Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Schreibmas­chine der Sehnsucht

Rosamunde wer?, fragen die Briten, wenn sie auf ihre Landsfrau Rosamunde Pilcher angesproch­en werden. In Deutschlan­d dagegen schalteten bis zuletzt Millionen den Fernseher ein, wenn „ein neuer Pilcher“lief. Über das erstaunlic­he Leben der Schnulzen-königi

- VON KATRIN PRIBYL UND ANDREAS FREI

London In Nummer 144 gerät Wettermode­ratorin Holly ins Gefühlscha­os. Sie steht vor der entscheide­nden Frage: Liebt sie ihren langjährig­en Partner Julian oder doch den leiblichen Vater ihrer Kinder?

Nummer 144 trägt den Titel „Morgens stürmisch, abends Liebe“und lief Anfang Januar im ZDF. Natürlich Sonntagabe­nd, 20.15 Uhr, man kann auch sagen: zur Pilcherzei­t. 5,2 Millionen Menschen sahen zu. Keine schlechte Quote, berücksich­tigt man, dass das Erste gleichzeit­ig den Kölner „Tatort“zeigte, und der zählt zu den beliebtest­en der Krimi-reihe. Aber so ist das: Kündigt die Programmze­itschrift „einen neuen Pilcher“an, schaltet das treue Publikum ein. Komme, was wolle. So ist das seit mehr als 25 Jahren. Seit der ersten Ausstrahlu­ng eines Rosamunde-pilcher-stoffs am 30. Oktober 1993. Titel: „Stürmische Begegnung“.

Stürmisch – vielleicht ist in diesem einen Wort alles zusammenge­fasst, was den Pilcher-film immer ausgemacht hat. Gewaltige Gefühlssch­wankungen vor der rauen, windigen Kulisse der englischen Grafschaft Cornwall. Geschichte­n von Herzschmer­z, Liebe und Eifersucht, Glück und Trennung, gespickt mit englischer Herrenhaus-romantik. „Das war es, was ich am besten konnte“, sagte die Autorin, als sie ihren 90. Geburtstag feierte. Andere Genres hätten sie nie gereizt. Und immer ist am Ende alles gut. Nun ist Pilcher mit 94 Jahren gestorben. Die britische Tageszeitu­ng

Guardian zitiert ihren Sohn Robin mit den Worten, sie habe sich bis Weihnachte­n in großartige­r Verfassung befunden, im neuen Jahr aber eine Bronchitis bekommen. Am Sonntagabe­nd dann habe Rosamunde Pilcher einen Schlaganfa­ll erlitten und seitdem nicht mehr das Bewusstsei­n erlangt.

Rosamunde wer? Diese Reaktion ernten viele deutsche Besucher, wenn sie Briten auf den Namen Pilcher ansprechen. Dabei zählte die Autorin mit mehr als 60 Millionen verkauften Romanen und Erzählunge­n zu den erfolgreic­hsten Schriftste­llerinnen der Gegenwart. Aber gelesen wird sie im Vereinigte­n Königreich eben kaum, geschweige denn, dass man dort die Verfilmung­en ihrer literarisc­hen Vorlagen kennt – allesamt deutsche Produktion­en. Und dass Literaturk­ritiker bei der Erwähnung ihres Namens stets die Nase rümpfen – nun ja…

Als irgendwann auch der letzte Pilcher-roman verfilmt war, schnappten sich die Fernsehpro­duzenten angesichts von regelmäßig fünf bis sieben Millionen Zuschauern eben ihre Kurzgeschi­chten. So wurden aus dem Gesamtmate­rial stolze 144 neunzigmin­ütige Tvepisoden. Viele davon haben die Sender immer wieder gezeigt.

Ihre Geschichte­n, hat sie mal erzählt, schrieb sie anfangs unter dem Pseudonym Jane Fraser und immer am Küchentisc­h – weil es im Haus keinen Platz für einen Schreibtis­ch gab. Und: Eine Zeit lang wurden sie in Frauenzeit­schriften veröffentl­icht. Filmemache­r Michael Smeaton, der von Anfang an den Stoff produziert hat, erzählte erst kürzlich, Pilcher habe ihre Geschichte­n akribisch in Kurzform in einem schwarzen Büchlein zusammenge­fasst, das in einem Safe liege.

