler mit einer innigen Umarmung bedanken. Mit einem 22:21 (11:11)-Erfolg in einem hoch spannenden Spiel gegen Kroatien hat die Dhb-auswahl vorzeitig das Halbfinal-ticket für die Heim-wm gelöst.
Unter dem lautstarken Applaus der 19250 euphorischen Zuschauer in der erneut vollen Kölner Arena feierten Fabian Wiede und Co. noch Minuten nach dem Abpfiff. „Danke Köln“, sagte der erleichterte Wiede, der mit sechs Treffern erfolgreichster Torschütze war. „Jetzt fahren wir nach Hamburg.“Dort findet am Freitag das Halbfinale statt.
Vor euphorischen Zuschauern in der erneut ausverkauften Halle war Wiede am Montag mit sechs Treffern erfolgreichster deutscher Werfer. Eine Bestnote verdiente sich aber vor allem die erneut auf allerhöchstem Niveau agierende deutsche Defensive – und der wieder überragende Torhüter Andreas Wolff. Im Angriff haperte es dagegen gewaltig. Das Team leistete sich zu viele Fehlwürfe und -pässe. „Das war heute eine ganz harte Prüfung“, sagte Bundestrainer Christian Prokop, „so eine Drucksituation zu bestehen, darauf bin ich unheimlich stolz.“Torhüter Wolff stellte den Berliner Rückraumspieler Wiede heraus: „Fabi hat ein unglaubliches Spiel gemacht, er hat wahnsinnig gespielt.“
Am Mittwoch treffen die Deutschen zum Hauptrundenabschluss in Köln noch auf Spanien. Gegner am Freitag in Hamburg wird Dänemark, Schweden oder Norwegen sein. Auch die Franzosen stehen durch den deutschen Sieg bereits als Halbfinalist fest.
„Wenn man im Halbfinale ist, will man auch ins Finale und dann den Pokal hochstemmen“, sagte Wiede. Die Partie gegen Kroatien begann für die deutsche Mannschaft mit einem schweren Rückschlag. Mittelmann Martin Strobel, der zentrale Regisseur im Spielaufbau der Dhb-auswahl, verdrehte sich in der neunten Minute in einem Zweikampf das linke Knie und musste unter dem aufmunternden Applaus der Zuschauer per Trage vom Feld transportiert werden. Kurz danach wurde der Zweitligaprofi des HBW Balingen-weilstetten mit Verdacht auf einen Kreuzbandriss ins Krankenhaus gebracht. Das Innenband sei sicher gerissen, teilte ein Dhb-sprecher in der Halbzeitpause mit. Prokop sagte: „Das ist schlimm. Die Mannschaft schenkt ihm die Halbfinalteilnahme.“
Prokops Team kompensierte den bitteren Ausfall mit viel Leidenschaft, großem Kampfgeist – und einer immer besser werdenden Abwehr. „Hinten auskotzen, dann können wir immer noch wechseln“, forderte der Coach in einer Auszeit während des ersten Durchgangs. Tatsächlich wurde es für Kroatiens Weltklasse-leute wie Domagoj Duvnjak und Luka Stepancic im weiteren Verlauf immer schwieriger, Lücken im deutschen Defensivblock zu finden. Dennoch blieb die hoch spannende Partie eng, weil es nach dem Verlust von Strobel zum Teil ordentlich im deutschen Angriff haperte. Das lag aber weniger am Spielaufbau, sondern an der teils mangelhaften Konzentration. Kapitän Uwe Gensheimer oder Rechtsaußen Patrick Groetzki, die beide einen schlechten Abend erwischten, vergaben aus teils besten Situationen und verpassten dadurch eine höhere Führung für die deutsche Mannschaft. Zudem kassierte die Dhbauswahl zum Teil unnötige Zeitstrafen und verschaffte den Kroaten somit immer wieder Überzahlsituationen.
Nach der überraschenden Pleite gegen Brasilien am Vortag war bei den Kroaten jedenfalls in weiten Teilen nichts von einer Verunsicherung zu spüren. Stattdessen entwickelte sich die erwartete Partie auf Augenhöhe. Ein Großteil der anwesenden Fans ignorierte seine Sitzplätze und stand angesichts der Dramatik fast während der kompletten Partie. Und sie sahen eine deutsche Mannschaft, die immer wieder ihre Führung auf zwei oder mehr Tore hätte ausbauen können – aber diese Chancen auch immer wieder leichtfertig liegen ließ. Doch das deutsche Abwehrbollwerk stand.
Die jahrzehntelange Lobbyarbeit hat sich mal wieder gelohnt. Petar Radenkovic, Sepp Maier oder auch Oliver Kahn haben viel für den Ruf ihrer Spezies getan. Bezeichneten das Spielfeld als ihr Königreich, hechteten Enten hinterher oder schnappten nach der Wange eines Gegenspielers. Verhaltensauffällige. Die Grenze zum Irrsinn gerne überschreitend. Nirgendwo anders auf dem Planeten ist die Verehrung für jene Behandschuhten größer als in Deutschland. Immer irgendwo zwischen Fußballgott und Titan. So schufen sich diese armen Gestalten am Ende des Spielfelds eine mystische Aura. Nur die Mutigsten und Verzweifeltsten legen sich mit ihnen an.
In den von Generation zu Generation weitergetragenen, jedoch niemals niedergeschriebenen Regeln ist zwischen „Der Gefoulte schießt nicht selbst“und „drei Ecken, ein Elfer“festgelegt: „Ehre deinen Torwart und wechsle ihn niemals aus.“Im fußballerischen Glaubensbekenntnis steht, dass ein Torhüter nachhaltige psychische Schäden davontrage, wenn er den Posten zwischen den Pfosten verlassen muss. Außerdem würden die Vorderleute durch die Maßnahme in Koordination und Konzentration geschädigt. Eine allumfassende Unsicherheit bemächtige sich der kompletten Mannschaft.
Nun wagte es der Schalker Trainer Domenico Tedesco, seinen Keeper Ralf Fährmann des Stammplatzes zu berauben. Weil der Torhüter auch noch Kapitän ist, doppelte