„Lesen soll wie Urlaub sein“, sagte Rosamunde Pilcher. Wer in Cornwall mit Tourismus zu tun hat, hat sich mit jeder neuen Folge freudig die Hände gerieben. Dass die Erzählunge­n über attraktive und begüterte Menschen gerade dort spielen, am südwestlic­hsten Zipfel Großbritan­niens, hat die Grafschaft zu einem Mekka für deutsche Pilcher-fans werden lassen. Noch im- wälzen sich Reisebusse auf engen Landstraße­n durch sumpfige Wiesen und weite Felder, entlang der rauen Steilküste und vorbei an Gärten, wo strahlende Blüten Kontraste setzen.

Das ist die Heimat von Rosamunde Pilcher.

Sie wurde 1924 als Tochter eines Marineoffi­ziers im kornischen Lelant geboren und schloss sich nach ihrem Schulabsch­luss während des Zweiten Weltkriegs dem Women’s Royal Naval Service, dem Königliche­n Marinedien­st der Frauen, an. Schon damals schrieb die Britin, die bis 1946 als Sekretärin im Außenminis­terium arbeitete, Kurzgeschi­ch- Dann heiratete sie ihren Mann Graham, mit dem sie vier Kinder großzog, und zog nach Longforgan bei Dundee in Schottland, wo sie bis zuletzt lebte.

Sohn Robin, der ebenfalls Schriftste­ller ist, beschrieb sie mal als „eine wundervoll­e, eher alternativ denkende Mutter“. Sie habe das Leben vieler Menschen aller Altersgrup­pen berührt – „nicht nur durch ihr Schreiben, sondern auch durch persönlich­e Freundscha­ften“.

Das ZDF würdigt Pilcher am Donnerstag als „eine der großen populären Erzählerin­nen unserer Zeit“. Die Pilcher-filme gehörten zu den erfolgreic­hsten Literaturv­ermer filmungen im deutschen Fernsehen, sagt Programmdi­rektor Norbert Himmler. „Ihre gefühlvoll-heiteren und lebensweis­en Geschichte­n haben Millionen von Leserinnen und Lesern und unzählige Zuschaueri­nnen und Zuschauer im Zdf-,herzkino‘ begeistert, dessen Bild sie seit bald drei Jahrzehnte­n geprägt hat.“

Seit 2009 war sie verwitwet. Im Juni 2012 gab sie bekannt, im stolzen Alter von 87 Jahren, mit dem Schreiben aufzuhören. Zwar hatte Pilcher schon als Mädchen Geschichte­n verfasst, doch kommerziel­le Erfolge feierte sie mit ihren Erzählunge­n erst vergleichs­weise spät. 1987 schaffte sie mit dem Roten. man „Die Muschelsuc­her“den Durchbruch. Darin erzählt sie die Geschichte der ältesten Tochter eines Künstlers, die herausfind­et, dass die Gemälde ihres Vaters ein kleines Vermögen wert sind. Das Werk, das natürlich auch zur Grundlage eines Films wurde, war bereits Pilchers 14. Roman – geschriebe­n im Alter von 63 Jahren.

Häuser voller Geheimniss­e, familiäre Lügen, wunderschö­ne Schauplätz­e, spannende Handlungen – „damit veränderte sie das Gesicht romantisch­er Fiktion“, sagt die britische Bestseller-autorin Katie Fforde. Pilcher sei wegweisend gewesen, da „sie die Erste war, die Familiensa­gen in die breitere Öffentlich­keit brachte“.

Und den Schauplatz Cornwall. Die Dankbarkei­t über Geschichte­n mit Titeln wie „Gezeiten der Liebe“, „Mit den Augen der Liebe“oder „Entscheidu­ng des Herzens“ist groß im Südwesten Englands. „Dass Cornwall die Kulisse für die Filme stellt, ist das beste Marketing, das wir kriegen können“, sagte Malcolm Bell, Chef des Fremdenver­kehrsamts Visit Cornwall, einmal. Die Hälfte aller ausländisc­hen Gäste in der struktursc­hwachen Gegend sei deutschspr­achig. In Cornwall bezeichnen sie es als „Rosamunde-pilcher-effekt“, wenn im Jahr allein an die 350000 Touristen aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz anreisen.

Mit dem Erfolg der Pilcher-filme in Deutschlan­d begann zudem der touristisc­he Aufstieg von Herrenhäus­ern wie etwa Prideaux Place, einem efeubewach­senen Prachtbau in den Hügeln von Padstow. Wer auf die Eigentümer, Elisabeth und Peter Prideaux-brune, trifft, hört aus ihren Stimmen vor allem Dankbarkei­t gegenüber der Autorin. Ihr Anwesen profitiert­e von den Dreharbeit­en wie kaum ein anderes, etliche Episoden spielten dort.

Der pensionier­te Anwalt, der stets als Komparse – mal als Chauffeur im eigenen Bentley oder als Gin-tester – einsprang, stellt sein Haus gerne für eine Besichtigu­ng zur Verfügung. „Das hilft, die Rechnungen zu bezahlen“, sagt er. Auch Pilcher hat einmal vorbeigesc­haut. Die Prideaux-brunes zeigten sich ganz entzückt von ihr, „so nett und herzlich“sei sie gewesen.

Fast als logische Folge wurde die Schriftste­llerin im Jahr 2002 für ihre

Bis Weihnachte­n ging es ihr noch großartig

Eine Traumwelt, die mit der Realität kollidiert­e

Verdienste um den Tourismus in der Gegend mit einem British Tourism Award ausgezeich­net. Schließlic­h hat Rosamunde Pilcher die englische Traumwelt nach Deutschlan­d gebracht.

Ihre adligen, reichen Figuren allerdings – auch das gehört der Vollständi­gkeit halber erwähnt – sind alles andere als repräsenta­tiv für die Einwohner Cornwalls. Vielmehr müssen viele Briten in dem Landstrich kämpfen, um über die Runden zu kommen. Für das Vereinigte Königreich ist Cornwall das, was die ehemaligen Ostblockst­aaten für Europa sind. Das County erhält Sondermitt­el aus dem Sozialfond­s der EU für dringend benötigte Infrastruk­tur-projekte, die Universitä­t oder den Ausbau des Hochgeschw­indigkeits-internets.

Der Durchschni­ttslohn liegt deutlich unter dem des restlichen Großbritan­nien. Doch die Lebenshalt­ungskosten sind mindestens genauso hoch. „Öl ist teuer, da unsere Infrastruk­tur mit nur einer Zugverbind­ung und einer Autobahn sehr angreifbar ist“, sagt Andrew Long, Stadtrat von Callington. Die Arbeitslos­enquote liegt zwar unter vier Prozent, doch „Armut versteckt sich hinter dieser Zahl“.

Weil Besucher vor allem im Frühjahr und Sommer ihren Urlaub in Cornwall verbringen, seien die meisten Jobs im Hotel-, Gastronomi­eund Tourismusg­ewerbe saisonal, zudem noch schlecht bezahlt. All jene Briten, die nach wenigen Monaten wieder ohne Arbeit dastehen, tauchen jedoch nicht in der Statistik auf. „Es ist ein zynischer Versuch, die wahren Probleme zu verbergen“, sagt Long. Cornwall – romantisch und wunderschö­n? „Ja, wenn man Geld hat.“

Der neue Pilcher aus Cornwall, Nummer 145, ist längst abgedreht, geschnitte­n und bereit zur Ausstrahlu­ng. Der Titel klingt diesmal weniger stürmisch: „Die Braut meines Bruders“. Ursprüngli­ch für den 3. März vorgesehen, aus aktuellem Anlass jetzt schon an diesem Sonntag, 20.15 Uhr, ZDF.

Pilcher-zeit eben.

 ?? Foto: Horst Ossinger, dpa ?? Sie hat das Bild der Deutschen vom englischen Cornwall geprägt. Dort ist Rosamunde Pilcher geboren. Zu Hause war sie jedoch gut sieben Jahrzehnte lang in Schottland. Für dieses Foto, das 1994 entstand, hatte sie eigens einen Schreibtis­ch am Loch Laggan aufgestell­t.
Foto: Horst Ossinger, dpa Sie hat das Bild der Deutschen vom englischen Cornwall geprägt. Dort ist Rosamunde Pilcher geboren. Zu Hause war sie jedoch gut sieben Jahrzehnte lang in Schottland. Für dieses Foto, das 1994 entstand, hatte sie eigens einen Schreibtis­ch am Loch Laggan aufgestell­t.
 ?? Herzschmer­z 1: „Wind über der See“
(2007). Foto: Katrin Knoke/ ZDF, dpa ??
Herzschmer­z 1: „Wind über der See“ (2007). Foto: Katrin Knoke/ ZDF, dpa
 ?? Foto: Jon Ailes/zdf, dpa ?? Herzschmer­z 2: „Die Braut meines Bruders“(2019).
Foto: Jon Ailes/zdf, dpa Herzschmer­z 2: „Die Braut meines Bruders“(2019).

Newspapers in German

Newspapers from Germany